Beim Übersetzen; zum Übersetzen ( I.22 )

„Unübersetzbar? Nichts!“ Frage und Antwort zugleich, rapportiert von Maurice Blanchot nach James Joyce. Nur ein Schriftsteller … vielleicht nur dieser Schriftsteller hat gut so reden; für ihn war der Akt des Schreibens noch jedes Mal ein Akt der Übertragung und Verschiebung: „Finnegans Wake“ wie auch schon „Ulysses“ sind, streng genommen, sprachinterne Übersetzungswerke, die als solche den Status von Originaltexten gewonnen haben, Texte, fast zur Gänze kompiliert und dann auch komponiert aus rohsprachlichen Versatzstücken.

Joyces Einwurf – nichts sei unübersetzbar – heißt ja umgekehrt auch, übersetzbar sei alles; oder es könnte, etwas weiter ausgreifend, bedeuten, ohnehin sei doch alles Sprachliche nichts anderes als Übersetzung, die hinter dem vorsprachlichen „Urtext“ (der Signatur der Dinge selbst) grundsätzlich zurückbleibe, mithin noch jedes Mal an der außersprachlichen Realpräsenz beziehungsweise an deren verlustfreier Wiedergabe in Worten scheitere.

Niklas Luhmann (mit Rückgriff auf Baltasar Gracián): Welt müsse in Sprache übertragen und sinnhaft gemacht werden; so heißt es an einer Stelle in „Die Kunst der Gesellschaft“.
„Die Frage, was und wie die Welt wirklich ist, bleibt unbeantwortbar. Also ist nur eine dunkle, zweideutige, wortspielerische, paradoxe und in diesem Sinn geistreiche Sprache adäquat.“

Marc Aurel hat das Problem der Sprach- oder Textübersetzung dadurch zumindest rhetorisch bewältigt, dass er (in „Wege zu sich selbst“) schlichtweg alles als ein Ergebnis wie auch als einen Prozess von Übertragung charakterisierte: „Die Natur des Alls hat die Bestimmung, das Hierliegende dorthin zu versetzen, es umzuwandeln, von da wegzuheben und dorthin zu verbringen. Alles ist Wandel.“

Alles letztlich eine Frage der Physik, der Chemie, der Biologie, ja – auch der Kunst?

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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