Friederike Mayröcker: Liebesgedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Friederike Mayröcker: Liebesgedichte

Mayröcker-Liebesgedichte

FÜR ERNST JANDL

ich hänge jetzt an der Flasche sagt er
rufe dich an wenn die Infusion vorüber ist sagt er
Sie werden nur grüne Tücher sehen und vermummte
Gestalten sagt der Chirurg
ich flüchte in die Spitalskapelle die Hostie
der Psychopharmaka unter der Zunge.
ein Häufchen Blume ein Häufchen Schnee, der Tod sage ich
diese vertrackte Haarnadelkurve eine Frivolität eine Verdammung
aaaaasage ich
ich bin schon nicht mehr bei Sinnen, schwimme
in seinen Augen ein angelfüchsischer Traum
vom Himmel auf die gesprenkelte Erde herab sehe ich
die Haare waren Spinnweben plötzlich in seinem
Nacken über welchem das Hemd offenstand lange verblaszte
Haare in seinem Nacken ich schlang eines um meine Finger
zärtliche Wickel des Lichts nämlich auch Niederflur
oder die anderswo weiszen Veilchen.

 

 

 

Nachwort

Liebesgedichte aus Jahrzehnten, Mayröckerworte, Anarchistinnenpoesie. Wie heißt es in brütt oder Die seufzenden Gärten? „Alles scheint Feuer gefangen.“ Eine sonderbare kurze Ewigkeit lang steht der Sinn auf der Kippe, doch das Wesen der Worte weiß, wohin es will, und spricht das Selbst an, bis das Selbst zu sich selbst spricht:

ach wie die Zeit unserer Liebe gestundet ist
und wie das Masz endlicher Zärtlichkeit ungewisz
Liebe trägt Zeit fort
auf ihren schönen schillernden Flügeln
Zeit trägt Liebe fort
vergessend vergeudend als wäre sie nie gewesen
wie bin ich allein

Und wenn die Liebe nicht stark wie der Tod ist, so ist die Liebe nicht. Und das „Liebes-Werk“, es ist vor allem und immer wieder und immerzu „Eine jauchzende Vergeblichkeit / also“.
In dem Gedicht „Fotografie“ schreibt FM für EJ, den Dichter, den Liebesmenschen, den Todgestorbenen: „dein! Blutstrom flieszt in meinen Blutstrom über / dann in verwilderter Unsterblichkeit von Liebe“. Ihren Blick in seinem, haben alle Worte einen doppelten Sinn, den einen in dieser, den andern in jener Welt.
Mayröcker hat den meisten Lesern den Schmerz voraus, den Schmerz, vor dem jeder Angst hat, die Angst des Ich vor dem Tod des Du. Sie steigt tief hinab in den Schmerz, und das Wiedererstehen des Geliebten in ihrem Innersten gelingt. Schreiben als magische Handlung, Schreiben als Anrufung, eine Totenklage, eine Lebenslage, eine Liebesbeglückung. Die Wortschwingung ist hoch, der Regenbogen wandelt sich in reines Weiß, „im Zentrum des Schreibens und Schreiens“ steht EJ und leuchtet.
Ich will Mayröckers Worten folgen, ihnen nachgehn, bis ins Hernach. Denn es geht um das Schreiben als Leben und Lieben, es geht um die Verantwortung für die Worte, Entscheidungen auf Lieben und Tod.

Ulla Berkéwicz, Nachwort

 

Die Liebe

ist das Herzstück von Friederike Mayröckers Dichtung, sie ist jener Ur- und Ausnahmezustand, dem nur die Beseelung des Schreibens gleichkommt: sie verzaubert und beflügelt, enthebt von Raum und Zeit und führt doch mitten ins Dasein. Das Glück aber ist nur gestundet, und das „Liebes-Werk“ vor allem dies: „Eine jauchzende Vergeblichkeit, / also.“ Die vorliegende Auswahl umfaßt Liebesgedichte aus sechs Jahrzehnten; einige der bewegendsten verdanken sich Mayröckers poetischem Trotz wider den endgültigen Verlust des Geliebten, des 2000 verstorbenen Ernst Jandl.

Friederike Mayröckers Gedichtbände tragen Titel wie Sägespäne für mein Herzbluten, In langsamen Blitzen oder schwarze romanzen, und die Liebe ist ihr Medium: die Mitte, der Stoff, das Mittel ihrer Sprache. Ulla Berkéwicz hat aus dem großen „Lebendgedicht“, an dem Mayröcker seit über sechs Jahrzehnten schreibt, die persönlichsten und zugleich zeitlosesten Liebesgedichte ausgewählt.

Insel Verlag, Klappentext, 2006

 

Friederike, Lehrerin

– Nach einer Umfrage unter 333 Personen (im Rahmen der Initiative für wahre Schönheit des Jahrs 2014) sind sich 2 von 3 Befragten in einem einig. –

Nach einer Umfrage unter 333 Personen (im Rahmen der Initiative für wahre Schönheit des Jahrs 2014) sind sich 2 von 3 Befragten in einem einig: eine intensive Friederike-Mayröcker-Lektüre ist die beste Nahrung für die vertrocknete Seele zweierlei/dreierlei/mehrerlei Geschlechts, und sie (diese Lektüre) lindert auch die etwaigen Begleiterscheinungen solch unproduktiver Psycho-Zustände, welche sich in Haltung und Physiognomie unvorteilhaft widerspiegeln, testen Sie noch heute dieses Pflegeprogramm für Ihr Inneres und Äußeres auf dem Königsweg der Selbstlektüre!
Friederike Mayröckers einzigartige Kombination von suggestivem Sprachstil und aufbauender Geistesnahrung (oft unerwartet, rätselhaft, ja paradox dargeboten) wird die als trostlos empfundene Ödnis Ihres seelischen Interieurs verschwinden machen und in eine durchgehend positive Grundbefindlichkeit umwandeln, ankernd im Hier und Jetzt der Erscheinungen und deren kühner Benennung sowie sprachlicher Durchdringung, in einer motivischen Repetitionstechnik ohne mechanisch wummernde Basslinien, dafür in hoffnungsfroh wiederkehrenden Neuansätzen der Oberstimmen und in diskreten Aufforderungen aus den verhallenden Echos heraus, sofern man sich die dafür nötige NachhallHörZeit nimmt, das sind im weitesten Sinn transmoralische Appelle ganz ohne das gewohnte: „man merkt die Absicht und ist verstimmt“, dafür tun sich im Idealfall punktuell Blicke durchs visionäre Fenster in eine andere Wirklichkeit auf, halluzinatorisch.
Während solcher Lektüre-Kur voll berückender Schönheit und heilsamer Stärkung der Aura (vergleichbar mit minutenlangem Verharren in der Gabel eines Zwieselbaums) kann es da und dort zur verblüffenden Einsicht kommen: dass nämlich in dem von FM vorgegebenen poetischen Rahmen präzise Ansprachen ganz persönlich an die derart kurende Person gerichtet sind und virulent werden, obwohl doch jeder betroffenen Patientin klar sein muss, dass die Autorin vom Zustand der aktuellen Leserin zu deren Lektürezeitpunkt gar nichts wissen kann. Ein System von namentlichen, initialisierten, auch anonymisierten, gar irreführenden Widmungen und Zuschreibungen könnte dieses Klima des persönlich-Angesprochenseins miterzeugt haben, da komm ich ja drinnen vor: könnte jemand in solchem Fall unqualifiziert auszurufen sich veranlasst fühlen, oder mitnichten reflektierter flüstern: mea res agitur.
Besagte Kur beginnt nach einem MarmorstaubPeeling durch fremde kompetente Hand mit intensiver SelbstTherapie mittels sprachkommentargestützter Lotion, neologistischer Handcreme und oberhautdurchdringender BodyButter am besten capriler Produktion (Stichwort:Schweizer Ziegenbutter), kombiniert mit eigenen verbalen Essenzen, Extrakten, Exzerpten, u.z. in einem Pflegevorgang, der einem bald zur zweiten Natur geworden sein wird, Frage: warum sollte es Ihnen nicht genauso wie anderen mitschwingenden Seelen gehen, dass Sie nämlich gar nicht mehr auf die heilsame Wirkung solch täglicher Aneignungskur verzichten wollen, im Sinn des bekannten, hier aber vom Sakralen ins Pagane gewendeten benediktinischen Dreischritts: ora, labora et lege (bete, arbeite und lies lies lies, nämlich selbst selbst selbst, wenn dir schon nicht aus fremdem Mund vorgelesen wird).

Bodo Hell, Die Presse, 12.1.22014

 

FÜR FRIEDERIKE
zum Neunzigsten neu aus dem Sommer 1969 geholt

Was der Mann sagt, sagt mir die Woge:
Hör, wie ich mich über dich werfe und in mich
Und reich bin von mir, unerschöpflich, nicht ende
Wie weit du auch denkst.

Hier bin ich und dort, du geh nicht die Wege
Die nackten berandeten Wege, und du brauchst kein Gefährt.

Was ich dem Mann sage, sag ich der Woge:
Ich war weit fort über Land, ohne Gefährt und erschöpft
Ich hörte dich nicht auf den nackten berandeten Wegen
Wie du dich über dich wirfst, dich verwirfst, und nicht endest

Wie du reich bist von dir, unerschöpflich:
Ich geh nicht mehr fort.

Elke Erb

 

 

Theo Breuer: „Wie eine Lumpensammlerin“ – Vermerk zu Friederike Mayröckers Werk nach 2000
poetenladen.de, 20.12.2014

 

Hans Ulrich Obrist spricht über die von ihm kuratierte Ausstellung von Friederike Mayröcker Schutzgeister vom 5.9.2020–10.10.2020 in der Galerie nächst St. Stephan

 

Friederike Mayröcker übersetzen – eine vielstimmige Hommage mit Donna Stonecipher (Englisch), Jean-René Lassalle (Französisch), Julia Kaminskaja (Russisch) und Tanja Petrič, (Slowenisch) sowie mit Übersetzer:innen aus dem internationalen JUNIVERS-Kollektiv: Ali Abdollahi (Persisch), Ton Naaijkens (Niederländisch), Douglas Pompeu (brasilianisches Portugiesisch), Abdulkadir Musa (Kurdisch) und Valentina di Rosa (Italienisch) und Bernard Banoun – im Gespräch mit Marcel Beyer am 6.11.2021 im Literaturhaus Halle.

 

Fest mit WeggefährtInnen zu Ehren von Friederike Mayröcker Mitte Juni 2018 in Wien

Sandra Hoffmann über Friederike Mayröcker bei Fempire präsentiert von Rasha Khayat

Im Juni 1997 trafen sich in der Literaturwerkstatt Berlin zwei der bedeutendsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik: Friederike Mayröcker und Elke Erb.

Protokoll einer Audienz. Otto Brusatti trifft Mayröcker: Ein Kontinent namens F. M.

 

 

Zum 70. Geburtstag der Autorin:

Daniela Riess-Beger: „ein Kopf, zwei Jerusalemtische, ein Traum“
Katalog Lebensveranstaltung : Erfindungen Findungen einer Sprache Friederike Mayröcker, 1994

Ernst Jandl: Rede an Friederike Mayröcker
Ernst Jandl: lechts und rinks, gedichte, statements, perppermints, Luchterhand Verlag, 1995

Zum 75. Geburtstag der Autorin:

Bettina Steiner: Chaos und Form, Magie und Kalkül
Die Presse, 20.12.1999

Oskar Pastior: Rede, eine Überschrift. Wie Bauknecht etwa.
Neue Literatur. Zeitschrift für Querverbindungen, Heft 2, 1995

Johann Holzner: Sprachgewissen unserer Kultur
Die Furche, 16.12.1999

Zum 80. Geburtstag der Autorin:

Nico Bleutge: Das manische Zungenmaterial
Stuttgarter Zeitung, 18.12.2004

Klaus Kastberger: Bettlerin des Wortes
Die Presse, 18.12.2004

Ronald Pohl: Priesterin der entzündeten Sprache
Der Standard, 18./19.12.2004

Michael Braun: Die Engel der Schrift
Der Tagesspiegel, 20.12.2004.
Auch in: Basler Zeitung, 20.12.2004

Gunnar Decker: Nur für Nervenmenschen
Neues Deutschland, 20.12.2004

Jörg Drews: In Böen wechselt mein Sinn
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2004

Sabine Rohlf: Anleitungen zu poetischem Verhalten
Berliner Zeitung, 20.12.2004

Michael Lentz: Die Lebenszeilenfinderin
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.2004

Wendelin Schmidt-Dengler: Friederike Mayröcker

Zum 85. Geburtstag der Autorin:

Elfriede Jelinek, und andere: Wer ist Friederike Mayröcker?
Die Presse, 12.12.2009

Gunnar Decker: Vom Anfang
Neues Deutschland, 19./20.12.2009

Sabine Rohlf: Von der Lust des Worte-Erkennens
Emma, 1.11.2009

Zum 90. Geburtstag der Autorin:

Herbert Fuchs: Sprachmagie
literaturkritik.de, Dezember 2014

Andrea Marggraf: Die Wiener Sprachkünstlerin wird 90
deutschlandradiokultur.de, 12.12.2014

Klaus Kastberger: Ich lebe ich schreibe
Die Presse, 12.12.2014

Maria Renhardt: Manische Hinwendung zur Literatur
Die Furche, 18.12.2014

Barbara Mader: Die Welt bleibt ein Rätsel
Kurier, 16.12.2014

Sebastian Fasthuber: „Ich habe noch viel vor“
falter, Heft 51, 2014

Marcel Beyer: Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag am 20. Dezember 2014
logbuch-suhrkamp.de, 19.1.2.2014

Maja-Maria Becker: schwarz die Quelle, schwarz das Meer
fixpoetry.com, 19.12.2014

Sabine Rohlf: In meinem hohen donnernden Alter
Berliner Zeitung, 19.12.2014

Tobias Lehmkuhl: Lachend über Tränen reden
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2014

Arno Widmann: Es kreuzten Hirsche unsern Weg
Frankfurter Rundschau, 19.12.2014

Nico Bleutge: Die schöne Wirrnis dieser Welt
Der Tagesspiegel, 20.12.2014

Elfriede Czurda: Glückwünsche für Friederike Mayröcker
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Kurt Neumann: Capitaine Fritzi
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Elke Laznia: Friederike Mayröcker
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Hans Eichhorn: Benennen und anstiften
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Barbara Maria Kloos: Stadt, die auf Eisschollen glimmt
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Oswald Egger: Für Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

Péter Esterházy: Für sie
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014

 

 

Wilder, nicht milder. Friederike Mayröcker im Porträt

Zum 93. Geburtstag der Autorin:

Einsame Poetin, elegische Träumerin, ewige Kinderseele
Die Presse, 4.12.2017

Zum 95. Geburtstag der Autorin:

Claudia Schülke: Wenn Verse das Zimmer überwuchern
Badische Zeitung, 19.12.0219

Christiana Puschak: Utopischer Wohnsitz: Sprache
junge Welt, 20.12.2019

Marie Luise Knott: Es lichtet! Für Friederike Mayröcker
perlentaucher.de, 20.12.2019

Herbert Fuchs: „Nur nicht enden möge diese Seligkeit dieses Lebens“
literaturkritik.de, Dezember 2019

Claudia Schülke: Der Kopf ist voll: Alles muss raus!
neues deutschland, 20.12.2019

Mayröcker: „Ich versteh’ gar nicht, wie man so alt werden kann!
Der Standart, 20.12.2019

Zum 96. Geburtstag der Autorin:

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Mayröcker, der“.

 

Friederike Mayröcker – Trailer zum Dokumentarfilm Das Schreiben und das Schweigen.

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