Gelu Vlaşin: In der Psychiatrie behandelt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gelu Vlaşin: In der Psychiatrie behandelt

Vlaşin-In der Psychiatrie behandelt

FABULATORIUM

aaaaamit
aaaaaaaagrünem sand
zähle ich anrufe auf
aaaaaaadie ich nicht mehr
aaaaaaaaaaaaaantworten kann
ich habe keine stimmbänder
aaaaaaaund auch kein
aaacezanne oder
aaaaaaaaaaaaaavan gogh
aaaaaaaaaüber die ich dir vergebens
aaaaaaaaaaaaaaaaaaamale
so als ob du nicht
aaaaaaaaaaaexistiert hättest
aaaastuart mill
aaaaaaaaaaaich bin ok
aaaum in den schneckenhäusern
aaaaaaaaaaaaameines herzens
aaaaaaaaaaaaaaaazu sein
aaaaaaaaaaaaund um allen
deinen verwandelten vers zu sagen
aaaaaawenn der ring
aaaaaaaaaaazum galgen wird
aaaaaaaaaaaund in
aaaaaaaaaaaaaaleerer luft
aaaaaaaaaschwebt

 

 

 

Auf-Null-Spiel, online

– kritischer Hypertext. –

Die betont minimalistische Poesie Gelu Vlaşins erhebt nicht den Anspruch Raunen hervorzurufen. Sie beeindruckt vielmehr durch eine spezielle Eigenart, denn wie ein Renz-Spieler, der nicht um die höchste Punktzahl spielen kann, entscheidet sich der Dichter bewusst für das „Auf-Null-Spiel“.
Ihre vermeintliche Zerbrechlichkeit, reduziert und anspruchslos, ist in der Essenz sentimentale Diskretion (ohne Gefühlszerflossenheit) und innerer Widerstand, die mittels eines sicheren poetischen Instinkts „vertextet“ werden.
Es muss erwähnt werden, dass der junge Autor keine universitäre philologische Ausbildung genossen hat (er hat vor einigen Jahren das Studium der Rechtswissenschaft abgeschlossen). Wahrscheinlich erreichte er diese poetische biographisch-minimalistische postmoderne Formel – letztendlich – über eine eigene „Abkürzung“, indem er umsichtig intertextuelle Fallen mied.
Darin begründet sich auch der Eindruck der Vertrautheit, der Natürlichkeit. Mit jugendlicher Eleganz und Genauigkeit der Versbildung stellt eine täuschend-monotone Einfachheit mit einem konzentrierten, sparsamen Ausdruck des Klar-Obskuren von künstlerischer oder ehelicher Einsamkeit, banalen Gesten, Beklemmungen und kleinen Begebenheiten alltäglicher Intimitäten eine Gleichung auf – der Rohstoff.
Die unscheinbare Komplexität, die Feinheiten des Aufbaus entdeckt man nicht in der „Tiefe“. Man findet sie an der Oberfläche, besonders zwischen den Zeilen. Impressionistische biographische Momentaufnahmen, ein Gemisch aus „bürgerlichen Stanzen“ suigeneris und softem Blues (Still got the blues for you…). Präzise Gedichte mit abgeschwächten grellen Tönen, von weißer biographischer Aufzeichnung, die zersetzte Halo-Textur wie auf einem Computerbildschirm im Zickzack auf der Seite angeordnet, durchzogen von einer an Jazz erinnernden introvertierten Sensibilität, mit cooler Note.
Meiner Meinung nach handelt es sich um eine – thematisierte – Poetik der Invasion von „weißen Räumen“ (ein Gedichtträgt sogar den Titel „Space phobia“), der intratextuellen Leerräume, der bedachten Pausen zwischen den Blue Notes. Die Worte oder Versbruchstücke werden (oder auch nicht) aus der Entfernung miteinander verbunden, die Gedichte werden von neuronal-semantischen Netzwerken zu Computer-Hypertexten konfiguriert.
Die graphische Gestaltung erscheint somit als ein inneres Stenogramm. Das Online-Universum dieser zerstückelten Verse mit E-Mail, Web, Site, Jacuzzi, Peperoni, Cielo Grena, Psychologiestudentinnen oder Radio Contact ist mit sarkastisch-desillusionierenden Akzenten und Jazzmusik von Größen wie John Coltrane, Stan Getz, Tom Waits oder Buddy Rich angereichert, dargeboten in der „abwesenden Deko“ des, sagen wir, Clubs So what oder irgendeines „Weinkellers im Viertel Manuc“.
Die Antennen der lyrischen Sensibilität empfangen einen frischen, erholsamen Sound, der um die leeren Räume herum eine Atmosphäre von Feinfühligkeit schafft. Obwohl es sich um seinen ersten Gedichtband handelt, ist Gelu Vlaşin bereits ein geformter Dichter, mit einer eigenen Stimme und, ich betone, mit einer entwickelten Poetik.
Eine Eingängigkeit spürt man hier und da wieder, insbesondere im Aufbau des Gedichtbandes, der durch ein Netz von Übereinstimmungen und Zusammenfällen einer existenziellen „Nummerologie“ mit einer separaten Bedeutung gekennzeichnet ist. Der Titel des Buches (Tratat la psihiatrie – „In der Psychiatrie behandelt“) ist gewissermaßen uneins mit dem tatsächlichen Gehalt der Gedichte.
Wenn auch in geringerem Maße sind dies auch einige Titel, die sich auf neuro-psychische Erkrankungen beziehen, weniger die Serie der 13 „Depressionen“. Von einer biographischen Anregung ausgehend, nimmt Gelu Vlaşin sich offensichtlich vor, einen „depressiven“ Diskurs zu konstruieren.
Die Niveauunterbrechungen, die Ellipsen, die weißen Räume beeinträchtigen kaum die fließende Kohärenz des Diskurses, der auch nicht die Wiederholungen, Abstufungen und Leitmotive zurückweist, die sich bis zum Ende bedingen, welches manchmal durch einen versteckten Reim graziös abgerundet ist. (,,un vis cu / vacanţă-n / paris“ – Depresie doisprezece („einen traum: / ferien im pariser-raum“ – Depression zwölf)).
Eine mögliche, schon erfasste, Unzulänglichkeit der Poesie Gelu Vlaşins wäre der eintönige Charakter.
Aber ist das wirklich eine Unzulänglichkeit? Ich weiß nicht, wohin dieses poetische „Auf-Null-Spiel“ (und Auf-Nullpunkt-Spiel) letztendlich führen wird. Vorläufig kann ich sagen, dass dieser junge Autor von Anfang an seinen Diskurs und seinen eigenen Stil gefunden hat.
Die monotone Bescheidenheit ist ein Teil der – selbst gewählten – Kondition und des Markenzeichens dieser Poesie.
Es ist eine wahre Poesie, eine angenehme Lektüre und, schließlich und endlich, sehr menschlich. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als das.

Paul Cernat, Nachwort

 

Die Gedichte

des Einzelbandes In der Psychiatrie behandelt von Gelu Vlaşin zählen zur jüngsten Poesie in Rumänien. Die Qualität dieser Gedichte, die nicht von einem Anfänger geschrieben scheinen, liegt in dem inneren Einklang, dem gleich bleibenden Ton und dem durchgängig hohen Niveau lyrischer Emotion

Nicolae Manolescu, Pop Verlag, Klappentext, 2012

 

Gelu Vlaşin: In der Psychiatrie behandelt

Es gilt, das Werk eines 33-jährigen Dichters zu lesen, der heute kurz vor seinem 50. Geburtstag steht. Der 1999 in Rumänien erschienene Lyrikband hat, so lese ich in einer Rezension von  Anke Pfeifer, den  deprimism  in seinem Land begründet. 2012 stellte Traian Pop dieses Buch dem deutschsprachigen Publikum zur Verfügung, Kerstin Ahlers übertrug die Gedichte ins Deutsche.
Was mag diese Lücke von 13 Jahren ausfüllen? Ich meine damit, in welchem Kontext steht dieses Erstlingswerk eines Lyrikers, der ein inzwischen beachtliches Œuvre vorzuweisen hat?
Fragen werden offen bleiben und im Weiteren werden wir über Lücken, Leerstellen und Schübe (Wortschübe, Krankheitsschübe) sprechen müssen, um uns der Lyrik Vlaşins anzunähern. Ich denke, wir brauchen dazu nicht das Wissen eines Mediziners, obwohl die Verlockung groß ist, einen Blick auf die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) zu werfen.
Zufällig kenne ich den Begriff der Neurasthenie. Als ich schon volljährig war und die Entschuldigungen für meine Fehlzeiten in der Schule selbst unterschreiben durfte, hatte ich das einmal als Entschuldigungsgrund aufnotiert: nervöse Erschöpfung. Der Lehrer ließ mich nicht aus der Pflicht, erfragte, um welche Krankheit es sich handelte. Und ich gab ihm mein lexikalisches Halbwissen preis, auch meine Gefühlsverwirrung, die sich um die ersten Irrungen der Liebe drehte und der wahre Grund meiner Abwesenheit war.
Vlaşins Gedichte sind mit wenigen Ausnahmen eine Anrufung an ein lyrisches Du, das durch seine Abwesenheit, seine Unerreichbarkeit zum Auslöser eines krankhaften Zustands werden kann. So jedenfalls verstehe ich Vlaşins Versuchsanordnung.

ich bin
versager
genug um
ein gedicht zu schreiben
darüber
wie sehr mich deine
eines abends
entblößten brüste
schmerzen
(aus: „depression acht“)

Wo der Autor auf das lyrische Du verzichtet, und er tut dies gewiss mit Sorgfalt bei dem Gedicht, das den Band eröffnet, bekommt seine Sprache einen weit über das intime Gegenspiel von Ich und Du herausgehenden Sound, der surreale Zeichen trägt.

im viertel tineretului
spät nachts
gibt es hineingeschmuggelte blumen
neben
zu gut bewachten türen
als
der fahrstuhl
zwischen den etagen
nougat und kokos
schichtet
(aus: „depression zwölf“)

Wenn jedoch das lyrische Ich mit 5000 Lei in ärmlichem Jackett die Treppe der Edgar Quinet Straße 10 hochsteigt, sagt er von sich „heute / bin ich keine / zierpflanze“ (aus: „neurasthenie“), bevor es sein Hurengeld verjubelt. Aber sein Orgasmus ist kein Schrei, sondern ein Akt der Verzweiflung, der nur wieder den banalen Trieben Raum gegeben zu hat.
In  „parästhesie“  versteckt der Dichter Sommersprossen „im fleischwolf der / erinnerungen“. Dieses Bild, das von der Durchtrennung von Muskelsträngen, von der Produktion des Hackfleischs, berichtet, führt uns zu der optischen Aufbereitung der Gedichte. Die Textkörper sind aufgerissen, mit großer Gewalt, unter großen Schmerzen. Ich glaube nicht an ein beliebiges Spiel des Autors.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit  Armin Steigenberger  über den Unterschied zwischen Lücke und Leerstelle im Gedicht. Die Lücke lässt etwas aus, die Leerstelle ist einfach leer.
Bei Vlaşin wäre es wohl richtig von Leerstrecken zu sprechen oder aber die Worte als Krankheitsschub zu verstehen, etwas, was sich von der kranken Seele unkontrollbar Bahn bricht und das Gefängnis des Kopfes, dem uns allen bekannten, ewig weißen Blatt Papier, verlässt.

Eric Giebel, vitabuvingi.de, 18.3.2015

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Anke Pfeifer: Lyrik minimalistisch
literaturkritik.de, Mai 2013

 

Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin
Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Gelu Vlaşin – „sechs Depressionen (in der Psychiatrie behandelt)“ gesungen von Christina Vlaşin.

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