Franz Hodjak: Sehnsucht nach Feigenschnaps

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Franz Hodjak: Sehnsucht nach Feigenschnaps

Hodjak-Sehnsucht nach Feigenschnaps

LYRISCHE RECHNUNG

ein hase der hinkt als vergleich mal
das kraut der metaphern plus
fünfmal metaphysik geteilt
durch die geteilten exegeten

die wahrheit ist der rest der
nicht aufgeht

 

 

 

Nachsatz

Wenn es der rumäniendeutschen Literatur gelungen ist, aus der provinziellen Enge und Zurückgebliebenheit auszubrechen und Anschluß an die lebendige, flexible Gegenwartssprache und die ihr einhergehenden Stiltendenzen zu finden, so ist dies zu einem guten Teil auch das Verdienst von Franz Hodjak, der seit über zwanzig Jahren in Cluj-Napoca lebt, in einer Gegend, in der man normalerweise ungarisch und rumänisch spricht. Beide Sprachen sind ihm nicht fremd. Aber er, teils siebenbürgischer, teils slowakischer Herkunft, hält an der deutschen Sprache als seiner Muttersprache fest. Diese Entfernungen vom Binnenland und von der Sprachinsel, seine schwierige Position des Draußen und Drinnen zugleich ermöglichen Distanz. Nicht zuletzt sie dürfte sein Wahrnehmungsvermögen, seine Kritikfähigkeit sensibilisiert und geschärft haben. Er gehört einer Generation an, die Ende der sechziger Jahre begann, den feierlichen Ton samt Pathos über Bord zu werfen. Der respektlose Umgang mit der eigenen Geschichte und den aus ihr hervorgegangenen Wertvorstellungen, die nun als überlebt angesehen wurden, basiert auf einer radikalen, mitunter grimmigen Illusionslosigkeit. Ähnlich wie bei uns in den sechziger Jahren Subjektivität als entscheidendes Movens ins Spiel gebracht wurde, das dann die Entwicklung spürbar vorantrieb, entdeckten das die jungen Lyriker aus dem Banat und aus Siebenbürgen, die fast ausnahmslos ein Germanistikstudium (in Rumänien) absolvierten, auch für sich. Man wollte nicht länger selbstgenügsam im insularen Denken verharren. Der Blick war über die Landesgrenzen gerichtet. Die Weltoffenneit äußerte sich in einem wahren Rezeptionsüberschwang. Bei der Vermittlung wichtiger zeitgenössischer Strömungen europäischer und außereuropäischer Literatur leistete die Bukarester Literaturzeitschrift Neue Literatur Beispielhaftes. Das gestiegene Selbstbewußtsein ermöglichte dann auch eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Geschichte. Der nicht zu stillende Hunger nach Welt sorgte für Reibungsfläche, ebenso die unabweisbare Gewißheit von der historischen Perspektivlosigkeit einer deutschen Sprachgemeinschaft, der schmerzliche insulare Auflösungsprozeß: das Ende zum Greifen nahe, nicht mehr aufzuhalten. Hinter jedem Gedicht, hinter jeder Zeile die Gewißheit: „Ein Kapitel achthundertjähriger südosteuropäischer Siedlungsgeschichte wird in Kürze abgeschlossen.“ Unter diesen Bedingungen bleibt das Echo der ohnehin in konservativen Denkformen und -mustern verwurzelten Landbevölkerung, die das Kernstück der beiden Sprachinseln bildet, auf den literarischen Umbruch und Neuansatz gering.
Was generalisierend gesagt wurde, gilt im besonderen Maße für Franz Hodjak. Darüber hinaus geht es ihm aber auch um den Konnex von deutscher und rumänischer Literatur, es gibt da für ihn keine Trennlinie. Eines seiner schönsten Gedichte hat er dem Dichter A.E. Baconsky gewidmet, der beim Erdbeben in Bukarest ums Leben kam. Franz Hodjak hat aus dem Ungarischen und Rumänischen übersetzt, in letzter Zeit zunehmend für DDR-Verlage. Und vice versa sind in beiden Sprachen auch Auswahlbände seiner Gedichte erschienen. Ein beredtes Zeugnis für seine Leistungen als Mittler zwischen rumänischer und deutscher Literatur sind die zahlreichen Nachdichtungen, die in der DDR bisher nur zu einem geringen Teil publik geworden sind, darunter Gedichte von Ion Barbu, Ion Vinea, Mircu Radu Paraschivescu, Eugen Jebeleanu, A.E. Baconsky, Ion Brad, Ion Horea, Nichita Stanescu, Aurel Rău, Adrian Popescu.
Mit akribischer Gründlichkeit hat Franz Hodjak die Entwicklung der Lyrik unseres Landes beobachtet, aufgenommen und per Distanz nachvollzogen. Keine andere Literatur hat ihn in seinen Intentionen, bei der Transformierung und Fermentierung seines engagierten Programms so nachhaltig bestärkt und langzeitlich motiviert. Bertolt Brecht gehört zu seinen prägenden Vorbildern. Die Namen Franz Fühmann und Volker Braun stehen stellvertretend für viele andere. Sein uns gar nicht fremd anmutendes gestisches Sprechen, das für seine Gedichte charakteristisch geworden ist, hat wohl mit dieser Vertrautheit und langwährenden Verbundenheit ursächlich zu tun. Soweit zu sehen ist, hat er das Porträtgedicht als erster in die rumänische Literatur eingeführt. Auch dies dürfte dieser Passion zu danken sein. Nach Frieder Schuller und Joachim Wittstock hat er einen neuen, niveauvolleren Typus von Landschaftsgedicht für seinen Bereich geformt, in dem Geschichtsbewußtsein und erfahrene soziale Wirklichkeit gleichermaßen präsent sind und reflektierend bewältigt werden. Auch hier gibt es Übereinstimmung auf bilateraler Ebene, und, darin liegt für einen „hinter sieben Burgen und Bergen“ lebenden Schriftsteller die erstaunliche Leistung, dies nun nicht mehr im Nachtrab, sondern phasengleich oder dicht auf: auf der Höhe der Zeit.
Hodjaks Gedichte rühren an und machen betroffen, da es immer um die „nackte Wahrheit“ geht. Sie reihen sich tagebuchartig aneinander, am deutlichsten wird dies in jenen Gedichten, die mit einem Datum überschrieben sind, und bilden in dieser Kettenform jeweils Punkte der Existenzbestimmung. Und zwar einer prägnanten, sinnerhellenden Bestimmung, die auf Bewältigung aus ist. Er bedient sich dabei der verschiedensten Formen. Auch die Stoffülle scheint unerschöpflich. Ob er in soziologischen Charakterstudien von Anpassern oder „glatten Zeitgenossen“, wie er sie sarkastisch nennt, Gegenbilder entwirft, ob er seinen Identifikationsgestalten Grabsteine setzt, ob er die seinen Freiraum bildende rumänische Landschaft, über die er bislang nie hinausgelangen durfte, als scharf belichtete Wirklichkeitsausschnitte sichtbar macht – fast immer gelingt es ihm, das Gedicht mit einer Aura zu umgeben. Obwohl er Gedichte schreibt, als ob er mit ihnen ein Tagebuch (vor-)führt, steht jedes Gedicht fest für sich. Seine stärksten Texte versiegelt er mit einer Sentenz oder einer Pointe, in der ein symbolträchtiges Gleichnis aufscheint. Einige wenige ihn umgebende Dinge genügen, um die mit ihnen unweigerlich existentiell verbundenen eigenen Lebensbedingungen blitzartig aufzucken zu lassen, in einer lakonisch gebändigten Sprache, die auf leichten Füßen kommt und alles wie nebenher sagt. Der da mit Pablo Neruda durch den Regen läuft, um die Wahrheit zu erkunden, der sich in diesen Gedichten mehrfach auf Gotthold Ephraim Lessing beruft und Heinrich Heine despektierlich-ironisch Reverenz erweist und auch sonst seine Gewährsleute offenherzig ins Spiel bringt – er läßt uns an seiner existentiellen Betroffenheit teilhaben. Der Mahner, der Aufklärer ist unterwegs zu neuen Gesprächspartnern. Der Germanist und Freund Peter Motzan resümierte in seinem Abriß der Rumäniendeutschen Lyrik nach 1944:

Diese Gedichte konstruieren keine erstrebenswerten Existenzmodelle, sondern leben aus der Freiheit und der sanften Kraft der Illusionslosigkeit. Die Phantasie verwandelt das Erlebnis immer in ein Kunstprodukt mit präzisen Umrissen.

Wulf Kirsten, Nachwort

 

Da handhabt einer,

fern auf dem Balkan, die uns geläufige Sprache erstaunlich unangestrengt, unverkrampft, als wäre dieser leichtfüßige Redeton das Selbstverständlichste von der Welt. Die Tonlage mit ihrer elegischen Grundierung wirkt kein bißchen fremd oder gar exotisch. Von Ehrfurcht vor lange gehüteten Traditionen will sie nichts mehr wissen. Jenes Pathos, dem der Brustton der Überzeugung beigemischt ist, verabscheut sie wie der Teufel das Weihwasser. Der despektierliche ironische Unterton, der teils in, teils zwischen den Zeilen mitschwingt oder in die Parabeln fährt, kommt vornehmlich von Heine her. Im Kontrapunktieren und im Umgang mit dem Paradoxon – als Mittel der Aufrauhung, des Aufbrechens verkrusteter Strukturen – ist Hodjak bei Brecht in die Lehre gegangen. Bei der Wahrheitsfindung, von der er nicht lassen will, beruft sich der Spätaufklärer nachdrücklich auf Lessing. Mit Neruda und Majakowski redet er, als wären sie seinesgleichen. Sie alle und einige mehr gelten ihm als Brüder im Geiste. Ihre Einflüsse hat er eingeschmolzen in eigene Sprache, der nichts geblieben ist vom „Marmordeutsch“ und von provinzieller Enge, zu denen Sprachinseln gemeinhin verurteilt sind. Was die Gedichte zu sagen haben, macht betroffen. Betroffen vor allem deshalb, weil sie unmittelbar, ohne Trennschicht, auf die existentiellen Probleme alltäglichen Lebens reagieren, das auch das unsere sein könnte.

Wulf Kirsten, Aufbau Verlag, Klappentext, 1988

 

Zu Hause in Siebenbürgen, beheimatet im deutschen Sprachraum

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Dieses Buch ist eine optimistische Erscheinung. Es drängt die willkommene Hoffnung auf, solche haltbaren Verse wie die von Franz Hodjak könnten womöglich am Ende das Ende der deutschen Literatur in Rumänien aufhalten. Gibt es doch, in der Summe gesehen, noch bemerkenswerte poetische Stimmkraft im deutschen Sprachraum des Rumänenstaates. So erschienen 1988, im selben Jahr, in dem die 1963 begonnene Auswanderung einen ungefeierten Jahrestag beging, in Rumänien außer Franz Hodjaks neuem (und sechstem) Gedichtband luftveränderung, die Gedichte von fünf Debütanten in der Anthologie Der zweite Horizont, die eine lesenswerte Sammlung darstellt, die im übrigen von Franz Hodjak als Lektor des Dacia Verlages redaktionell betreut wurde und die das Niveau früherer Lyrikanthologien nach Möglichkeit zu halten sucht. Und wie die Verse jener früheren Sammlungen sind auch die neuen Gedichte in der Hauptsache vom alten Thema getragen, dem Thema Heimat, erklärt zur „Wortburg“, zum „Immerbleib“ (Hella Bara), denn groß ist die Angst, daß Gehen Vergehen bedeuten könnte. 12.000 Deutschstämmige verlassen jährlich ihre Heimat, das Zuhause von Generationen. Der Koffer wird zur schäbigen Scholle Land. Doch wie „sieben Sachen“ sind die sieben Burgen nicht einzupacken. Dies sehen Poeten voraus, und wohl darum „erleben sie ihre Biographie harmvoll“ (Helmut Britz). Sie wissen, daß „Minderheit“ ein schmerzliches Reimwort auf „Minder-Wertigkeit“ ist und sehen im „Anders rauschen die Wasser“ der Väter (Meschendörfer: „Anders rauschen die Brunnen“) unversiegte „Tränen“ treiben.

2
Franz Hodjak, 1944 im Jahr des siegreichen Aufstandes gegen die Antonescu-Diktatur geboren, steht mit Biographie und Werk für die jüngste Vergangenheit der Rumäniendeutschen. Der Verweis auf Einschulung und späte Geburt im Gedicht „autobiographie“ klingt bewußt wie eine Schutzbehauptung:

die schulen habe ich alle
nach vierundvierzig besucht

Der Siebenbürger Hodjak weiß, wovon er spricht. Gilt doch das Jahr 1944 als historische Jahreszahl für den unheilvollen Einschnitt in der Geschichte der bis dahin erst wenige Jahre bestehenden Vereinigung der Deutschstämmigen im Staatsreich Rumänien. Eine Vereinigung, die gebildet aus den Siebenbürger Sachsen, den Banater und Samather Schwaben sowie den Dobrudscha- und Bukowinadeutschen, den Begriff rumäniendeutsch erst entstehen ließ. Aus der Donaumonarchie war nach den Maßstäben der ersten Weltkriegskarte Europas ein Staatsgebilde entstanden, das ab 1940 bereits von den deutschen Wehrmachts-Kartographen als Bündnisbereich umrissen wurde und bald schon wirtschaftlich, politisch und schließlich auch territoriell (mit dem verfügten Abtreten Nordsiebenbürgens an Ungarn) in den Herrschaftsbereich Hitlerdeutschlands geraten war. Und dies hatte die verheerende Folge, daß das bewahrte Deutschtum in Rumänien vom verderblichen Nationalismus infiziert wurde und viele Auslandsdeutsche auf einmal deutscher als deutsch sein wollten. Und die unter Waffen kamen, kamen auch unter die Moral der Waffen. Allein 300 Rumäniendeutsche gehörten in Auschwitz zur Wachmannschaft. „Der Apotheker meiner Heimatstadt Schäßburg verwaltete das Zyklon B“, schreibt 1988 in der Zeit, Nr. 42, der ehemalige Redakteur der deutschsprachigen Zeitschrift Neue Literatur Dieter Schlesak, der 1969 ausgewandert ist. Und er fügt diesen bedenkenswerten Vergleich hinzu:

60.000 Banater und Siebenbürger dienten in Himmlers Armee. Ihr „Heil“–Geschrei war der Grabgesang der Rumäniendeutschen.

Die Repressalien, die die Deutschen nach 1944 in Rumänien trafen, gehörten zum Ergebnis dieses von Deutschen begonnenen Völkermordes. Und wenn auch die beständige Einwanderung Rumäniendeutscher in die Bundesrepublik Deutschland vielfach der anhaltenden Diskrepanz zwischen dem grenzenlosen Mutterland und der beschränkten Muttererde geschuldet ist und der Landwechsel wiederum das Verlangen nach einem besseren Leben ausdrückt, so ist dieser Bruch von der Jahrhundertheimat auch entstanden unter dem Druck von Schuld und Mitschuld.

3
Die Gedichte Franz Hodjaks sind grundiert von dieser Geschichte. Ohne Wehklage über Verfall oder Rückwanderung zu sein, klingt in dieser Dichtung die Tonlage des entleerten Zukunftbegriffes an. Wie eine Legende klingt die Erinnerung an eine Zeit, in der, „wenn die zukunft greifbar nah schien“, nur „der arm zu kurz“ war („grabrede“). Sind doch längst die Burgen heruntergekommen und „die wände geschmückt / mit den wappen der feuchtigkeit“. Es findet keine Erneuerung statt, es wird bestenfalls „end- / gültig renoviert“; und „gesegnet von seiner hoheit dem moderduft“ steht „die burg trotzig und erschöpft wie / ein greiser bauer“ („kelling“). „die zeit schläft weich gebettet in den seiten der chronik“ („bergschule in schäßburg“); und Hodjak, der Bilder sieht, ist dieser Zeit Chronist. Seine Order lautet: „sich heranschreiben gerade / durch die chronik des staubs“. „die steine lallen“, heißt es im Gedicht „rosenauer burg“, „aus einem schlaf in den anderen es gibt / keinen türken der sie aufschreckt / der pfiff einer fernen lokomotive nur / ruft zurück / in die gegenwart: hinter / flugbereiten mauern hinter abgereisten / türmen und toren blickt stolz / auf sich selbst / die hinterlassenschaft einer goldenen / zukunft: zermalmt und verschluckt und / verdaut von dem allgegenwärtigen / vergessen das / zuweilen uns zeichen sendet wie zufriedenes / rülpsen“. Ein Sarkasmus, mit dem sich Hodjak sicher keine Freunde macht unter seinen Deutschlandsleuten, die die gute alte Zeit besungen haben wollen, daß sie für die Dauer eines Liedes wieder existiere. Und wohl darum hat Franz Hodjak nach den Proben der Gedichtbände Brachland (1970) und Spielräume (1974) schließlich den Beweggrund seines Schreibens als „allgemeine aufforderung“ bezeichnet. Im 1976 veröffentlichten Gedicht des Bandes Offene Briefe hält es Hodjak für vordringlich: „aus der enge der redensarten / auszubrechen“ und „beim wort nehmen / den weg und auch was / am weg steht“ (…) und „die geflügelten sätze rupfen daß die federn fliegen / sehn wie sieht die nackte wahrheit aus“. Und bei solcherart praktiziertem Federlesen mutet nur zwölf Jahre später der Hinweis aus dem sechsten Abschnitt der „allgemeine(n) aufforderung“ wie ein Vers in Hodjaks eigenes Stammbuch an:

die landschaft der worte sei keine
sanfte gegend
mit stillen sammelplätzchen
ansichtskartenidyll

Denn sanft, im Sinne von den Anschein der Dinge zu besänftigen, ist Hodjaks Sprache auch fortan nicht. Seine Chronischen Worte sind und bleiben erdverbunden, Partikel aus dem Staub der Feldraine und Asphaltstraßen, und halten sich nicht aus der Höhe von Sänften den Unebenheiten dieser Welt fern. Im späteren Gedicht „michelsberger burg 2“ (von Herausgeber Wulf Kirsten ausgewählt aus den Vorabdrucken des jüngsten Bandes luftveränderung) nimmt Franz Hodjak deutlichen Bezug auf sein 1976 erschienenes Gedicht „michelsberger burg“. Ein Vergleich beider Texte (auch unter Einbeziehung des liedhaften Gedichts „michelsberger abendidyll“) ist für den Leser gewiß von besonderem Reiz, wird doch im ersten Text das Urteil über die Michelsberger Burg noch deutlich in der Schwebe gehalten, im Ungewissen („den weg hinauf windet sich / als versuchte er immer wieder / einer ahnung auszuweichen“), während der zweite Text schon nicht mehr fragt, „ob die burg emporsteigt / aus der vergangenheit oder darin / versinkt“, sondern bereits die „wehrmauern“ nur noch als „dekor“ ansieht, inmitten der „abgeschnittenen und umgeleiteten wege“. Was Hodjak schließlich auf die schöne Schlußfolgerung bringt: „durch die schießscharten (…) in den frieden“ zu „gucken“. Eine Aussichtsweise, die auf das Erkennbare zielt und deren Ergebnis sicher vom Kenner und Beförderer rumäniendeutscher Lyrik, dem inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Klausenburger Germanisten Peter Motzan, in die schütter werdende Reihe der „Musterbeispiele für ästhetische Potenz“ aufgenommen würde, entspricht es doch ganz dessen damaliger Kennzeichnung für Gedichte, die „das vertraute Objekt sicher in den modernen Griff bekommen, klarblickend und doch irgendwie verträumt, gezielt und doch phantasievoll ausschweifend. Erfahren wird Geschichte“, so Peter Motzan in seinem umfangreichen Aufsatz „Die Rumäniendeutsehe Lyrik nach 1944“, „wie sie dem heutigen Betrachter entgegentritt, der Verblichenes von Weiterwirkendem scheidet“.

4
Wulf Kirsten, der Herausgeber und vor allem Auswähler der Gedichte aus Hodjaks rund zwanzigjährigem Schaffen, hat dem deutschen Dichter aus Rumänien in seinem „Nachsatz“ die Gabe bescheinigt, daß er „die seinen Freiraum bildende rumänische Landschaft (…) als scharf belichtete Wirklichkeitsausschnitte sichtbar macht“, und es ihm zudem „fast immer gelingt“, „das Gedicht mit einer Aura zu umgeben“. Ein Urteil, das von genanntem Peter Motzan kommt, der Franz Hodjaks Schreiben seit dessen Anfängen wertend begleitet hat und schon früh, das heißt nach Kenntnis der ersten beiden Lyrikbände Franz Hodjaks, dessen Stimme im Chor der Talente (Rolf Bossert, Anemone Latzina, Richard Wagner u.a. – nachzulesen in der Anthologie Der Herbst stöbert in den Blättern, Berlin 1984) herauszuhören gewillt war. Denn Peter Motzan verweist in den siebziger Jahren schon gültig auf Franz Hodjaks „Vorliebe für ,Geschichten‘“, die „auf exemplarische Bedeutung und ,Relevanz‘ abgestimmt“ sind, und auf dessen sichtbares Bemühen um „metaphorische Anschaulichkeit“, bei aller „variationsreichen Rhetorik“, „gezügelten Phantastik“ und „Integration livresker“ (? – wohl ausschmückender) „Elemente“. Hilfreich für eine genaue Bewertung der rumäniendeutschen Lyrik der Gegenwart war zu diesem Zeitpunkt sicherlich auch das zu dieser Zeit besonders wache Selbstverständnis der rumäniendeutschen Dichtung, die die alten Weisen auf dem neuen Instrumentarium nicht mehr zu spielen vermochte. Um aus dem „Dilemma zwischen stoffschwerer Heimatverbundenheit und anempfundener Bildungsdichtung“ (Motzan) auszubrechen, entdeckten die Jungen in den sechziger Jahren für sich viele Väter auf einmal: Brecht, Celan, Eich und den Theoretiker Hugo Friedrich, dessen Struktur der modernen Lyrik ins Rumänische übersetzt worden ist. Der Austausch untereinander war ihnen Antrieb; was der eine gelesen hatte, hörte der andere. Alle gingen sie annähernd den gleichen Bildungsweg: Abitur und Studium der Germanistik. Und alle waren sie (wie an altdeutschen Schulen) mit Eintritt ins Gymnasium schon belesen. Gedichte gehörten zum Lehrprogramm. Becher; Benn; Bachmann; Braun; Czechowski; Fühmann; Grass; Hermlin; Enzensberger; Rühmkorf; Krolow; Mickel; Kirsch, R.; Kirsch, S. standen für sie selbstverständlich nebeneinander (wie Platen und Heine) im Lesebuch der Oberschule, waren ihnen als Schüler Schulstoff und Muster zugleich. Kein Grund also, diese hinter den sieben Burgen lebenden und so geschulten Literaten, und hier namentlich Franz Hodjak, hinter dem Mond zu wähnen, wie es in Wulf Kirstens Nachwort den Anschein hat, wenn er es für eine „erstaunliche Leistung“ hält, wenn ein „hinter sieben Burgen und Bergen lebender Schriftsteller nicht mehr im Nachtrab, sondern phasengleich oder dichtauf: auf der Höhe der Zeit“ ist.

5
Hodjak ist, wie gesagt, auf der Höhe seiner Zeit. Der Siebenbürger spricht als Weltbürger, auch wenn er sein Burgenland erst nach Erscheinen und aus Anlaß dieser Auswahl Ende ’88 für eine Lesereise verlassen darf. Vorher und voraus schickt er seine Gedanken in die Welt und schließlich auch die seine Welt beinhaltenden Gedichte (1982 erhielt er das Mannheimer Stadtschreiberstipendium; 1987 erschien im Verlag Neues Leben ein Poesiealbum). Dabei muß Franz Hodjak sehr genau in sich hineinhören, will er in deutscher Sprache sein. Denn er ist in Cluj-Napoca umgeben von Rumänen und mitwohnenden Ungarn. So daß er, beschäftigt in einem rumänischen Verlag und verheiratet mit einer Ungarin, oftmals nur mit seiner schulkindlichen Tochter (einfache) deutsche Worte wechseln kann. Hodjak trägt also seine Heimat vor allem auf der Zunge. Er ist zu Hause in der Literatur und beheimatet im deutschen Sprachraum. Er ist zuerst Literat und dann deutschschreibender Rumäne. Die bedeutenden Leistungen der rumänischen Avantgarde (jüngst erschienen und zum Teil auch von Hodjak übertragen bei Reclam), seine eigene Übersetzertätigkeit und die bemerkenswerte literarische Gegenwart (Marin Sorescu, Anghel Dumbraveanu…) erleichtern Franz Hodjak den Umgang mit seinem verqueren Selbstverständnis. Dabei sitzt er nicht ungebrochen auf dem Balkan und sagt sich, „du bist da, / wo du bist“ und „klopfst mit dem bleistift an die wolken, / an die ewigkeit und an alle / andern / argumente, / lebst, versuchst es, / schreibst“ („flieder im ohr“). Vielmehr stellt er Beziehungen her zu Dichtern seiner Art, sucht den Dialog mit zum Beispiel Neruda, Trakl, Brecht. Von letzterem hat er sich etwas die dialektische Schreibweise abgesehen und von Heine einige Manieren. Auch steht ihm mitunter villonscher Schaum vorm Mund: „unter weintischen / geschnarcht / und gerülpst / und stets geliebt / wie mir / der vogel gewachsen“ („villons testament“), oder minimiert er sich sein in den Sonetten um vieles größer gezeigtes „liebes maß“ aus Reimlust selbst:

etwas schnaps in den tassen
etwas wein in den krügen
ein paar sorgen so leicht wie schwer
und ein bett wo wir uns zärtlich belügen
was wollen wir mehr

Das aber sind passierte Ausnahmen. Die Regel ist das gearbeitete Gedicht. Hodjak beherrscht virtuos die Spiel-Regeln der Lyrik, geschickt „verwandelt“ er „das Erlebnis immer in ein Kunstprodukt mit präzisen Umrissen“ (Motzan). Mit seiner gekonnten „siebenbürgischen sprechübung“ hat er sich nun auch hier in das Register der Lyrik eingetragen. Er ist eine Entdeckung für uns. Sein Name verbindet sich jetzt mit Erwartung.

Ralph Grüneberger, Juli/August 1989, Sinn und Form, Heft 3, Mai/Juni 1990

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Anke Pfeifer: Franz Hodjak: Sehnsucht nach Feigenschnaps. Ausgewählte Gedichte
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 11.6.1989

Norbert Mecklenburg: Sprachtrümmerfelder. Zwei Gedichtbände aus deutschsprachigen Randregionen
Neue Zürcher Zeitung, 18./19.6.1989

 

Alexandru Bulucz: Erleidenslyrik

„Der Raum hat mich geprägt“: Interview mit Franz Hodjak in Usingen

Eine Lesung von Franz Hodjak aus unveröffentlichten Texten und ein Gespräch mit den Autoren Werner Söllner und Peter Motzan am 27.5.1992 im LCB.

 

 

Enikő Dácz spricht mit Franz Hodjak über Die Erfahrung der Bewegung

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Peter Motzan: „Ich wohne in einem Türrahmen“
Ostragehege, Heft 35, 2004

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Tom Schulz: Sehnsucht nach Feigenschnaps
Neue Zürcher Zeitung, 26.9.2014

Georg Aescht: Mühlen antreiben, doch welche? Franz Hodjak (70) weiß Letzteres nicht und tut Ersteres erst recht
Siebenbürgische Zeitung, 19.10.2014

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLG
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts + Keystone-SDA +
Brigitte Friedrich Autorenfotos
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Franz Hodjaks Laudatio zum Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis 2013 in der St.-Pauls-Kirche Dinkelsbühl.

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