Frank-Wolf Matthies: Adressen aus den Heften für Patricia

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Frank-Wolf Matthies: Adressen aus den Heften für Patricia

Matthies/Wandrer-Adressen aus den Heften für Patricia

IRGENDWO

Irgendwo wartet ein Wort das steht
für alle Wörter, das nie vergeht:
Ein Wort für alle Orte und Maße:
Grünheide, die Freunde, Lottumstraße,
die Sonne, Dämmer, Staub und Schatten,
Stille, zerbrochenes Glas, die Ratten,
obszöner Geruch nach Keller und Boden,
leere Gesichter auf Nylonboden,
Mato, Rotwein, Müllwagensingen,
Umarmungen, einsames Ringen,
nächtliches Schrei’n, Haustürgepolter,
Angst, Faustan, die tägliche Folter:
Ob sie mich holen am nächsten Morgen?
Wer wird uns was aufs vage borgen?
Wem muß man trauen, wen verhöhnen?
Der Hauch zwischen Lachen und Stöhnen.
Die bucklige Alte, Imago, das
Fluchen, die Hektik und später der Haß,
das Fliehen, die Leere, keiner der rät:
Irgendwo gibt es das Wort das steht
Für das Erinnern, das nie verweht:

 

 

 

Zwischen den Stühlen

Frank-Wolf Matthies, Jahrgang 1951, gehört zu jeden Autoren, denen es auferlegt ist, zweimal einen Anfang zu machen. Dort wo er herkommt, zur Sprachlosigkeit verurteilt und hier, eine neue Sprache zu finden. Ein Mann zwischen den Stühlen mit dem Gepäck von gestern, und das wiegt schwer.
Seit Anfang der siebziger Jahre setzt sich Matthies mit dem Leben in der DDR literarisch auseinander. Sein kritischer Blick und seine Ehrlichkeit brachten ihn schon früh in Konflikt mit dem herrschenden System. Nach mehreren Verhaftungen, alle Aufzeichnungen wurden vom MfS beschlagnahmt, verlässt er 1981 das Land, das seine Entwicklung so sehr geprägt hat. Den Rücken gebeugt von dieser Last, seine Manuskripte und Aufzeichnungen nur noch im Kopf, geht er seinen Weg in das andere Deutschland.
Angekommen in der „neuen“ Welt schreibt er „- durch den Briefschlitz nicht zu hindern / Feindesland in Muttersprache drückt mir sacht die Kehle zu / und kein Trost in stummen Händen eingefangen von der Fremde bin ich krank vor kalter Sehnsucht-“.
Ist in diesen Zeilen, wie auch in anderen Gedichten vom Anfang der achtziger Jahre noch die Gebrochenheit des DDR Alltags zu spüren, so wandelt sich dies zunehmend. Matthies beginnt, sich mit der Mediensprache auseinanderzusetzen, immer im Bezug auf konkrete Anlässe. Dabei hat er den Einzelnen im Blick, vermeidet es konsequent zu pauschalisieren.
So schreibt er: „In der Nacht zum 14. Januar steht der 25jährige Hans-Georg Schulz auf dem Autobahnparkplatz / Richtung Kassel / mit zwei geladenen Pistolen / auf irgendwas wartend / bis er Scheinwerfer sieht: / „Ich wartete / bis er ihn drin hatte / dann drückte ich ab“
Die Auswahl der Gedichte dieses Bandes zeigt den Weg eines Menschen, der jegliche Scheinheiligkeit verabscheut, der wachrütteln will, der etwas zu sagen hat, der immer zur Veränderung drängt, indem er uns den Spiegel vorhält. Ein Skeptiker und Mahner – er bleibt kein neutraler Beobachter, sondern wird zum mitfühlenden Partner. Ein Grund, dieses Buch zu empfehlen. „Die Angst, ein täglicher Begleiter – was morgen wird, sie hats erdacht; / und dennoch weiter, weiter… / die Augen zu und laut gelacht. / Nur nicht zögern, nur nicht zagen – wer verzagt / geht auch schon unter; stets von neuem muß ich’s wagen / wenn auch schaudernd munter, munter…“

Christian Scherfling, Neues Deutschland, 10.12.1993

 

Frank-Wolf Matthies

IN DER DDR VERBOTENES KINDERLIED

Wütend tragen wir rote Kappen
schreiten aus, sind abverwegt
Solln uns doch die Bösen schnappen
Wir gehörn aufs Kreuz gelegt

Schwach sind wir und nicht gerecht
Springen freudig in den Wolf hinein
Wollen selber Wölfe am Ende sein
Und verfallen dem Wolfsgeschlecht

Refrain:
Riecht nach Feinden auch die Luft
Treten wir ihnen auf den Wanst
Schön sind Wölfe wir erst
in Frank-Wolf Matthies’ Kluft
Worauf du frei einen lassen kannst

Peter Wawerzinek 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLG + Kalliope

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Frankwolfmatthies“.

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