Souffleur der Sprache – Julien Torma als Übersetzer und Erfinder seiner selbst

Julien Torma, dessen Lebensdaten mit 1902 bis 1933 angegeben werden und dessen dichterisches Werk in einer 799 Druckseiten umfassenden „definitiv unvollständigen“ Ausgabe vorliegt, gehört zu den Exponenten der sogenannten absurden Literatur, die ihre Genealogie auf Autoren wie Lewis Carroll und Alfred Jarry zurückführt, ihre Filiationen aber über den französischen Surrealismus hinaus (Daumal, Crevel, Desnos u.a.m.) bis zur internationalen „potentiellen“ Dichtung des Oulipo (Queneau, Perec, Calvino, Mathews, Pastior u.a.m.) vorangetrieben hat. Das Collège de ’Pataphysique, eine inoffizielle Akademie der poetischen Pseudowissenschaften und der pseudowissenschaftlichen Poesie, wirkt als ambulante Zentrale für die Sammlung, Auswertung und Veröffentlichung entsprechender Materialien. Mit der kommentierten Edition von Tormas dichterischen und privaten Schriften (2003) hat das Collège eine Pionierleistung erbracht, die grundlegend bleiben wird für die künftige Erforschung pataphysischer Sprachkunst allgemein wie auch für die kritische und übersetzerische Rezeption dieses singulären Autors im besondern.
Inzwischen liegt mit den „Euphorismes“ von 1926 erstmals ein Werk von Torma in deutscher Fassung vor. Selbst dieser schmale Text führt eindrücklich vor Augen, wie weitläufig die prinzipiell traditionsfeindliche und wissenschaftskritische ’Pataphysik mit der europäischen literarischen Kultur vernetzt war: von Montaigne und Pascal bis hin zum Comte de Lautréamont, zur Comtesse de Noailles und zu Marcel Proust reicht der Kreis von Tormas ausufernden Lektüren, deren Echos in den „Euphorismen“ bald als ironische Obertöne, bald als grobe Misstöne anklingen.

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Mit den Surrealisten teilt Julien Torma sein vorrangiges Interesse an Träumen, Rätseln, Spielanlagen, Zufällen, jähen Epiphanien und erotischer Akrobatik, aber auch, umgekehrt, seine Skepsis gegenüber jeglichem System- und Fortschrittsdenken, ja, gegenüber dem „Gedanken“ und der Rationalität schlechthin. Dass er nicht zuletzt den bestehenden Kunst- und Literaturkanon der Grande Nation dezidiert ablehnt, braucht also kaum noch eigens unterstrichen zu werden. Die „Euphorismen“, locker komponiert aus Notaten aller Art, aus Mikroessays und aphoristischen Phrasen, aus Traumtranskripten und wortspielerischen Lyrismen, sind denn auch mehrheitlich ex negativo formuliert, beziehen ihren meist polemischen Impuls aus dem Widerspruch gegen Ordentlichkeit, Normalität, Harmonie, Automatismus, Autorität, Gewissheit, Konvention, festen Glauben, guten Geschmack und gesunden Menschenverstand. Torma gibt sich damit im eigentlichen Wortsinn als „Reaktionär“ zu erkennen – seine Art, literarisch zu agieren, besteht hauptsächlich darin, auf fremde, für ihn unakzeptable Behauptungen, Glaubenssätze, Meinungen zu reagieren.
Von daher erklärt sich auch die ironische oder parodistische Intonation mancher seiner „Euphorismen“, die lautlich zwar mit „Euphemismen“, also Wohlklang, korrespondieren, hier aber weit eher zur Kakophonie der Schmährede denn zu rhetorischem Jubel neigen. Kunst und Komik werden konsequent unterdrückt durch einen galligen Griesgram, der Erhabenes wie Triviales verächtlich abfertigt und dessen euphorischer Zynismus bloß in der Schwäche oder Langeweile hin und wieder zur Ruhe kommt. Stuss und Müll, Peinlichkeiten und Scheiße jedweder Art zieht Torma allem vor, was gut, schön, wahr ist, und doch bleibt selbst der Po, als das bessere Antlitz des Menschen, nicht verschont von seiner Verarschung.
Darm, Sprache, Gefühlshaushalt, Museum, Gehirn, Erinnerung, Zukunft – alles muss „entleert“ werden, und Entrümpelung soll als neue Produktionsweise gelten. Julien Torma zitiert Leonardo da Vinci: „Sie werden nur volle Latrinen hinterlassen.“ Und selbst meint er: „Müll? Nun ja, ein sehr großes Wort. Aber ist es nicht amüsant, in den Mülltonnen herumzustochern? Das ist sogar poetisch.“ Künftig wird sich eine „Literatur der Unfähigkeit […] maßlos entwickeln“, maßlos wie alles, was unerschöpflich zur Verfügung steht: Dummheit, Langeweile, Kitsch, Mediokrität, Erfolg. Maßlosigkeit – Torma spricht von Exzess – wird zum Maß aller Dinge, maßlos soll auch die Schönheit sein, die Kunst, die Liebe. Maßlos ist Gott. In der Maßlosigkeit wird alles und werden alle einander gleich. „Die Karten gut mischen oder die Spielregeln ändern, es sind immer dieselben Karten und gefälscht obendrein.“

Da alles hienieden ewig sich gleich bleibt, kann man der Welt nach Julien Tormas Überzeugung nur durch Gleichgültigkeit gerecht werden, nur dadurch also, dass man alles für gleichermaßen gültig und damit auch für gleichermaßen nichtig erklärt. Solche Gleichgültigkeit lässt jede Hierarchie (oder, zeitgemäß ausgedrückt, jedes Rating) hinfällig werden, sie kennt weder Fortschritt noch Gewinn, und da sie Unterschiede ausblendet, kann ihr – der Kalauer stammt vom „euphorischen“ Dichter – selbst das Ego egal sein. Egal, ob Vergangenheit oder Zukunft, Glück oder Unglück, Sieg oder Niederlage, Wahrheit oder Lüge, Klugheit oder Dummheit, Optimismus oder Pessimismus – alles ist dies und jenes zugleich, kann ebenso belobigt wie verunglimpft werden:

Atheistisch oder nicht, revolutionär oder nicht, Arbeiter oder Bourgeois, Literat oder Banause, wissenschaftlich oder poetisch – bis auf kleinste Nuancen (Schönheit des Geschirrs oder Geschliffenheit des Vokabulars: und vielleicht nicht mal das!), es ist dasselbe Leben und diese scheinbar widersprüchlichen Ideen dienen genau demselben Ziel: sterben und dienen. Ich gestehe, dass es mir seit Langem nicht mehr gelungen ist, zwischen den verschiedenen Bedeutungen den Unterschied zu erkennen.

Unter dieser Voraussetzung lässt sich nicht mehr logisch, schon gar nicht dialektisch argumentieren. Folgerichtig ist für Julien Torma der Leerlauf des Paradoxons zur bevorzugten Denkfigur geworden, aber auch zu einer ständigen Gefährdung seines Schreibens, das allzu oft ins Beliebige ausufert oder im poetischen Nullsummenspiel sein Genügen findet. Dies gilt vorab für manche seiner „euphoristischen“ Aphorismen, denen schlicht die Pointe fehlt, weil sich das Sowohl-als-auch (im Unterschied zum Entweder-Oder dialektischer Rhetorik) eben nicht eindeutig zuspitzen lässt. Und das führt denn doch zu oft in gedankliche Endlosschlaufen, die rhetorisch zwar beeindruckend ausgearbeitet sind, aber letztlich nicht zu jener jähen Einsicht verhelfen, die aphoristisches Schreiben gemeinhin erbringt. Was ist aus einem aufwendig konstruierten (in der Übersetzung zusätzlich verkorksten) Satzgebilde wie diesem zu gewinnen:

Sie werden das nicht zu verlieren wissen verlieren. Aber Sie werden nicht nichts zu lernen gewinnen: denn Sie werden versuchen zu verlieren, um zu gewinnen, und da Sie tatsächlich verlieren werden, haben sie auch verloren und Sie werden darüber keine Freude zu empfinden verstehen.

Tormas poetischer Egalitarismus findet seinen adäquatesten Ausdruck im Wortspiel, das nicht mehr unter der Alleinherrschaft des Autors steht, sondern unter dem unausweichlichen Diktat des Zufalls, der seinerseits aus der Eigendynamik des Sprachmaterials erwächst, was etwa bei anagrammatischen Fügungen, beim Palindrom oder bei der Homophonie der Fall ist. Hier geht es um lettristische oder lautliche Gegebenheiten, die nicht erfunden, nur gefunden werden können, um poetische Verfahren, die den Autor als Sprachschöpfer entmächtigen, ihn auf die nicht minder produktive Funktion eines Arrangeurs beziehungsweise – in Tormas eigenen Worten – eines „Souffleurs der Sprache“ verweisen.
Torma selbst hat derartige Verfahren („dem Zufall auf die Schulter klopfen“) mit Vorliebe praktiziert, um klar zu machen, dass unter solchen Voraussetzungen nicht er als Autor die Textbedeutung bestimmt, dass diese sich vielmehr ergibt aus entsprechend arrangierten Lautkonstellationen. Dies ist – beispielsweise – dort der Fall, wo der Wortarrangeur einen schlichten Ausdruck wie „le bord de la mer“ (das Meeresufer) gleichlautend umgestaltet zu „le bordel amer“ (das betrübliche Bordell): Der selbe Wortlaut erbringt mithin – allein durch die Verschiebung der Wortgrenzen – eine völlig andere Aussage. Eben diese Formulierung hat Torma als Titel für eins seiner Dichtwerke („Aubordelamer“, 1932) gewählt, um die Autorschaft – zumindest die Autorität – der autopoetischen Sprache herauszustellen. Das nachmals vieldiskutierte „Verschwinden des Autors“ findet hier im poetischen Sprachspiel eine valable Rechtfertigung, ist aber für Torma weit mehr als eine bloß spielerische Angelegenheit – tatsächlich bildet es den alles dominierenden Fluchtpunkt nicht nur seines Werks, sondern auch seiner dichterischen Existenz.

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Im Gegensatz zu seinen surrealistischen Zeitgenossen, im Gegensatz auch zu seiner eigenen „euphorischen“ Rhetorik ist Julien Torma ein zutiefst nachdenklicher Elegiker, dessen Wortwitz nicht über sein tragisches Selbst- und Weltverständnis hinwegtäuschen kann. Ebenso konsequent wie sein Verschwinden als Autor hat er sein persönliches Verschwinden betrieben, und ebenso spärlich wie seine schmalen literarischen Zeugnisse sind die Lebensspuren, die er hinterlassen hat.
Tormas Biographie ist so diffus, dass man sie am besten im Konjuktiv liest: Er sei 1902 in Cambrai geboren, als Waise bei einem zwielichtigen Ziehvater an wechselnden Orten aufgewachsen, habe früh zu schreiben begonnen und sich als Schwuler geoutet; sei mit Max Jacob und einigen namhaften surrealistischen Dichtern zugange gewesen; habe regulären Militärdienst geleistet, sich mit Gelegenheitsarbeiten sein Existenzminimum gesichert; sei in Frankreich weit herumgekommen, womöglich auch einmal nach Griechenland gereist. Die Aufbewahrung und Veröffentlichung seiner Texte habe er gänzlich desinteressiert zwei, drei Freunden überlassen, um 1933 als nomadisierender Lebenskünstler auf einer Wanderung in den Tiroler Alpen spurlos zu verschwinden. Seither scheint seine Legende, die ihn auch schon mal mit dem Gletschermann Ötzi identifiziert hat, mehr Realitätsgehalt zu haben denn seine defizitäre Biographie.

Die Frage, ob Julien Torma tatsächlich gelebt und die unter seinem Namen vorliegenden Texte auch selbst verfasst hat, ist mehrfach gestellt, aber nie ganz schlüssig beantwortet worden. Handelt es sich bei seinem Leben und Werk nicht viel eher um eine ’pataphysische Mystifikation? Nimmt man die Namen seiner angeblichen Herausgeber – Montmort, Sandomir, Saintmont − unter die Lupe, gewinnt man ohnehin den festen Eindruck, es mit irgendwelchen fiktiven Eminenzen zu tun zu haben. Denn all diese Namen kommen nur in der ’pataphysischen Literatur vor; alle könnten sie anagrammatisch von „Torma“ abgeleitet sein, und allesamt enthalten sie die Bedeutungskerne „Berg“ (mont) und „Tod“ (mort).
Nun weiß man aus diversen Schriften, dass „Torma“ ein passionierter Berggänger war und leicht kann man sehen, dass sein eigener Name, als Anagramm gelesen, „zutode“ (à mort) lautet und außerdem „mein Tod“ (ma mort) bedeuten könnte. Dazu kommt, dass „Sandomir“ zusätzlich auf Schlaflosigkeit (sans dormir) und auf Sadomaso anspielt, während „Saintmont“ auch auf ein unbestimmtes Kollektiv, nämlich „manche Namen“ (maints noms) oder „soviele Hände“ (tant de mains) verweist. Schwer zu glauben, dass die verschiedenen Namen einander bloß zufällig so ähnlich sind und dass sie sich übereinstimmend auf „Torma“ wie auch auf „mort“ und „mont“ beziehen lassen. Vermutlich handelt es sich hier um einen poetischen Namenzauber, bewerkstelligt durch anagrammatische Versetzungen, die nicht allein die Eigennamen beziehungsweise die Pseudonyme manipulativ mit bestimmten Bedeutungen aufladen, sondern auch die allenfalls dahinterstehenden Personen mit künstlichen Identitäten überblenden.

Außer dem ’pataphysischen Namenzauber gibt es noch eine Reihe anderer Indizien, die vermuten lassen, dass dieser Autor, statt bloss „verschwunden“ zu sein, in der sogenannten Wirklichkeit noch gar nicht angekommen ist. Doch selbst wenn er ein imaginäres Konstrukt sein sollte – sein Werk ist vorhanden, steht Schwarz auf Weiß da, kann gelesen und übersetzt, ausgedeutet und fehlgedeutet werden, und bereits hat es einen Präsenzgrad erreicht, der den des ungewissen Verfassers bei weitem übertrifft.
Klaus Völker lässt als Übersetzer und Kommentator weder an Julien Tormas historischer Existenz noch an dessen Autorschaft irgendwelche Zweifel erkennen. Das sei ihm unbenommen. An der Qualität und Eigenart der Texte ändert der Status des Dichters ohnehin nichts. Sollte er tatsächlich fiktiv sein, würde er, bestehend aus lauter falschen Behauptungen und gefälschten Dokumenten, integral zum Werk gehören, wäre mithin die Schöpfung eines zwar anonymen, naturgemäß aber realen andern Autors, vielleicht auch einer kollektiven Autorschaft.
Der umfängliche, weitgehend auf der Originaledition fußende Anmerkungsapparat zu den „Euphorismen“ – er ist mit ’pataphysischem Aberwitz von 13 bis 100 numeriert – nimmt sich mit seinen zahlreichen biobibliographischen Verweisen durchweg so aus, als wäre Julien Torma ein tatsächlich existierender Protagonist der neueren französischen Literaturgeschichte, geprägt von realen Vorbildern und seinerseits ein Vorbild für eine Reihe von Nachfolgern. Das mag so stehenbleiben, und größtenteils ist es auch amüsant zu lesen, am amüsantesten freilich doch dann, wenn man davon ausgeht, die ganze quasiakademische Faktenhuberei sei ein fiktives Arrangement, angereichert übrigens durch einige skatoerotische Zeichnungen, die ebenfalls Torma zugeschrieben werden.

Die meist recht simpel wirkenden, dabei aber höchst anspielungsreichen und subtil wortspielerischen „Euphorismen“, mit denen Torma „die Sprache ausbeinen und von der Literatur befreien“ wollte, um sie als solche zum Sprechen zu bringen, bieten Übersetzungsprobleme zuhauf. In der Dichter- wie in der Kindersprache wird „das Wort um seiner selbst willen gebraucht: es wird Sinn“, es selbst wird zum „Schöpfer“, und einzig in ihm, dem sinnlich begriffenen Wort, „drückt sich ‚das Wahre‘ aus“. Was an der Sprache sinnlich zu begreifen, gleichzeitig aber von konventioneller Bedeutung abgekoppelt ist, zum Beispiel also der Wortklang, entzieht sich gemeinhin dem übersetzerischen Zugriff. Vielfach ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die ludistischen Inventionen des Autors oder der Autoren mit deutschem Wortmaterial neu umzusetzen, sie mithin auch zu verfremden, wenn nicht gar – ihrer Poetizität zuliebe – zu verfälschen; etwa dort, wo die Sentenz Dans pédagogue, il y a gogue (wörtlich: im Begriff „Pädagog“ steckt „Spott“) deutsch daherkommt als „im Schulerzieher steckt ein Scherz“.
Hier wird – wie in zahlreichen vergleichbaren Fällen – einsichtig, dass die „Euphorismen“ nicht gemäß Wortbedeutung übersetzt werden können, dass es vielmehr darum geht, die vorgegebene Wortform in der Zielsprache nachzubilden. Damit also der „Spott“ (gogue), der buchstäblich im französischen „Pädagogen“ (pédagogue) mitgegeben ist, auch im Deutschen funktionieren kann, muss der genannte Umweg über den altbackenen „Schulerzieher“ gemacht werden − nur so lässt sich das im Original wirksame Formprinzip nachdichterisch umsetzen. Schade nur, dass der Übersetzer diese ebenso schlichte wie überzeugende Lösung ohne ersichtlichen Grund um eine schwache Alternative ergänzt („in Pädagoge ein Doge“), die dem originalen Wortlaut zwar auf der Schriftebene (-oge > -oge), nicht aber dem Sinn und dem Klang nach (-goge > Doshe) entsprechen kann.

Im übrigen gibt es in den „Euphorismen“ manche Sprachfindungen und -wendungen, die auch mit bestem Wissen und Können nicht adäquat zu übersetzen sind. Dazu gehört beispielsweise ein längerer Exkurs zum „Hutmachergewerbe“, der sich im französischen Text entlang der Leitwörter „le tour“ (Rundgang, Kehre, auch: Streich, Gag), „la tour“ (Turm), „le jour“ (Tag, Helle), „tourner“ (drehen), „jouer“ (spielen) und „tous“ (alle) assoziativ entfaltet. Hier gelingt’s, den Text durch den Einsatz von „Art“ (für „le tour“) ohne allzu große Verluste ins Deutsche zu bringen; das liest sich nun auszugsweise so:

Redewendungen, die es euch auf immer und ewig verleiden nachzudenken: Denkart (eine schlimme Art), Lebensart (eine gute Art), nach Art des Hauses (die Farce retten), Artefakte (die üblichen Aufschneidereien von Kunstexperten), das Artgefüge (wir sind von ihm beherrscht gewesen), Arteriosklerose (weltweit verbreitet), Männerart … halb verkalkte Arterien … Lagerart … Blödelart … Sangesart … auf anständige Art und Weise …

Trotz ingeniösen Rettungsversuchen geht in der deutschen Fassung letztlich doch manches unabwendbar verloren, und für verschiedene Elemente dieser lyrischen Suada scheint es überhaupt keine valable Entsprechung zu geben. So kann der „Serienbewusste“ im deutschen Text nicht einmal annäherungsweise die Bedeutungs- und Klangassoziationen vergegenwärtigen, die Torma mit dem Kunstwort „sérilleux“ (Gleichklang zu „sérieux“, ernsthaft; Anspielung auf „périlleux“, gefahrvoll) leichthin evoziert. – Als Zwischentitel verwendet Torma mit besonderer Vorliebe homophone oder anagrammatische Fügungen, deren Witz in der Übersetzung bestenfalls ahnbar wird („feux/jeux de mots“ als Wortgefechte), zumeist jedoch auf der Strecke bleibt − etwa wenn „phallacieux/fallacieux“ auf phalldreist reduziert wird.
Als „ein völlig von der Mehrdeutigkeit der Dinge und Wörter überzeugter Mensch“ macht es sich Julien Torma zur dichterischen Aufgabe, Wörter und Dinge auch noch „wenigstens vollkommen durcheinander zu bringen“, und dass selbst das Schlusswort der „Euphorismen“ − „papion“ (Pavian) − mit einem völlig andern Wort − „papillon“ (Schmetterling) − dem Klang nach identisch ist, wirkt in dieser seltsamen Doppeldeutigkeit wie eine letzte ironische Finte, die den Übersetzer (jeden Übersetzer!) wohl zugleich verlocken und abschrecken sollte.

[Julien Torma, Le Grand Troche, Paris 1988; Julien Torma, Écrits définitivement incomplets, Clamecy 2003; Julien Torma, Euphorismen (deutsch von Klaus Völker), Berlin 2009; André Breton, Manifestes du surréalisme, Paris 1967; Klaus Ferentschik, ’Pataphysik (Versuchung des Geistes: Die ’Pataphysik & das Collège de ’Pataphysique), Berlin 2006; Émile Littré, Pathologie verbale, Paris 1986; Marina Yaguello, Les Fous du langage, Paris 1984.]

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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