Begriffsbildung als Übersetzungsverfahren – Jacques Derridas poetische Rhetorik (3)

Exkurs. – Es gibt diverse zeitgenössische Geschichtsrevisionisten, die in Platon, Plotin und Pletho einzig wegen der Namensähnlichkeit eine und dieselbe historische Person erkennen wollen … und es gibt eine international gut vernetzte sektiererische Forschungsgemeinschaft („Neue Chronologie“), die unter anderm anhand von Ortsnamen und deren Lautähnlichkeit die europäische Geschichte bis zur Unkenntlichkeit umzuschreiben versucht.
Entsprechende onomastische Wortknobeleien können demzufolge (etwa in den Studien eines Christoph Pfister) die folgenden Ergebnisse zeitigen: Im Harzgebirge liegt unter dem Namen „Ramberg“ die Stadt „Rom“, deren Name auf das griechische Wort für „Heer“, „Heerscharen“ (rome) zurückgehe und das auch im Hebräischen (als „Rama“, wie im Buch der Richter, oder im Namen für Ägypten, mizrajm) präsent sei. Der Harz zwischen Goslar und Sangerhausen wird seinem Namen nach auf das hebräische „ha’arets“ zurückgeführt und kurzerhand mit dem Heiligen Land identifiziert. Als solches kommt auch Sachsen in Frage, dessen Namen er mit „sanctum“ (lat. für heilig) gleichsetzt und ebenfalls als ein gelobtes Land in Anspruch nimmt. Die simple Hypothese wird abgestützt durch den ebenso simplen Verweis auf die Ortsnamen Eisleben und Eisenach – „Eisleben“ bedeutet nach seiner Lesart „Jesu Leben“ und damit den Geburtsort Christi, dies gemäß der buchstäblichen Übereinstimmung von „eis-“ und (anagrammatisch:) „ies-“ bzw. „jes-“, derweil wiederum „Eisenach“ (d.h. „Jesu“ Ach) den Entstehungsort von Luthers Bibelübersetzung markiert.

Man mag diesen pseudowissenschaftlichen Namenzauber belächeln, doch man sollte durchaus zur Kenntnis nehmen, dass es ihn auch „in unserer globalisierten Welt“ noch immer gibt und dass er die hier herrschende Hochkonjunktur der Fake News zusätzlich befeuert; und unvoreingenommen sich fragen, ob denn – im Vergleich damit – Derrida und die Derridisten nicht von ähnlichen, d.h. ähnlich abstrusen sprachphilosophischen Spekulationen sich leiten lassen?

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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