Gabriele Eckart: Poesiealbum 80

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gabriele Eckart: Poesiealbum 80

Eckart/Schulz-Poesiealbum 80

MÄRZNACHT

Im eignen Bann hält uns der Tag mit den spiegelnden
aaaaaHimmeln.
Aber wie gebannt steh ich erst jetzt –
vor den ferneren Welten und lockenden mit ihrem
aaaaaLicht –,
hier, auf der Erde, diesem Kügelchen. (Wer gibt mir den
aaaaaBalancestab?)
Und höher schlägt die Brandung Ungeduld in mir.
Wo werd ich denn gewesen sein in einem Zwanzigstel
aaaaaJahrtausend?
Als ich stand, ein Kind, auf der Schwelle vor den räselvollen Straßen,
eh ich, mit meiner Lust und meinem grünen Trittroller,
sie dann, und die entfernteren, nahm.

 

 

 

Gabriele Eckart

Gabriele Eckart erschließt sich in ihren ersten Gedichten jene Bezirke der Welt, die sie kennt: die vogtländisch-erzgebirgische Landschaft. Diese geographische Fixierung ist aber nur der Hintergrund für ein ständiges Fragen nach der eigenen gesellschaftlichen Ortsbestimmung. Ihre oft ungestüme und manchmal sogar über alle Stränge schlagenden Verse verraten ein Temperament, das auf der Suche nach anwendbaren Antworten ist. Der enge Zirkel der Kindheitserfahrungen wird ganz allmählich von einem Blickwinkel abgelöst, der größere, kompliziertere Zusammenhänge erfaßt und sie wertend ihrem bisherigen Weltbild zuordnet.

Verlag Neues Leben, Ankündigung in Barthold Hinrich Brockes: Poesiealbum 79, 1974

Ein junges Mädchen,

vor jeder tätigen Erfahrung, spricht die Erwartung aus, die Welt werde ihm, wie es der Welt, liebend begegnen. Reinen Herzens schreibt es die derbsten Erotica nieder. Etwa zwei Fünftel der Gedichte, die in unserem Lande von Menschen zwischen dem 16. und dem 26. Lebensjahr verfaßt sind, beginnen, direkt oder indirekt, mit den Worten: Ich möchte. Gabriele Eckart hat diese Stimmung, dank ihrer erstaunlichen Verskunst, nun auf den prägnanten Punkt gebracht.

Karl Mickel, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1974

 

Die Absage in den achtziger Jahren

1980 bis 1984: Apokalyptik und Verweigerung

(…) Gabriele Eckart (*1954) war ein Beispiel für Förderung und Entwicklung einer jungen Lyrikerin in der DDR. Sie war fünfzehn und Schülerin unter Auerbachs spatzigem Himmel, als sie auf einen Presseaufruf hin an die zwanzig Texte einsandte. Sie hoben sich vom Durchschnitt vor allem dadurch ab, weil da ein junger Mensch in seiner Pubertät auf Hölderlin gestoßen war, dem sie nun in wilder Besessenheit nacheiferte. Diese altkluge, fanatische Hölderlin-Epigonie nahm sich im DDR-Schulalltag von 1969 anachronistisch aus. Dabei war durchaus Interiorisierung erfolgt:

Sekunde der Schwebe,
zwischen Reifen und Fallen, und dann,
wenn das Jahr sich gewendet hat,
noch einmal die Schwebe,
und immer noch einmal1 

Naturbilder wurden als ideale Transporter für eigene Befindlichkeiten nachgenutzt. Die Sprache war über die (Jugend-)Maßen gepflegt und schwang frei rhythmisch.
Ein intensiver Briefwechsel kam zustande, Gespräche fanden statt, Beratungen, Delegierungen zu den Schweriner Poetenseminaren. Mit achtzehn war sie Philosophiestudentin in Berlin. Doch da war sie schon im Spinnennetz der Stasi, weil es vorhersehbar war, daß sie in Dichterkreisen verkehren würde… Schließlich sagte der Offizier noch:

Du mußt dir einen Namen aussuchen, mit dem du das unterschreibst. Wie heißt dieser Dichter, dessen Verse du so gern rezitierst?

„Hölderlin“, antwortete Gabriele, und der IM Hölderlin war in die Welt der Akten geboren.2 Unmittelbar nach diesem Gespräch schrieb sie ihre „Große Bitte“:

Nun bin ich mitten in der Welt, und reißenderen,
hier, wo man sich schwerer nur im Aug behält.
Doch ich hab mich nicht verlorn,
wie ich mich kenn: mit meinem rebellierenden Gefühl…
Fast neunzehn Jahre schon steht offen mein Gesicht –
sperrangelweit, eine arglose Tür,
wo so viel hereinkam
aus meinem in sich streitbaren Staat
3

Da war sie  d i e  FDJ-Vorzeigelyrikerin. Und noch nicht aus dem Offene Fenster-Alter entlassen, erschienen die Gedichte der Philosophiestudentin des ersten Studienjahres bereits in den DDR-Auswahl-Bänden Als sie zwanzig war, räumte ihr B. Jentzsch ein Poesiealbum ein. Ihre Vorbild-Palette war größer geworden. Neben Hölderlin waren Klopstock, Braun und die Bachmann getreten. Doch noch immer filterte sie daraus einen unkaschierten Eklektizismus. Lebenslust und sprudelnder Optimismus (Ein Überschwang! – Zu Sätzen hochdaher!) mischten sich mit tiefer Empfindung. Ein schütteres Talent im Aufbruch.
Der Umschwung kam 1974. Zunächst ließ sie in ihrer Tagebuchnotiz vom 20.7. ein privates Ereignis resignieren:

Wie schwer gehn die Wörter mir von der Hand,
die ich bislang so sorglos, leicht verband…
Ein Bergrutsch Fragen nun auf meinem Sinn,
die ich sonst friedlich eingeschlummert bin.

So sagt doch was! Ich weiß nicht aus noch ein4

Da flossen Schmerz und Ratlosigkeit ungegoren in die Verse. Im bösen Jahre 76, sie war 22, dann der endgültige Riß von der Nabelschnur zur DDR. Sie lehnt längst Gespräche mit den MfS-Leuten ab… Sie hat frühzeitig mit dem MfS gebrochen, dann mit dem Staat und wurde schließlich von dessen Perfidie psychisch und physisch verfolgt. Die Akten Ecke und Kontra – in den achtziger Jahren angelegt zur Überwachung der Gabriele Eckart – belegen dies. Auch vielfältige, jedoch erfolglose Rückgewinnungsversuche sind dokumentiert…
Mit ihren Erzählungen, Gedichten und Reportagen schrieb sie in der verblichenen DDR mit am Werk des intellektuellen Widerstands.5
Doch die Stasi las heimlich ihr Tagebuch und benutzte ihre intimen Eintragungen, um G. Eckart – ohne deren Wissen – als Quelle abzuschöpfen. Da hatte sie sich, von sonderbarem Schmerz durchzuckt, von ihren früheren Hosianna-Texten bereits losgesagt.
Dann, 1978, sie war 24, ihre aus sieben Jahren gesammelten und neu geprüften Gedichte, und tagebuchartig wurden Wachsen und Kriseln einer adoleszierenden Dichterin sichtbar, die Entwicklung von einer jauchzenden Odensängerin, die in zu großer Sprache gesteckt hatte, zur Elegikerin mit der bitteren Erkenntnis hilflosen Ausgeliefertseins an ein repressives System:

Was liegt sie, wie verknotet, die Zunge, mir im Mund?
wo ich doch weiß, inzwischen fast, was Dichten heißt,
und auch die Wörter mir wieder, wie Sterntaler, herfalln ins Hemd,
damit ich sie verzeichnen kann,
in die Papiere der Geschichte eintrag,
unbestechlich: diese Zeit.
Was entzieh ich da, bestürzt von meinen Sätzen, auf einmal
selbst mir das Papier?…
Was zaudre ich, es zu benennen6 

Auf die Biermann-Ausbürgerung hatte sie erschüttert reagiert:

Ein Morgengrauen…
plötzlich über mir, was für ein Unstern das ist,
unter dem ich entlangtappe, immer öfter, wie umnachtet…
seit mir, wie ein Vorhang, von den Augen etwas weggezogen wird
und alles mir so verwandelt,
ohne Bezug aufeinenader, scheint
voll Dorn,
den ich in die Haut mir bei jeder Berührung reiße…
und also auch nichts mehr weiß, kein Gedanke mehr feststeht mir,
nicht einmal, wer ich bin
7

Der Tagebuch-Band endete mit Lamentos:

Ach Worte, worauf nur ließ ich mich ein.

Da zog die Poetenbewegung ihre Hand von ihrem einstigen Wunderkind zurück. In der Festausgabe von 1986 erinnerte man sich ihrer nur noch mit einem ganz frühen Gedicht.8
Ihr dritter Gedichtband dann 1985 in einem christlichen Verlag. Er hieß programmatisch Sturzacker und begann mit dem „Herbstgedicht“:

Schon wieder Herbst Das Barometer fällt
Des Sommers Kopf rollt von der Guillotine
Bang wie noch nie seh ich ihn an
9

Und die Land-Schaft bestand aus langen öden Korridoren, in denen Krähen nisteten, und:

… O mein Sommer
Herz wie vermummen wir uns?10 

Von Hölderlin geblieben waren die gepflegte Sprache, der gehobene Ton, und zuweilen tönte es noch odenhaft und hymnisch O! und Ach!, doch unterm Fuß reißt mir weg der Grund. Sie wollte dem Zwielicht dieses Erdstrichs entfliehen und begann sich nach fremden Küstenstrichen zu sehnen:

Du meine Jugend, die unter die Räder kam
Veruntreut hab ich alles meine Unschuld Scham
Nichts macht mich mehr erröten Und ich schrei nicht mehr
Wenn ich die Welt betrachte Meine Aufbegehr
Mein Zorn wo seid ihr hin Mein Mut meine Pein
Das Leben schleift mich ab wie einen Kieselstein
Ein Kahlschlag ist der Himmel wo die Träume standen
11

Eingemauert in einem Felsloch hinter Theben und mit einem Herzen wie Michael Kohlhas, so lebte sie, bedrängt, in Einzelgängerschaft in jenem Berlin, wo es inzwischen die Prenzlauer-Berg-Connection gab. Doch sie fand zu den jungen Wilden keine Beziehung, und die jungen Wilden lehnten sie wegen ihrer aus tiefer Verzweiflung rührenden Larmoyanz ab.
1987 durfte sie ausreisen. Jetzt lebt sie in Alabama und lehrt dort Deutsche Literatur.

(…)

Edwin Kratschmer: Dichter · Diener · Dissidenten. Sündenfall der DDR-Lyrik, Universitätsverlag – Druckhaus Mayer GmbH Jena, 1995

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin
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