Lebedà

»Melde, die; eigtl. die (mit Mehl) Bestäubte«. Auch ein Wort. Bei Anna Achmatowa kommt die Melde mehrfach in Gedichten vor; schon früh hat sie, in ihrem Garten knieend, »Melden ausgejätet« und … aber in einem späten Gespräch mit L. T. soll die Achmatowa, befragt nach der Herkunft des Motivs, achselzuckend geantwortet haben: »Keine Ahnung, was das ist … eine Melde; nie gesehn.« Am Anfang war das Wort, und dabei ist’’s geblieben. Nur als Wort war die Melde für die Dichterin wirklich und, so verstanden, auch »wahr«; denn es hatte nichts außerhalb seiner selbst Liegendes zu bedeuten … es war, was es war, lebedà, ein Klanggebilde von eigenartiger Schönheit, le-be-dà, fast noch ein Lallen, und doch schon ein artikuliertes Wort, gemeinsam hervorgebracht von Zunge, le, Lippen, be, und Zähnen, dà, zugleich … durch die Betonung auf der dritten Silbe … eine rhythmische Grundfigur, übereinstimmend mit dem dreigliedrigen Anapäst.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder

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