Friedrich Schröder-Sonnenstern: Seelenerkennungsdienst

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Friedrich Schröder-Sonnenstern: Seelenerkennungsdienst

Schröder-Sonnenstern/Schröder-Sonnenstern-Seelenerkennungsdienst

DER MORALISCHE MONDGEISTDICHTERASPIRANT!

Du arroganter Kritzelfloh vom Mondgeistland,
ich geb’e dir allerlei bekannt
beim richtigen Namen nur genannt:
Willst du einmal ein „Dichter“ werden,
dann tue es möglichst schon auf Erden,
da du nicht kannst in Himmel kommen,
weil du blöde öde dich benommen,
was doch nicht ziemt den Himmelsfrommen,
die auserwählt für Himmelswonnen.
Tracht’e nur nach Reichtum, Ehr’e und Ruhm,
sei stolz erhaben übers Huhn.
Tu’e solang geistarm Kleckse machen
bis alle toten Hühner lachen,
vor Begeist’rung sich in’s Röckchen machen.
Und weiter brauchst auch nichts zu tun,
als Fressen, Saufen, Lieben, schnattern
und noch möglichst sehr viel zu ruh’n,
dann wirst bestimmt du ganz immun
auch gegen alle Schicksalstücke,
dein Geist zerbröckelt bald in Stücke
und fällt durch deine Daseinslücke.
Verschweig’e Wahrheit auf alle Fälle,
meide stets das Moralreelle
und schöpf’e nur aus der trübsten Quelle,
das macht dein’n Geist besonders helle,
hast keine Fantasie und keinerlei Einfälle
dann kommst bestimmt schnell von der Stelle,
eh’e dich versiehst, bist schon Geselle,
beim Dichtungshandwerksmeister „Helle“ (geistig unfrei).
Und die Moral von der Geschicht:
Schreib nur ohn’e inneren Drang,
und nichts von eigenem Erleben,
und nie so frei wie’s Herze spricht,
dann wirst bestimmt Stilfabrikant,
der auch oft „Dichter“ wird genannt,
dessen Produkte nur sind Sand.
Schreib technisch nur und mit Verstand,
und wenn Er noch so sauer riecht
und obendrein noch angebrannt.
Nun sag’e: Ist das nicht allerhand.
Tinte, Papier, Mondgeiststreusand,
tu’e das in deine Hirnbratpfanne rein,
du wirst bestimmt riesig begeistert sein.
Ach, grüss’e mir doch die Geistschutzengelein
und frage nach des „Dichtkünstler“ Gewissenspein,
falls ein’s noch tut vorhanden sein.
So sieht das Monddichthandwerk aus,
hängt’s Hinterteil, den Rest Verstand
und Geist vergnügt zu seinem Fenster raus,
und sucht es dann tagein tagaus,
in einem abgebrannten Haus.
Die Hauptsach’e ist für Sie Applaus.
Ich glaub, ich finde mich nicht mehr raus,
ob ich noch komme mal nach Haus?
Zunächst muss ich jetzt schnell mal raus −
Oh’ Mondseidank, nun ist es aus,
es bleibt nur noch ein Wunderstrauss
der leider nicht mehr duften tut,
da er schon auf dem Kehricht ruht.
Trallallala, was beiszt wen da? −

 

 

 

Friedrich Schröder-Sonnenstern

Du kannst als Engel unter Engeln leben,
wirst stets ein Teufel unter Teufeln sein.
Bist du ein Mensch, musst auch als Mensch du leben,
als solcher wird sich Alles dann ergeben.

Für seine Freunde war er ein Universalgenie, einer der einmaligen Künstler in diesem Jahrhundert; für die Boulevardpresse überwiegend ein Original. Und wenn er sich nicht einfach und schlicht „der große Sonnenstern“ nannte oder „der dreifache Weltmeister aller moralischen und angewandten Künste“, dann hat jene andere Bezeichnung, die er sich auch gerne selbst gab, eine absolute Berechtigung: „Sonnenstern, der Mann mit den tausend Gesichtern“.
Am 11. September 1892 wurde Friedrich Schröder im ostpreußischen Kaukehmen in der Nähe von Tilsit als zweites von dreizehn Kindern eines Postillons geboren. Es mag sein, daß er damals mit einem recht eigenwilligen und widerborstigen Charakter schon seinem Schullehrer auffiel, aber es herrschte die Kaiserzeit, und wer auffiel, der wurde zerbrochen oder in eine Außenseiterrolle gedrängt.
Seine Wanderungen durch das schöne Land Ostpreußen zeichnen sich dann auch durch die lebhafte und intensive Anteilnahme seiner Mitmenschen aus: durch Besserungsanstalten, eine erzwungene Gärtnerlehre, Irrenhäuser, Landstreicherei, Arbeit in einem Zirkus, Schmuggel, Haft und – sozusagen als Diplom – die Entlassung aus dem Wehrdienst mit anschließender Entmündigung.
Mit jenem Diplom als „staatliche anerkannter Idiot“ versehen, tauchte er 1919 in Berlin unter dem falschen Namen „Gnass“ auf. Praktisch ein Vogelfreier, begann er hier eine Laufbahn als Wahrsager, Astrologe, magnetopathischer Heiler und Begründer einer Sekte, die zeitweise über zweitausend Mitglieder umfaßte und von deren Anhängern er als „Fürst Eliot I.“ und „Friedrich von Sonnenstern“ gefeiert wurde. Berühmt wurde er in den zwanziger Jahren als „Schrippenfürst von Schöneberg“: Von den Geldern, die seine Anhänger sammelten, kaufte er säckeweise Brot für die hungernden Arbeiterkinder.
Ende der zwanziger Jahre war die Zeit der Propheten vorbei. Nun traf man ihn wieder auf den Berliner Märkten, als Wahrsager und Lebensberater, falls er nicht die Seebäder der Ostsee aufsuchte, wo er in den Vereinsräumen der Gasthäuser Vorträge über von ihm vertriebenen Heilsalze hielt, bis er von der mißgünstigen Ärzteschaft denunziert wurde. Das führte zu einer kurzen Besichtigungsfahrt in den Kieler Knast und danach zu einer längeren Inhaftierung in der Nervenheilanstalt in Neudstadt/Holstein. In dieser Zeit entstanden seine ersten bekannt gewordenen Sternzeichnungen. 1934 in die Nazizeit entlassen, wurde er in einem Luftwaffendepot angestellt. Diese Arbeit dauerte nicht sehr lange; später rätselte alle Welt, durch welche Eulenspiegeleien es Friedrich fertig gebracht hat, allen Gaskammern und Todesspritzen zu entkommen.
Sonnenstern, der sich immer als Prophet und Philosoph in einer verrückt gewordenen Welt verstand, begann nach 1946 in einer nicht zu dämmenden Manie – nur unterbrochen durch die verteufelt harte Arbeit, aus den oft zusammenstürzenden Ruinen Feuerholz zu brechen, das er an seine Kunden verkaufte, um leben zu können −, alle ihm erreichbaren leeren Papierseiten zu beschreiben: Dramen, Gedichte, Parabeln, Märchen, Moritaten, Schlagertexte. Diese gigantische Produktion ist bis auf ganz geringe Reste verloren gegangen.
Parallel dazu entstanden von 1947 bis 1959 farbig kolorierte Farbstiftzeichnungen, meist nicht größer als ein Din-A-4-Format.
Die Maler Juro Kubicek und Hans Bellmer und der Dichter Douard Roditi erkannten die Einzigartigkeit und Größe seiner Kunst und überzeugten den Berliner Galeristen Rudolf Springer. Dieser zeigte 1950 intern seinen Besuchern die ersten Zeichnungen, was für einen absoluten Skandal sorgte. Es war schließlich der Weltenbummler Käpt’n Bilbo, der Sonnenstern dann in seiner Nachtbar öffentlich ausstellte.
Seine ersten Bilder verkaufte der Meister für nur fünf Mark. Das war zu Beginn der fünfziger Jahre eine Menge Geld, praktisch der gesamte Kneipenetat eines Studenten für eine Woche.
Viele liebten oder auch verhöhnten ihn damals als Sonderling. Aber gerade in jener Zeit gab es einen Kreis echter Freunde, die ihn ernst nahmen, die ihn in seinem Atelier, das in einem feuchten Souterrain lag, besuchten und ihm Kunstbücher liehen, auch solche über Kompositionstechniken. Sonnensterns Wissensdrang war unersättlich, mit jenen engen Freunden konnte er stundenlang Fachsimpeleien wie ein ausgebuffter Profi führen, um danach wieder in der Öffentlichkeit den Clown zu spielen.
Nach der großen internationalen Surrealistenausstellung in Paris 1959 begann Sonnenstern überwiegend nur noch Bilder in dem Malkarton-Format 50×70 und 70×100 Zentimeter, nach selbst gefertigten Schablonen, die er im Durchpausverfahren auf die Kartons übertrug, auszuführen.
Als die Nachfrage immer größer wurde, begann er, die großformatigen Flächen von Gehilfen ausmalen zu lassen, ähnlich wie die mittelalterlichen Malerwerkstätten. Es gibt die Meinung, daß so ab 1960 Friedrichs Inspiration versiegte. Ich glaube, daß er einfach keine Lust mehr hatte. Damals gab es etwa 250 Pausen, die es ihm ermöglichten, jedes von einem Händler oder Sammler bestellte Bild prompt mit seinen Gehilfen zu liefern. Seine Helfer und Kopisten waren auch damals schon eine ständig wechselnde Gruppe: Mädchen aus der Nachbarschaft, Kunststudenten, sogar ein Kirchenmaler war dabei. Ab 1960 verdiente er oft Tausende Mark, wenn die Händler ihre bestellten Bilder abholten, und gab meist in einer Nacht alles wieder restlos aus. Bei Bildaufträgen – damals bis zu zehn Bilder pro Monat – führte das zu einem wahren Wirtschaftswunder in den Kneipen der Potsdamer Straße. Immer neue Aufträge kamen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Geld – Geld, das wie im Märchen immer neu nachfloß.
Seine festen Stammkäufer wie Carl Laszlo, Hans Brockstedt oder Siegfried Poppe hatten sich allerdings, durch dubiose Kopien verschreckt, zurückgezogen. Nachdem er aus seiner Wohnung exmittiert wurde, begann für gut zehn Jahre ein Drama. Überall wurde er, meist illegal wohnend, nur geduldet. Dies neue Unbehaustsein und der Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin „Tante Martha“ trieben ihn damals in den extremsten Elendssuff. Dieser führte wieder dazu, daß er laut randalierte und zum Schrecken aller Mieter wurde.
Auch jetzt gab es eine Riege von Gehilfen, die aber alle untereinander derartig verfeindet waren, daß jede Partei Schauermärchen über alle anderen erzählte. Friedrich als Dämonenobermeister schürte noch zusätzlich diese Rivalitäten. Dadurch wurden oft recht harmlose Situationen derartig verworren, daß sogar Sonnenstern die Übersicht verlor und nie genau wußte, wer Freund und wer Feind war.
Turbulenzen führten 1969 zu einer zeitweiligen Trockenlegung des Meisters in der Nervenklinik „Bonnys Ranch“.
Nach seiner Entlassung zog er in eine kleine Wohnung neben der Kneipe von Herta Fiedler. Auf den Tisch neben seinem Bett wurden ein Stapel Kartons und viele Farbstifte gelegt. Ingo Fiedler fertigte Tausende von Siebdrucken an, die zwar alle nach abstrahierten Sonnenstern-Motiven aufgebaut, aber ohne Qualität waren. Bei Berlin-Touristen lief das Geschäft dennoch verteufelt gut. Friedrich hatte alle Hände voll zu tun, die vielen Siebdrucke für seine Kost und Logis zu signieren. Neben diesen Siebdrucken entstanden im Umkreis der Kreuzberger Gruppe jetzt auch unerwartet viele großformatige Kopien seiner Bilder.
Zu jener Zeit entwickelte sich zusätzlich eine völlig andere Wunderblüte: Ein etwas eigenwilliger junger Mann mit einem Semester Jurastudium begann in der Sonnenstern-Szene sehr lebhaft zu werden. Fast alle, die in irgendeiner Form einmal in jenen merkwürdigen Sonnenstern-Kreis verquickt waren, hatten mit mehr oder weniger Können und Hingabe bei seinen Kopien geholfen. Jener Rabofsky malte nicht, sondern ließ malen. Nach einigen Tests fand er das dafür absolut geeignete Medium. Es war der Kunstmaler Peter Zinke. Zinkes eigene Bilder waren nicht sehr aufregend, aber unter der Regie von Rabofsky wurde er zeitweilig zu einem außergewöhnlich guten Kopisten. Gewisse Kopien waren Topklasse, bis Zinke zuviel eigenen künstlerischen Ehrgeiz entwickelte und die Bilder mit von ihm erfundenen technischen Finessen vollpackte.
Im Winter 1973 zog Schröder-Sonnenstern zu seiner früheren Schülerin Adelheid Sickrodt. Die bezog in jener Zeit eine große Wohnung in Lichterfelde. Nach seinem Umzug in den gutbürgerlichen Stadtteil lebte Friedrich noch ein Jahrzehnt, Frieden schließend mit sich und der Welt. In den letzten Jahren trank er überhaupt keinen Alkohol mehr. Ich glaube, viele hielten ihn schon seit Jahren für tot und für eine Legende. Dabei konnte er bis in seine letzten Tage seine Freunde noch mit den tollsten Schoten überraschen.
Er war nicht nur ein großer Künstler, sondern genoß auch seine Rolle als Original. In guter Stimmung konnte er unerwartet intensive Gespräche über Kunst führen, aber selbst bei berühmten Künstlern und Bewunderern, die oft von sehr weit anreisten, liebte er es, der Moralist unter der Narrenkappe zu bleiben.
Am 10. Mai 1982, fast vier Monate vor seinem neunzigsten Geburtstag, starb Friedrich Schröder-Sonnenstern. Er wurde auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof in Berlin-Schöneberg beerdigt.

Über das literarische Werk
Neben seinem Redezwang entstanden Zeit seines Lebens manisch niedergeschriebene Texte in tagebuchartigen Heften und losen Blättern, die er danach nie weiter ausarbeitete. Daneben gab es Kurzgeschichten, Märchen, Parabeln, die aber nur noch in Fragmenten erhalten sind.
Bis 1962 sahen fast alle das literarische Werk von Sonnenstern mehr als Kuriosum an. Er dagegen hielt es für viel bedeutender als seine Bilder und drängte allen Leuten, von denen er glaubte, daß sie etwas für eine Veröffentlichung tun konnten, seine Manuskripte auf. Vieles ist dadurch auf merkwürdige Weise verloren gegangen.
Als Inhaber eines Kleinverlages hatte ich die fixe Idee, seine Texte zu veröffentlichen. 1963, bei meinem ersten Berlinbesuch, – ich war seit Jahren faszinierter Bewunderer der Sonnensternbilder – war Sonnenstern von der Idee, ein Buch mit seinen Aussprüchen herauszugeben, sofort begeistert. Er sei doch im Grunde kein Maler, die Bilder wären nur Illustrationen zu seinen Ideen. Er versprach, aus seinen Aufzeichnungen etwas zusammenzustellen, was er aber nie tat. Er hatte mit den Bildern genug zu tun.
1964 zog ich aus Schleswig-Holstein nach Westberlin. Durch den Volkswartbund, den Moralwächter der damaligen Adenauerzeit, hatte ich viele Probleme: Es kam in meinem Kleinverlag zu mehreren Beschlagnahmungen meiner Bücher. Wegen meiner eigenen Existenzprobleme lag dann das Buchprojekt lange Zeit auf Eis.
1967 lernte ich Andreas Kettelhack kennen, der einen Dokumentarfilm über Sonnenstern machen wollte. Für dieses Projekt schrieb ich damals die Tonbandmitschnitte ab. Später zog ich mich zurück und stellte aus vierhundert Seiten Tonbandprotokollen und etwa fünfzig Seiten eigener Manuskripte von Sonnenstern, die Alfred Kothe, ein alter Freund von ihm, gerettet hatte, sowie einem Haufen von Aufzeichnungen, die ich während der Besuche bei ihm gemacht hatte, eine Collage zusammen, die als Konzentration in dem Buch Die Pferdearschbetrachtung des Friedrich Schröder-Sonnenstern 1972 im Hanser Verlag erschienen sind.
Auch Jahre nach dem Buch, ich hatte inzwischen eine Galerie gegründet, kamen noch die obskursten Leute zu mir, die irgendwelche Textfragmente hatten. Aber der größte Fund war dann, als mir Heinrich von Sydow aus Frankfurt/Main drei Schreibhefte aus der frühen Zeit verkaufte. Alle Sammler und Galeristen waren immer nur scharf auf die Bilder gewesen. Aus diesen drei Heften ist der größte Teil in diesem Buch zusammengestellt worden.

Jes Petersen, Nachwort

 

Sentenzen, Gedichte, Graphiken.

Herausgegeben von Jes Petersen

„Alle Welt hält mich für einen Maler. Dabei sind meine Bilder doch nur die Illustration zu meinem literarischen Werk, zu meiner Philosophie.“ Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892–1982) war bekannt als Berliner Outsider und Malergenie, bis er von den Surrealisten entdeckt wurde und sein Weltruhm begann. Das Pamphlet bringt einen Auszug aus seinem literarischen Werk.

Basisdruck Verlag, Ankündigung, 2006

 

Gedichte jenseits des Kanons

… Ein Werk, in dem sich „Reim“ auch mal auf „unrein“ reimt. Und wo die Wahrheit als rohes Ei auf die Erde fällt. Das ist schön und regt an! Das Wort Moral ist ein „Singularetantum“, ein Wort, zu dem kein Plural existiert. Der Maler und Zeichner Friedrich Schröder-Sonnenstern gilt neben Adolf Wölfli zu den bekanntesten Vertretern der Art Brut. Nach Internierung in einer Irrenanstalt in den 20er-Jahren, da er als Sonnenkönig Eliot I. und Führer einer Sekte wirkte, überlebte Schröder-Sonnenstern die Kriegszeit und begann in den 50er-Jahren zu zeichnen. Er starb 1982 hochbetagt in Berlin und hinterließ unzählige wunderschöne Bilder und Texte. Seine Gedichte haben das Singularetantum durch Spaltung pluralisiert. Fast jedes Gedicht trägt Moral im Titel: Das Moraluniversum spaltet sich vom moralischen Misthaufen bis hin zur moralischen Mondgeistpartei. Doch der Kampf von Schröder-Sonnenstern gegen Reglementierung und Normierung des Individuums ließ ihn nicht verbittern: „Da wird Herr Pup dann abgeführt und in seiner Zelle isoliert.“ Herausgeben von Galerist Jes Petersen (2.11.1936 bis 2.4.2006): fabelhafte Litaneien der Aufklärung, Zersetzung und Fröhlichkeit vom allerallergrößten Dichter der Weltgeschichte.

Wolfgang Müller, die tageszeitung, 22.4.2006

 

 

FRIEDRICH SCHRÖDER-SONNENSTERN
Fast schon ein Hausbesuch

Der Fußboden übersät mit Kippen, Zeitungsfetzen, Ton, Stein
und Wäscheschutt. Aus den Schränken herausgerissen. Unrat
hat sich über den Fußboden verstreut, ist eingelatscht worden.
Dunkler Raum. Rotkäppchens Schattenriss/barfuß
in der Matratzengruft. Zu wat soll ick hier aufräumen
Für wen saubermachen. Ick lasse allet so wies ma war.
Lass det kaputte Jelumpe heil, Mädel, kann euch nischte
anbieten. Hab och kein Radio bin ein altgewordenes Weib
drück die Kippe auf der Tischplatte aus, brauch Ruhe im
Bauch ein paar Denksekunden. Der gesamte Märchenwald,
allet Verbrecher, Blödmeier vom Amt, Perverse. Fragt mich
bloß nicht zu die sexuelle Beziehungen mittem Wolf, die Nuß.
Da stell ick mir dot im Ansatz. Und von die Töppen her hab ick
och nix mehr watt zum Knabbern. Das Spülbecken ist verstopft.
Es stinkt nach Urin, Kot. Der Tisch ist von Kaffeesatz gezeichnet.
Nu isser in Mutter Erdes Bauch. Da kann ihn kein Jäger mehr
ausschnippeln. Ich liebe Rot. Rot. Rosenrot. Blutrot.

Peter Wawerzinek 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope
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