Ruhm

Ein Sammelwerk mit kommentierten Dokumenten zur Rezeptionsgeschichte von Joyce’s Ulysses. Autoren wie Mirskij und Olescha, C.G. Jung und Eisenstein, Cixous und Kristeva sind in dem Band mit exemplarischen Beiträgen vertreten. Keineswegs exemplarisch, eher trivial ist, was bei einigen «Klassikern» des 20. Jahrhunderts eingesammelt wurde, deren Namen hier nicht fehlen durften. Darunter Anna Achmatowa, weithin gefeiert als «Königin» der modernen russischen Lyrik, als «Prophetin» und «Kronzeugin» des 20. Jahrhunderts. Bei ihr findet sich, von irgendeiner Drittperson rapportiert, die pompöse Aussage, sie habe Ulysses «mindestens sechsmal gelesen», und ausserdem wird auf eine beiläufige Erwähnung des Romans (oder des Autors?) in einem unvollendet gebliebnen Werk der Dichterin verwiesen. Weiter nichts; offenbar jedoch genug, um uns heutigen Lesern überliefert zu werden. Hat doch einst Francis Ponge die Vermutung (oder Befürchtung) geäussert, es könnte genügen, «ein bisschen berühmt» zu sein, und schon werde einem jede Nebenbemerkung als Grundsatzerklärung ausgelegt. Von einem namenlosen Zeitgenossen will jedoch niemand wissen, wie oft er Ulysses gelesen hat und was ihm davon geblieben ist, auch dann nicht, wenn er dazu Neues, vielleicht Wesentliches zu sagen hätte.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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