Wellness

Selbstanzeige unter «Partnersuche» im Internet: «Mein Hobby – kuscheln und geniessen, Kleidung und Wohnung mit hohem Wohlfühlfaktor, entspanntes Ambiente, guten Sex haben …» Was jetzt Sex haben heisst, hiess einmal – noch nicht so lang ist es her – Liebe machen. Doch Haben geht jetzt über Machen. Sich dem Zug der Gravitation zu überantworten scheint attraktiver zu sein, als im Gegenzug und Widerstand dazu sich aufrecht zu halten.
Am deutlichsten dokumentiert das aktuelle Design diesen Trend. In allen Lebensbereichen – beim Auto, bei den Möbeln, den Kleidern, den Haushalt-, Radio-, Telefongeräten usf. – dominiert die weiche, runde, nachgiebige Formgebung. Alles soll sich anschmiegen, muss kuschelig, bequem sein, Spass machen und auch noch irgendetwas «bringen», sich also anpassen an die Trägheit und Blödigkeit des Normalverbrauchers und damit unsre eigne, im Übrigen wirtschaftlich wie politisch erwünschte Anpassung konditionieren.
Weitgehend vergessen ist demgegenüber die Designästhetik der klassischen Moderne, das Bauhaus, der Konstruktivismus, die Neue Sachlichkeit mit dem rechten Winkel, der einfachen Form, den ungemischten Farben, dem Vorrang von Nützlichkeit vor Bequemlichkeit als Struktur- und Funktionsmerkmalen. Tatsäch
lich ist das Sitzen auf einem Bauhausstuhl das Gegenteil von bequem, auch ist es so gut wie unmöglich, auf einem Bauhaussofa einzuschlafen, Schwachsinn daherzureden, Sex zu haben oder einen Abend lang fernzusehn. Das Bauhaus verweigert als minderheitliche, oft elitär genannte Ästhetik grundsätzlich und programmatisch jeden Kuscheleffekt, jede Anpassung an den Zug nach unten, also jede Möglichkeit, sich gehn und sinken zu lassen. Bauhausdesign hält wach, macht aufmerksam, tut weh, zwingt zu ständig wechselnder Platz- und Stellungsnahme, weil es menschlicher Bequemlichkeit in physischer wie geistiger Hinsicht zuwiderläuft. Doch Lässlichkeit und Losigkeit haben sich längst durchgesetzt gegen die sogenannte gute Form, die sich nicht anpasst, sondern Differenz markiert und deshalb nicht nur für unbequem, sondern geradezu für unmenschlich gehalten wird.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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