Dorfspiel zwischen den Sprachen. Leseerfahrungen mit Andrea Zanzotto und seinen Übersetzern

On est renvoyé à l’incompréhension.
Philippe Jaccottet

1

Unter dem schlichten Titel „Dorfspiel“ liegt neuerdings ein „kleines Buch außer der Reihe“ mit Texten von und über Andrea Zanzotto vor, herausgeberisch und übersetzerisch betreut von rund einem Dutzend erprobter „Zanzottonen“ aus dem Kreis um Peter Waterhouse.
Das vorliegende „kleine Buch“ enthält eine dreisprachige Auslese von Gedichten aus allen Schaffensphasen Zanzottos, die teils italienisch/deutsch, teils italienisch/englisch präsentiert werden und deren Gesamtcorpus durchwirkt ist mit sekundärliterarischen Texten, die den Autor und sein Werk kundig in Stellung bringen, die aber auch konkret als Lesehilfe zum vorliegenden Reader dienen können. Als „außerordentlich“ hat nicht zuletzt die Tatsache zu gelten, dass weder zur Auswahl und Abfolge, noch zur Entstehungszeit oder zum Erstdruck der im „Dorfspiel“ vereinten Gedichte Angaben gemacht werden. Einer knappen Notiz auf der vorderen Klappe der Broschur ist immerhin zu entnehmen, dass sich die Herausgeberschaft bei der Zusammenstellung der Texte an „Andrea Zanzottos Auseinandersetzung mit Gewalt und Krieg und einer nicht erorberten Welt“ orientiert habe – eine Orientierung, die im Buch kaum zum Tragen kommt und die im Übrigen auch eher auf zeitgeschichtliche oder weltanschauliche denn auf poetische oder poetologische Kriterien schließen lässt.
Außerhalb der üblichen Ordnung bleiben auch die Übersetzer, die zwar kollektiv in zwei Teams auftreten, einem deutschund einem englischsprachigen, deren jeweils persönliche Beiträge zur Ausgabe insgesamt und an der Übersetzung der einzelnen Gedichte jedoch nicht erschlossen wird. Folglich gibt es keine individuell verantwortlichen Adressaten für Lob oder Kritik an der Übersetzungsarbeit, und es kann auch – was gravierender ist – keine individuelle Übersetzungspoetik beziehungsweise Übersetzungstechnik ausgemacht werden. Das ist, wenn man sich die heute gängige Praxis der „auktorialen“ Lyrikübersetzung vor Augen hält, tatsächlich „außer der Reihe“, hat aber den Vorzug, dass man als Leser eine quasi anonyme Übersetzung unter die Hand bekommt und sich umso freier auf die Texte einlassen kann.

Formal sind Zanzottos Gedichte auf keinerlei metrische oder strophische Vorgaben festgelegt – sie fluktuieren in ungebundenen Versen über die Seiten hin, sind lediglich durch Einrückungen, Leerzeilen und andere Spazien strukturiert. Klammerausdrücke, Gedankenstriche, Auslassungspunkte werden wie Fermaten in großer Zahl eingesetzt, und die relative Länge vieler Texte verleiht der Lyrik einen Zug ins Epische. Doch nie verfällt Zanzotto ins Berichten oder Erzählen, sein dichterisches Interesse gilt nicht dem Satz, nicht der Aussage, sondern dem Wort und dessen Lautbestand, aber stets auch dessen variabler Semantik. Die Syntax ist durchweg schwach ausgebildet, die additive Aufreihung von Einzelwörtern (oft Namen) und kurzen Wortverbindungen wie auch der vorrangige Gebrauch von Nominativund Partizipialformen macht deutlich, dass es Zanzotto primär ums Benennen geht, ums Bezeichnen, genauer noch um Zeichensetzung, und nicht um die sonst übliche metaphorische Dichterrede, die mit Bildern faszinieren, bezaubern oder auch befremden will.
Befremden kann Zanzotto auch, aber nicht weil er es will, sondern weil die originäre (die eben nicht originell sein wollende) Rede der Dichtung ohnehin befremdlich ist – eine Fremdsprache innerhalb der Gebrauchssprache, eine Sondersprache selbst innerhalb der gängigen Literatursprache. In Zanzottos Gedichten wird diese Befremdlichkeit, die bei der Lektüre naturgemäß zu Verfremdungseffekten führt, zusätzlich dadurch akzentuiert, dass er die dialektale Alltagssprache des heimatlichen Veneto mit der italienischen Literatursprache zusammenführt und gerade durch diesen Mix, aus diesem Mix seinen unverwechselbaren Personalstil gewinnt.
Ein einziges der für „Dorfspiel“ übersetzten Gedichte wurde aus einer stark dialektal imprägnierten Vorlage von Zanzotto versuchsweise in ein nach einem unbestimmten deutschen Dialekt klingendes Idiom umgeschrieben. Da die Herausgeber auch dazu keinerlei Kommentar abgeben, kann ich den Dialekt nicht orten, verstehe ihn wohl der Spur nach, lasse mir den Text aber lieber als eine Art Lautpoesie gefallen; beispielshalber rücke ich hier einen Teil des Gedichts „Schtumme Markt“ ein:

… Wia schean isch decht der Morkt doo
aaaaae pissl ploss, awekk va dr Schtroos
aaaaavrschloofn vrtraamp. 

Miar gfollt, aawennzmr foscht Ongscht mocht
aaaaadies Schtummsain odr grood unt grood Murmln ollz
aaaaauntn untn untrdrukkt

wenn lai a pissl Sunn
aaaaadeis Bsinnen segnan tat
aaaaaunt deis bis in di leschtn Winkl Drschtarrn …

Thematisch erschließt Zanzottos Lyrik einen weiten, verhältnismäßig eintönigen, vorab durch die heimische Natur bestimmten Einzugsbereich – Landschaften, Wege, Örtlichkeiten (Stätten), Jahreszeiten, Witterungen, Winde, Farben, Düfte, Hügel, Wälder, aber auch, verbunden damit, Empfindungen wie Nähe und Weite, Größe und Pracht, Leichtigkeit, Blödigkeit, Wärme, Schwere, Begehren, Spannung, lange Weile. Doch eigentlich wird all dies (und noch viel mehr) nicht thematisiert, also weder besprochen noch erklärt, eher wird es motivisch aufgegriffen, episodisch vorgeführt, dann wieder fallengelassen. Auch spielt das sogenannte lyrische Ich eine untergeordnete Rolle, als Subjekt der Rede fungiert weit häufiger das neutrale „man“ oder das kollektive „wir“. Psychische Befindlichkeiten – große Liebe, großes Leid, aber auch kleine Freuden und Querelen – werden nicht, wie in aller Lyrik sonst üblich, explizit gemacht, in den nüchtern rapportierten sinnlichen Wahrnehmungen schwingen sie kaum merklich mit.
Andrea Zanzottos dichterisches Weltbild ließe sich mit einer Nebellandschaft vergleichen, in der sich Distanzen, Formen, Proportionen im Ungefähren verlieren und dabei doch eine eigenartige Präzision (oder umgekehrt: eine exakte Vagheit) bewahren. Von daher – wie auch aus manchen andern Gründen – ergibt sich und erklärt sich die Schwierigkeit des Verstehens im Umgang mit Zanzottos Gedichten. Es ist die Schwierigkeit, mit der viele Lyrikleser angesichts des vermeintlich oder tatsächlich Unverständlichen konfrontiert sind.
Unverständlich! Doch weshalb sollte Verständlichkeit ein Kriterium, womöglich gar ein Qualitätskriterium für dichterische Texte sein? Als verständlich gilt gemeinhin das, was man auf seine vorgegebene Bedeutung hin verstehen kann – man versteht dann wohl, was der Autor gemeint, was er zu sagen hat. Was Zanzotto mit seiner Dichtung „zu sagen“ hat, ist schwerlich auszumachen, eher stellt sich bei der Lektüre die Vermutung ein, es gehe ihm vor allem darum, Unverständlichkeit durchzusetzen, dies wohl im Gegenzug zur exhibitionistischen Offenheit der neueren euroamerikanischen Trendpoesie und vollends zum immer schon vorab verstandenen Gequassel der Werbung und der populären Medien. Denn was unverständlich ist, muss keineswegs sinnleer sein. Vielmehr regt Unverständlichkeit zu eigener Sinnbildung an – je hermetischer ein Gedicht ist, desto mehr Lesarten provoziert es, darunter immer auch solche, die der Autor selbst nicht bedacht hat und gegen die er sich möglicherweise verwahren würde.

2

Die Schwierigkeiten des Verstehens und die Möglichkeiten sinnbildender Lektüre sind anhand der Übersetzungen zur vorliegenden Textauswahl gut zu beobachten. Übersetzung ist intensivste Lektüre. Freilich muss sich der Übersetzer, anders als der gewöhnliche Leser, in jedem Fall auf eine einzige Lesart festlegen, und eben diese Lesart dokumentiert dann auch, ob und wie und was er vom Original verstanden oder allenfalls missverstanden hat. Doch darüber hinaus macht die Übersetzung, gerade bei schwierigen Texten, deutlich, was dunklen Stellen bei aller Bedeutungsferne an Sinn abzugewinnen ist.
Schon der Buchtitel, „Dorfspiel“, kann dafür als Beispiel dienen. Man liest, man überliest das Wort problemlos, obwohl es kein Wort der deutschen Sprache ist – im Großen Duden, der Dutzende von Ausdrücken anführt, die mit „-spiel“ zusammengesetzt sind, kommt „Dorfspiel“ nicht vor. Nur wenn … erst wenn man bei dem Wort kurz einhält und sich nach dessen Bedeutung fragt, wird einem klar, dass man nicht verstanden hat und auch nicht verstehen kann, was sich so unmittelbar verständlich ausnimmt wie eben der Begriff „Dorfspiel“. In meinem alten Konversationslexikon, einem „Meyer“ von 1913, finde ich einen Hinweis auf das „Kirchspiel“, das administrativ für die (evangelische) Kirchgemeinde steht. Es handelt sich mithin um einen spezifisch deutschen Ausdruck, und der lässt sich zu „Dorfspiel“ durchaus in ein plausibles Verhältnis bringen – „Spiel“ bedeutet im gegebenen Zusammenhang soviel wie „Sprengel“, etwas „Versprengtes“, „Verstreutes“ also. Das „Dorfspiel“ ein „Streudorf “?
Andrea Zanzotto widmet dem „Dorfspiel“ zwei Gedichte. Bei beiden steht das Wort – italienisch „(la) contrada“ – gleich am Textanfang und leitet demzufolge die Lektüre ein; so das Incipit bei „Rio fu“:

La contrada, già Zauberkraft,
povera, sul null      a si equilibrava, volava …

Deutsch:

Das Dorfspiel, einst Zauberkraft,
ärmlich, das balancierte auf nichts, das schwebte …

Im Italienischen bezeichnet „contrada“ im häufigsten Wortgebrauch ein „Stadtviertel“ oder „Quartier“, kann aber auch „Straße“ (synonym zu „strada“) oder allgemein „Gegend“, „Region“ bedeuten. Von Dorf, von Dörflichkeit weiß „la contrada“ nichts, und tatsächlich findet sich in dem ganzen Gedicht auch kein „dörfliches“ Motiv. Selbst die an einer Stelle vorkommenden Esel („somari“) haben hier nichts mit Ländlichkeit zu schaffen, sie liefern (wie im Deutschen) nur einfach das Wort zur Bezeichnung der Alten als alte „Trottel“. Anders als die Übersetzung es nahelegt, verweisen alle Realien in diesem Gedicht auf ein städtisches, wenn nicht großstädtisches Setting – hundert stinkende Hallen, eine Alzheimer-, eine Borderlinestraße, ein Verein für Mafianachwuchs, eine Altensiedlung, und noch im letzten Vers ist von einer „großen Stadt“ die Rede.
Die Übersetzer haben sich nun aber für das „Dorf“, das „Dorfspiel“ entschieden und geben das Stadtgedicht als ein Land- beziehungsweise ein Provinzgedicht zu lesen. Das ist ein ähnlich eigenmächtiges Vorgehen wie bei der Umformung der alltagssprachlichen „contrada“ in einen archaisch angehauchten deutschen Neologismus. Beispiele für dieses Verfahren bietet „Dorfspiel“ zuhauf. Im Fazit ist festzustellen, dass hier des Guten eher zu viel getan wurde – man findet Reime, Assonanzen, syntaktische Fügungen, zu denen es im Original keine Entsprechung gibt, und umgekehrt geht Zanzottos subtile Sprachinstrumentierung in manchen Fällen völlig verloren. Den Titel des oben angesprochenen Gedichts „Rio fu“ mit „Vergangenbach“ wiederzugeben, ist semantisch zwar durchaus in Ordnung, wirkt klanglich aber zu schwerfällig („vergangen“ für „fu“) und hätte doch einfach in „Warbach“ umgesetzt werden können.
Dutzende von Detailbeobachtungen dieser Art ließen sich hier zusätzlich anführen; ich beschränke mich auf zwei, drei Hinweise zum nachfolgenden Text, der als Schlussgedicht in den Band aufgenommen wurde und der für Zanzottos parataktische Schreibweise besonders charakteristisch ist: „A Zuel di qua“.

3

In Zuel hüben 

– Hohes und vornehmes Haus
halb eingestürzt mit
ENGLÄNDERN die campieren darin
zwanzig Tage im Jahr
– die schattigen Erscheinungen aus tausenden Grünen
im üblichen Abend im düsteren Juli
man kann alles auf den Kopf gestellt sehen
Täler Spiegel der nahen schlaftrunkenen Gipfel
– die Myrte steht in Blüte
– allerlei niedere Körper der Bauten (oder Baue?)
angelehnt um einander zu helfen
– Werkstätten wo ein Künstler

Dem Lesen bietet das Gedicht kaum Schwierigkeiten, dem Verstehen aber mehr als genug. Zwar sind alle Wörter der Normsprache entnommen und können einzeln verstanden (und übersetzt) werden – dazu verhelfen nicht zuletzt die Fußnoten des Autors. Doch im Gesamtzusammenhang des Gedichts verflüchtigt sich das Verständnis; haften bleibt jedoch die Intonation, die ihrerseits eine seltsame Stimmung erzeugt mit disparaten Verweisen auf den ungeheuren Raum zwischen Haus und Kosmos. – Zanzotto setzt unten an, beim Haus: 

Casa alta e nobile
semidiroccata con
INGLESI dentro accampati

Das italienische „accampare“ (zu „accampati“) bedeutet „kampieren“ in militärischem Verständnis – ein Lager aufschlagen, vorübergehend Halt machen. Wie aber hat man sich auf Grund der Übersetzung („ENGLÄNDER die kampieren darin“) die von Zanzotto skizzierte Situation vorzustellen? Schlagen die Gäste – oder Besetzer? – für „zwanzig Tage im Jahr“ ihr Lager, ihre Zelte in dem schönen Haus auf? Kann man überhaupt in einem Innenraum kampieren? Ein Camp, ein Lager wird doch gewöhnlich im Freien errichtet. – Was der Autor sagt und meint, ist wohl dies:

*Hohes und nobles Haus
halb verrottet mit
ENGLÄNDERN drin einquartiert
(o. ä.)
1

Mit Blick auf den italienischen Originaltext fällt die um ein Drittel größere Textmenge der Übersetzung auf – manche Verse sind fast doppelt so lang wie in der Vorlage; nehmen wir zum Vergleich die folgenden Zeilen:

le proiezioni cupe di mille verdi
nella solita sera di buio luglio

die schattigen Erscheinungen aus tausenden Grünen
am üblichen Abend im düsteren Juli

Erkennbar ist die übersetzerische Bemühung, die beiden Verse durch den dreimaligen Einsatz des ü-Lauts – „Grü-“, „üb-“, „dü“ – klanglich zu harmonisieren. Indessen fragt sich doch, ob ein Abend „üblich“ (solito) sein kann – dann müsste man ihn eigentlich üben können –, ob also bei Zanzotto nicht eher von einem „gewohnten“ oder „gewöhnlichen“ Abend die Rede ist. Wie steht es aber mit den „schattigen Erscheinungen“, die da so üppig grünen? Wie können tausend, gar Tausende von Grüntönen im Schatten unterschieden werden? Zanzotto spricht von „Projektionen“, also von „Würfen“. Wohl gibt es Schattenwürfe, nicht aber solche aus (oder in) Grün. Wie wäre die Stelle demnach zu verstehen? Da „cupo“ nicht primär schattig bedeutet, sondern dunkel oder dumpf, darf man sich (in Analogie zu „rosso cupo“, dunkelrot) ein hochdifferenziertes Dunkelgrün in zahllosen Schattierungen vorstellen; etwa so:

*dunkle Einwürfe in tausendfachem Grün
am gewohnten trüben Juliabend
(o. ä.)

Wo es bei Zanzotto heißt:

vari corpi minori di abitazioni (o tane?)

lesen wir deutsch:

allerlei niedere Körper der Bauten (oder Baue?)

Zur assonantischen Verbindung von „Bauten“ und „Baue“ findet sich im Original keine Entsprechung; Zanzotto spricht von „Wohnstätten“, „Behausungen“ einerseits, von „Tierhöhlen“ andererseits, hebt also einen Gegensatz hervor. Diesen Gegensatz durch lautliche Harmonisierung zu begradigen – dazu besteht kein Anlass, natürlich aber die Versuchung, die im Deutschen sich anbietende Assonanz zu nutzen. Mein Vorschlag (als Variante):

*allerlei kleine Baukörper von Wohnhäusern (oder Höhlen?)

Und ein Letztes – zum großartigen Schlussvers des Gedichts:

o siamo noi, qui, su Gheminga, a fare filó?

Zu deutsch:

oder wir sind hier auf Geminga, um Gedanken zu spinnen?

Gedanken spinnen auf einem fernen Stern? „Filo“ heißt Faden, „fare (il) filo“ heißt „spinnen“ (als Handwerk), „Fäden ziehen“ (vom Käse o. ä.), jemandem „den Hof machen“, wird heute aber auch negativ für Stalking verwendet. Bei Zanzotto steht aber „fare filò“ (endbetont), was mit „spinnen“ (und vollends mit „Gedanken“) nur assoziativ etwas zu tun hat – es bedeutet einfach „tratschen“, „quatschen“.

In der Höhe glitzert das Gestirn Geminga
oder wir sind hier …

Entscheidend ist an dieser Stelle das „oder“, die Tatsache mithin, dass wir „hier“ sind und eben nicht dort auf dem fernen Planeten. Doch was tun wir hier, um uns das Dort zu vergegenwärtigen? „Spinnen“ oder „tratschen“ wir? Ich könnte mir vorstellen, dass sich „fare filò“ im gegebenen Kontext durch Klangassoziation auf ein handwerkliches Spiel (engl. „stitch the stars“) bezieht, bei dem es darum geht, in Sticktechnik auf einem vorgestanzten Karton Sternbilder zu entwerfen, die dann die Umgebung eines bestimmten Gestirns bilden sollen. Die Vermutung kann verfehlt sein, an dieser Stelle hätte sie aber hohe Plausibilität.
Das Fazit meiner Beobachtungen am Leitfaden von Andrea Zanzottos deutschem (wie auch englischem) „Dorfspiel“ besteht darin, dass die beiden Übersetzerteams Bemerkenswertes geleistet, sich aber auch manche Eigenmächtigkeiten herausgenommen haben. Man braucht sie dafür nicht zu rügen. Statt Zanzottos Gedichte in vager Unverständlichkeit (oder Bedeutungslosigkeit) verharren zu lassen, wird hier mit großem Einsatz um eine Sinngebung gerungen, die bei allem Gelingen doch nur vorläufig sein kann. Die vorliegende Eindeutschung ist das Ergebnis einer kollektiv erarbeiteten Lesart, die bloß eine von vielen Verstehens- und Übersetzungsmöglichkeiten darstellt. Für alternative Nachübersetzungen ist damit der Weg geebnet. Zanzotto wird immer wieder neu (und immer wieder Neues) zu lesen geben, aber nur jenen, die außer der Bedeutung auch den Sinn seiner Dichtung erschließen wollen.

[Andrea Zanzotto, Dorfspiel (La contrada). Ein kleines Buch außer der Reihe. Herausgegeben und übersetzt von Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse u. a., Wien / Bozen / Solothurn 2014]

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00