Gabriele Wohmann: Zu Bertolt Brechts Gedicht „Der Rauch“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Der Rauch“ aus Bertolt Brecht: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. –

 

 

 

 

BERTOLT BRECHT

Der Rauch

Das kleine Haus unter Bäumen am See.
Vom Dach steigt Rauch.
Fehlte er
Wie trostlos dann wären
Haus, Bäume und See.

 

Trost

Fünf Zeilen beschwören das kleine schmucklose Bild herauf, anschaulich und komplett. Ich muß an die Häuser mit Landschaftszugabe denken, die ich gemalt habe, als ich ein Kind war. Auch bei mir hat nie der Rauch aus dem Schornstein gefehlt. Ging es mir dabei um den letzten Schliff und, wie im Gedicht, um Trost? Mein Gedicht über meine Häuser hätte der Einbildungskraft den Spielraum genommen und alles erzählt, die Zufahrt und den Gartenzaun nicht weggelassen und auch nicht die drei oder vier Personen, die ich in die Gegend stellte und von denen Brecht gar nicht erst reden muß, denn daß sie da sind, sagt er im Titel, und in der zweiten Zeile:

Vom Dach steigt Rauch.

Schriftsteller der Mittelklasse hätten sich darum bemüht, in der letzten Zeile nicht die Substantive der ersten Zeile zu wiederholen. Bei Nichtgelingen: Dekoration mit Adjektiven.
Ein Kindervertrauen äußert sich im Bedürfnis, mit dem qualmenden Schornstein das Bild zu vervollständigen und gleichzeitig zu signalisieren: Das Haus ist nicht verlassen, es steht nicht nutzlos herum. Kindliches Vertrauen bei mir von damals, als ich beim Malen vielleicht unbewußt an meine mit sich selber glückliche Familie dachte, und ebenso beim erwachsenen Bert Brecht, dem es doch nach Erfahrungen mit Menschen schon erheblich schwerer fallen mußte, von der Nutzanwendung des kleinen Hauses, die der Rauch verheißt, auf gutartige Bewohner zu schließen. Brecht muß ein Optimist gewesen sein. Einer, der die gesamte Szenerie als „trostlos“ empfände ohne Leute, die sie beleben. „Trostlos“, wenn hier nicht geheizt würde, der Kamin, der Herd in der Küche: Hier kann man sich aufwärmen, hier gibt es was zu essen. Hier kann man einkehren, denkt nach langem Ritt der Western-Held. Brecht rechnet, beim Trost durch Rauch, nicht mit Zank und Streit. Ihm werden Bäume und See erst zum Gewinn, wenn jemand vom kleinen Haus aus sie anblickt und genießt.
Ein Pessimist sähe das Haus lieber unbewohnt. Einer, der auf Immobiliensuche ist – reizvolle Gegend offenbar –, erst recht. Ein Naturpurist ließe das kleine Haus lieber überhaupt abreißen. Mit Öko-Blick hat Brecht auch noch nicht geschaut: Ein Grün-Freak würde den schadstoffhaltigen Rauch verfluchen. Aber, optimistischer Menschenfreund oder nicht, vor allem ist Brecht ein Dichter. Und den muß die Anwesenheit von Menschen interessieren, schon als Schreibstoff. Erst der Rauch verwandelt die Genre-Idylle zum Schauplatz, der Schnappschuß ist nur mehr ein Standbild aus einem Spielfilm. Fast egal, wer da drin Feuer macht: Selbst unfriedfertige Bewohner sind dem, der über Menschen schreibt, lieber als gar keine Bewohner.
Beim Gedichteschreiben – ausgenommen Lehrgedichte, „Unterweisungen“ – sperrt Brecht mich nicht in eine Schulbank. Eine Aussage aber lasse ich mir gern gefallen, und in diesem Gedicht fällt sie eindeutig aus, geradezu altmodisch verständlich. Ich weiß, woran ich bin. Trotzdem bleibt ein Geheimnisrest, das Nicht-zu-Ende-Erklärbare, dessen ein gutes Gedicht bedarf. Der Schreibende selber scheint „trostlos“ zu sein. Aller schönen Wörter überdrüssig. Er nimmt die ruhige Gangart der Prosa, seine karge Sprechweise paßt sich der Schlichtheit des Sujets an. Es sei kein Gedicht: von einem, den nicht der Verfasser verraten würde, höre ich diesen Einwand. Das Fehlen jeder Chiffriertheit, die üblichen Verrätselungen, an die Lyrikleser sich gewöhnt haben, als liebten sie es, sich mit dem prätentiösen Unzugänglichen abzuquälen, es würde vermißt.
Aber was einfach scheint, ist am schwersten zu bewerkstelligen. Es glückt dem Dichter, den sinnlichen Eindruck mit der Erfahrung der Verlassenheit zusammenzubringen. Hinter der Verschwiegenheit des kleinen Geniestücks gibt es alles zu erraten. Ich habe es vorhin ausprobiert und bin an einem kleinen Haus unter Bäumen – ein See war so schnell nicht zu haben – vorbeigegangen. Kein Rauch stieg aus dem Schornstein. Ich habe es, fast, trostlos gefunden und zum Glück nicht genau gewußt, warum.

Gabriele Wohmannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfzehnter Band, Insel Verlag, 1992

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