Sterbehilfe

»Schreiben – ja, aber schreiben wozu? Um (zufrieden) sterben zu können …« Darin bestünde, nach Maurice Blanchot, der einzige valable Ruhm des Schriftstellers; das Schreiben, verstanden nicht als künstlerische oder gar als spielerische Geste, sondern als unabweisbare, ausschließlich auf den Tod gerichtete Lebensaufgabe, erweist sich als eine besonders schwere, zugleich als eine »völlig unvernünftige Arbeit, welche nichts verlangt, sich nicht rechtfertigt und die durch keinen Lohn abzugelten wäre«.
Was Blanchot hier, in einem späten Beitrag für »Le Monde« als eine Art von Existentialpoetik resümiert, hat er zuvor, über viele Jahre hinweg, namentlich am Beispiel Franz Kafkas unter immer wieder neuen Gesichtspunkten entwickelt. [Vgl. Maurice Blanchot, Von Kafka zu Kafka. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elsbeth Dangel. Fischer-Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 1993.]

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Kafka wird bei Blanchot, gelegentlich auf Kosten philologischer oder auch historischer Genauigkeit, als der Autor schlechthin vorgeführt, als ein Schriftsteller, der für das Schreiben, zu dem er sich gleichermaßen auserwählt und verdammt fühlte, alles opferte … die Liebe, das Glück, sogar die »Literatur«, vor allem jedoch sich selbst, und der darüber hinaus, um das Opfer vollkommen, nämlich vollkommen sinnlos zu machen, einen Großteil seiner Texte zur Vernichtung bestimmte. In solchem »Irrsinn« erkennt Blanchot Kafkas wundersame »Vernunft«, seine »Verdammnis zum Heil«.

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Schreiben bedeutet, wie Blanchot im selben Kontext präzisiert, »daß man sich außerhalb des Lebens stellt, daß man seinen Tod vorwegnimmt durch einen Betrug, der zur schrecklichen Wirklichkeit wird; von nun an ist die Welt verboten, das Leben unmöglich, die Einsamkeit unvermeidlich«. Man … das neutrale Subjekt steht nicht nur für Kafka, es steht auch für Blanchot, und es steht in letzter Instanz für jeden, der schreibt, ja es kann für das Schreiben selbst einstehen, mithin für jenes unpersönliche Tun, das als ausdruckslose Gewalt und abgekoppelt vom Sagen-Wollen des Autors, nur mehr Distanz und Absenz, Fremdheit und Leere markiert.

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»Schreiben hat letztendlich keinerlei Beziehung zum Leben, höchstens durch die notwendige Ungesichertheit, die das Schreiben ebenso vom Leben erhält, wie das Leben sie vom Schreiben erhält«, betont Blanchot in der für ihn typischen paradoxalen Ausdrucksweise: »… eine Beziehungslosigkeit derart, daß das Schreiben, insofern es sich sammelt, indem es sich zerstreut, sich darin niemals auf sich selbst bezieht, sondern auf ein anderes als es selbst, das es zugrunde richtet …«

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Am Leitfaden von Kafkas Kunstprosa, Tagebüchern und Briefen schürzt Blanchot … bald in lockerer, bald in straffer Verschlaufung … ein Paradoxon ums andere und stellt doch immer nur das eine fest, daß nicht der Autor spricht, sondern die Sprache als ein autonomes Neutrum; daß solches Sprechen nichts besagt, aber manches verschweigt; daß wahres Sprechen, wie das Schweigen, unverständlich bleiben muß, um vieldeutig werden zu können; daß dichterisches Sprechen nicht darstellt, sondern ist, nicht bedeutet, sondern vergegenwärtigt und also die Offenbarung dessen ist, »was die Offenbarung zerstört«; daß es für die Dichtung einzig diese Losung gibt: »Nichts sagen. Sprechen, um nichts zu sagen.«

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Wenn Maurice Blanchot, der in Frankreich für Autoren wie Derrida, Lévinas, Laporte oder Jabès wegweisend geworden ist, im deutschen Sprachbereich bisher wenig Anklang gefunden hat, so vorab deshalb, weil er die Autorität dessen, der spricht, mit einer Radikalität demontiert, welche hier nicht als befreiend, vielmehr als vernunftfeindlich und entmündigend empfunden wird. Dazu kommt, daß Blanchot, einerseits, der hiesigen universitären Kritik als »Belletrist« suspekt ist und daß er andererseits, gerade in Deutschland, bei praktizierenden Schriftstellern auf breite Ablehnung stößt, weil er jede Form von außerliterarischem Engagement mit literarischer Bedeutungslosigkeit gleichsetzt; weil er als einziges Positivum aller Literatur »die Verneinung ihrer selbst« gelten läßt.

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Für den Dichter wie für die Dichtung ist Selbstverneinung, laut Blanchot, gleichbedeutend mit Selbstverwirklichung; zwar sei Literatur »nicht nur illegitim, sondern nichtig«, aber … und darauf kommt es schließlich an … »diese Nichtigkeit bildet vielleicht, vorausgesetzt, sie wird im Reinzustand isoliert, eine außerordentliche, wunderbare Kraft«.

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Man sollte Blanchot ausreden lassen. Indem man ihn wieder und wieder liest.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder

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