Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Poet’s Corner 12

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Poet’s Corner 12

Stolberg-Poet’s Corner 12

AN DEN ABENDSTERN

Ehmals winktest du mir, Führer des schweigenden
Abends, Freuden herab, kurz, wie sie Sterblichen
aLächeln, farbigen Blasen
aaÄhnlich, hauchender Weste Spiel!

Zwar mir waren sie wert! wert, wie dem lechzenden
Weizenhalme der Tau! aber sie schwanden bald!
aSelten blicket dein Auge
aaNun, und trüber auf mich herab!

Hüllen Schleier dich ein? oder entquellen dir
Tränen? Bist du, wie ich, nagender Traurigkeit
aRaub? Ein Erbe des Jammers?
aaDeine strahlenden Brüder auch?

Ist das blaue Gewand, leuchtender Sonnen voll,
Und mit Monden besät, nur ein Gewebe von
aElend? Tönen die Sphären
aaEiner ewigen Klage Ton?

Oder bin ich allein elend? Du schweigest mir!
Unerbittlich auch du! Dennoch ein Retter einst,
aWenn du bringest den Abend,
aaWelchem folget kein Morgenrot!

 

 

 

Nachbemerkung

Was wissen wir noch von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg? Wenn überhaupt etwas, dann, daß Johann Heinrich Voß ihm 1819 die Schmähschrift „Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?“ entgegenschleuderte, „ein Greis gegen den Greis“. Das Ereignis, worauf sich Voß bezog, lag da schon 19 Jahre zurück, Stolbergs Übertritt vom Protestantismus zum Katholizismus, „aus freier Kindschaft zur unwürdigsten Sklaverei“, wie Voß es nannte.
Dabei war Stolberg neben Hölty der bedeutendste Lyriker des Göttinger Hains, jenes Dichterbundes, der im Zeichen Klopstocks aufklärerische Empfindsamkeit mit durchaus politisch verstandener Freiheitssehnsucht verband. 1772 war Friedrich Leopold Stolberg mit seinem Bruder Christian nach Göttingen gekommen, um Rechtswissenschaften zu studieren. Schnell schlossen sie Freundschaft mit den anderen jungen Dichtern, die sich an der Universität versammelt hatten, mit Johann Friedrich Hahn, Heinrich Christian Boie, Johann Heinrich Voß, Heinrich Christoph Hölty, Karl Friedrich Cramer, Johann Anton Leisewitz, Johann Martin Miller und Friedrich Wilhelm Gotter. Als älterer, fördernder Dichter gesellte sich Bürger zu ihnen – wie Herder sich zu den Dichtern um Goethe in der Mitte und im Süden Deutschlands gesellte. Pflegten die Stürmer und Dränger in Frankfurt und Straßburg vor allem das Drama, so stand bei den Göttingern die Lyrik an erster Stelle; einzig Leisewitz wirkte mit seinem Trauerspiel Julius von Tarent auf die zeitgenössische Dramatik (Schillers Räuber übernahm das Motiv der verfeindeten Brüder).
Im Mai 1775 lernten die Brüder Stolberg in Frankfurt Goethe kennen. ,,Er saß mit uns und wir waren, als hätten wir uns Jahre lang gekannt“, schrieb Christian Stolberg.

Er ist ein wilder, unbändiger, aber sehr guter Junge. Voll Geist, voll Flamme. Und wir lieben uns schon so sehr. Schon sag’ ich. Seit der ersten Stunde waren wir Herzensfreunde. Wir sind bei Gott eine Gesellschaft, wie man sie von Peru bis Indostan umsonst suchen könnte. Und so herrlich schicken wir uns zusammen. In Frankfurt haben wir uns Alle Werthers Uniform machen lassen, einen blauen Rock mit gelber Weste und Hosen; runde graue Hüte haben wir dazu.

Gemeinsam besuchten sie den alten Bodmer in Zürich, einen der wichtigsten Propheten Klopstocks in der Schweiz und Gegner Gottscheds, einen Förderer junger Dichter. Gemeinsam saßen die Stolbergs und Goethe in Lavaters Predigten.
Beide Stolbergs waren Dichter, Genies – wie die Stürmer und Dränger fast alle Genies waren, Friedrich Leopold der Begabtere von beiden. ,,Gefühl des Wahren, Liebe des Schönen“ wohnten in ihm. „Die Sternenbahn“ war ihm „nicht hoch“, „nicht tief“ der Ozean, die Mitternacht war ihm „nicht dunkel“, und die Sonne blendete ihn nicht. Im Gegenteil, das Licht des Olymp war ihm „vertraut“.
Seine Kraft war unbegrenzt, die Liebe zur Freiheit mächtig, und Natur hatte er in sich, Natur war er selbst. 1771 schrieb er gegen das „marklose Jahrhundert“ und seine „seidenen Männchen“ und „kurzsichtigen Vernünftler“, die nur untersuchen und dabei die Nähe zur Natur verlieren. Seinem ersten Kind wollte er folgendes Gebet sprechen:

Gib ihm die menschlichste aller Gaben, die eine göttliche Gabe, gib ihm die Fülle des Herzens!

Fülle des Herzens, das waren zuerst Liebesfähigkeit, Unmittelbarkeit zur Natur und zu Gott.
Die andere Seite des leidenschaftlichen Naturgefühls war die innige Liebe, die Empfindsamkeit, die Sentimentalität der Natur gegenüber. Die „süße, heilige Natur“ sollte den Dichter „wie ein Kind am Gängelband“ leiten (das Bild vom Gängelband übrigens, an dem Gott, die Natur oder die Sonne jemanden leiten, kehrt in Stolbergs Gedichten gelegentlich wieder).
Neben dem genialischen Selbstbewußtsein und der Naturschwärmerei fehlte auch der dritte Bestandteil des Sturm-und Drang-Lebensgefühls bei Stolberg nicht: der Tyrannenhaß. Den Göttinger Dichtern waren solche leidvollen Erfahrungen mit Tyrannenwillkür erspart geblieben, wie sie zum Beispiel Schubart und Schiller hatten machen müssen. Und wenn das revolutionäre Pathos bei den Stolbergs, wie übrigens auch bei dem aus ärmsten Verhältnissen stammenden Voß, durch den feierlichen Odenrhythmus gedämpft war, so war es durchaus lebendig und echt. Auch nach Ausbruch der Französischen Revolution standen die Stolbergs zu den Idealen der allgemeinen Menschenrechte; je grausamer aber die Revolutionäre jenseits des Rheins wurden, desto verschreckter und ängstlicher zogen sich die beiden Grafen zurück. Hier spätestens nahm der Bruch zwischen Friedrich Leopold und seinem vertrauten Freund Voß den Anfang. In den geistigen Wirren der Revolutionszeit, in den ungelösten Menschheitsproblemen, deren Dringlichkeit durch die Revolution unübersehbar geworden war, lag auch ein Grund für Stolbergs Hinwendung zum Katholizismus.
1788 war seine Frau Agnes gestorben. „Der stille Bach meines Lebens, auf welchem ich überselig im kleinen Nachen umherfuhr, ist versiegt, und mir bleibt nur das große Meer übrig, auf das ich mich, nicht aus Wahl der Neigung und der Notwendigkeit wage“, schrieb er. Zwar heiratete er 1790 ein zweites Mal, zwar wurde auch diese Ehe glücklich, aber der Glanz der Agnes-Zeit war unwiederholbar.
Stolberg wurde in den letzten Jahren des Jahrhunderts innerlich umhergetrieben. Der Übertritt zum Katholizismus, den er am 1. Juni 1800 mit seiner ganzen Familie vollzog, ausgenommen die älteste Tochter, brachte ihm den erhofften Seelenfrieden. Er wurde wirklich ruhig, er wurde wirklich froh, und – er dichtete nicht mehr. Das heißt, er schrieb schon noch, aber es war belanglos, als Dichtung wertlos. Lediglich während der Befreiungskriege, zwischen 1812 und 1814, wurde seine Muse noch einmal lebendig, aber die Schönheit und die Kraft der früheren Gedichte erreichte er nicht mehr.
Stolberg hatte seinen Frieden mit der Welt und mit Gott gemacht. Der schmerzhafte Riß, der durch die Welt geht und damit auch durch jedes Menschen Leben, hatte sich für ihn geschlossen. Nur aus diesem Schmerz aber entsteht die Kunst.
Stolberg ist nicht als Dichter verstummt, weil er katholisch wurde (es gibt genügend Beispiele dafür, daß der Übertritt zum Katholizismus schöpferische Kräfte freisetzte); sondern ist als Dichter verstummt, weil es für ihn außer Lob- und Dankgesängen nichts mehr zu dichten gab. Alle Fragen waren, wenn schon nicht beantwortet, so wenigstens beantwortbar. Alle Probleme waren lösbar, und jegliches Leid war vorübergehend.
Stolberg hat sich für ein beruhigtes, glückliches (was auch immer das sein mag) Leben entschieden. Das ist ihm zuteil geworden. Er hat sich damit zugleich, wenn auch unbewußt, gegen die Kunst entschieden. Sie hat sich ihm entzogen.
Sollen wir ihn tadeln? Sollen wir ihn beneiden?

Jürgen Israel, Nachwort

 

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