Gerda Zeltner: Zu Walter Helmut Fritz’ Gedicht „Sieh lange hin“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Walter Helmut Fritz’ Gedicht „Sieh lange hin“ aus Walter Helmut Fritz: Gesammelte Gedichte. −

 

 

 

 

WALTER HELMUT FRITZ

Sieh lange hin

Den Weg hier
siehst du jeden Tag
und doch blieb er verhüllt.
Sieh wieder hin, sieh lange hin,
bis du begreifst,
daß du ihn nie gesehn,
daß er sich erst
in diesem Augenblick enthüllt.

 

So steht es doch mit den Dingen,

die wir täglich vor Augen haben: wir sehen sie und sehen sie nicht. Viel von unserer lieblosen Routine, unserem gewohnheitsmäßig summarischen Blick müssen wir abbauen, bis wir das Erstaunen wieder lernen, das Selbstverständliche wieder als ein Frag-Würdiges erleben können. Ich liebe diese Verse auch, weil sie eine Art poetologischer Mahnung mitschreiben. Meist reden die Gedichte von Walter Helmut Fritz in Worten, die wir „jeden Tag“ hören und deshalb leicht übergehen. Auch auf sie muß man oft lange hinhören, auf diese knappen Worte und auf ihr Nicht-Gesagtes, bis man spürt, wie viel Kunst es braucht, bis ein so – scheinbar – selbstverständliches, lapidares Sagen gelingen kann: Die Aufmerksamkeit vor den Dingen als die andere Seite der Aufmerksamkeit vor den Worten.

Gerda Zeltner, aus: Walter Helmut Fritz: Ausgewählte Gedichte und Prosa, Wallstein Verlag, 1999

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