Gerhard Falkner: seventeen selected poems

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gerhard Falkner: seventeen selected poems

Falkner-seventeen selected poems

so beginnen am körper die tage; zart
wie ein ausgeblasenes grau auf den augen
ungesondert von sporen und schweiß

so beginnen im auge die bilder, zögernd
unter den eingerollten fahren der haut
den organen ein milder, grübelnder reiz

 

a

 

Nachwort

Die seventeen selected poems können keine repräsentative Auswahl sein und beabsichtigen dies auch nicht. Auf die grammatikalisch komplexen, späteren Texte, die verbindende Architektur von Zyklen und die längeren Gedichte wurde völlig verzichtet. Den markanten und ebenso von der Kritik hervorgehobenen Gedichten wurde im Hinblick auch auf ihre „amerikanische Nutzung“ der Vorzug eingeräumt. Der Glücksfall, ich erlaube mir, dies so zu formulieren, ist aber das Aufeinandertreffen der höchst subtilen Übertragung von Mark Anderson mit dem erstklassigen Auge von Bernhard Prinz, aufgehoben in einem, das klassische Konzept variierenden Buch.

Siebzehn mal zwei Gedichte (jeweils deutsch & amerikanisch) finden sich in diesem wunderschönen Bändchen von Gerhard Falkner. Und was für Gedichte! Eins ums andere feiert die Sprache. Eins um andere zeigt, was mit Buchstaben möglich ist, wenn man der Sprache hinterhertaucht, ihren dunklen Grund aufzuspüren sucht:

etliche sind unter uns
in auserlorenheit
etliche sind unter uns ohne
video und vibrator
etliche sind unter uns
wie piloten
passagiere im mund: worte
die zu ankömmlingen werden


there are a few among us
chosen and lost
a few among us without
video or vibrator
a few among us
like pilots
passengers in the mouth: words
turning into new arrival …

Die Gedichte bergen mehr Leben als jedes noch so fickrig-bierige Sooschel-Biht-Teil, transportieren mehr Dynamik und Power als vieles, was uns sonst so vorgesetzt wird. Gerade bei Lyrik zeigt sich eben, daß nur der kann, der wahrhaft tief eintaucht und von ganz weit unten etwas mitbringt, daß jeder kennt, aber keiner je so gelesen hat.

Marcus Weber

 

Laudatio auf Gerhard Falkner

Empfänger der Dr. Manfred Jahrmarkt-Ehrengabe 2004

Wer von sich sagt, er sei Dichter, oder in Gottes Namen Lyriker, und die Betretenheit nicht spürt, die er damit auslöst, sollte dafür weniger seinem Selbstbewusstsein den Dank abstatten als viel eher seiner Dickfelligkeit.

Dieser Satz ist in Gerhard Falkners im Jahr 2000 erschienenen Buch Endogene Gedichte und in dem bereits 1999 von Joachim Sartorius herausgegebenen Sammelband Minima Poetica nachzulesen. Der Satz sagt uns, dass sein Autor nicht dickfellig sei und die Betretenheit immer wieder zu spüren vermeint, wenn er sich als Dichter, als Lyriker zu erkennen gibt.
Die Frage, weshalb der Dichter Betretenheit auslöse, beantwortet Falkner in seinem Buch Über den Unwert des Gedichts 1993 mit einem Aphorismus:

Jeder versucht heute, wenn ihn das Missgeschick mit einem Gedicht konfrontiert, dieses mit dem Intellekt zu knacken. Er könnte zur Abwechslung auch versuchen, einen Apfel mit den Ohren zu essen.

Die Misslichkeit im Umgang mit Dichtung liege – meint Falkner – darin begründet, dass heutzutage vielen nicht klar ist, dass die „Poesie (…) anders [verdeutlicht] als die Theorie: die Verdeutlichung der Poesie ist intim. Sie verdeutlicht auch im Unklaren. Das hat den Vorteil, dass sie sich nicht grundsätzlich an ihren Gegenstand bindet und von diesem nach dem Verfallsdatum entwertet oder entsorgt wird.“
Falkner klagt, dass in unserer Gesellschaft nur die gut versorgt werden, die Dichtung mit dem Intellekt zu knacken versuchen: die „Lehrer, Lektoren, Literaturwissenschaftler und Kritiker [… die] Verleger, Drucker und Buchhändler“. Das komme daher, dass „gerade die Deutschen, die ihren Dichtern das Beste verdanken, was sie überhaupt haben, ihre Sprache nämlich, (…) taub, stumpfsinnig, gehässig und barbarisch gegen ihre Dichter“ sind. Ihre „Dichter müssen für ihren Lebensunterhalt fremdgehen, oder eben vor die Hunde“. In seinem Rundumschlag gegen die vorherrschende Ignoranz gegenüber der Dichtung beklagt Falkner, dass „alle diese Dinge“ darauf hinauslaufen, „eine Professionalisierung des Dichters nicht zuzulassen und ihn statt dessen auf gangbareres Gebiet zu zwingen, Rundfunk, Presse, Lesetourismus, ihn also den Lebensbedingungen einer besonderen Sprache zu entziehen und ihn einer allgemeinen und angepaßteren Sprache zuzuführen“.
Wenn dies die Regel sein sollte – und ich fürchte, sie ist es: ich vermag nicht recht zu widersprechen –, so wird auch diese Regel allerdings von Ausnahmen bestätigt. Eine Ausnahme bildet der Dichter Gerhard Falkner mit seinem literarischen Werk, das seit drei Jahrzehnten die literarische Gesellschaft immer wieder aufs Neue verstört, weil seine Sprache, sein Ton außer unserer Zeit zu sein scheinen, obgleich er sich mit unserer Zeit höchst kritisch beschäftigt. Seit Mitte der 70er Jahre publiziert der 1951 im Fränkischen Geborene und nach vielen und langen Auslandsreisen während der 80er und frühen 90er Jahre heute wieder im Fränkischen Wohnende Gedichte. Der junge Buchhändler und Antiquar machte auf sich aufmerksam durch eine Lyrik, die die Nachbarschaft zur Bildenden Kunst suchte und fand. Falkner zählt zu jenen Dichtern, die zur Renaissance des Künstlerbuchs während der letzten Jahrzehnte beigetragen haben. Zusammen mit Johann Lorbeer legte er 1978 das Künstlerbuch so beginnen am körper die tage vor. Dem folgten Künstlerbücher, die er zusammen mit Peter Kampehl (1980), mit Ralf Kerbach (1987), mit Horst Münch (1989 und 1996), mit Nora Matocza (1989) und mit A.R. Penck (1997) erarbeitet hat. Es waren und sind seine Gedichte – von der Literaturkritik erst richtig wahrgenommen, als sie in traditionellen Buchverlagen erschienen – die aufhorchen ließen. Bei Luchterhand erschien 1981 so beginnen am körper die tage (diesen Titel, ich sagte es bereits, trug drei Jahre zuvor auch Falkners erstes Künstlerbuch), 1984 der atem unter der erde, 1986 Berlin. Eisenherzbriefe, 1989 wemut. Diese Gedichte aus den 70er und 80er Jahren sind alles andere als lyrische Gebrauchsanweisungen zur alltäglichen Lebensführung, obgleich sie sich mit dem Alltäglichen auseinandersetzen. Diese Gedichte enthalten keine Nabelschau des Autors, obgleich er die Dominanz der Libido über den Körper beschreibt. Diese Gedichte eignen sich nicht als Führer durch bestimmte große Städte, obgleich sie die Erfahrung ganz konkreter Orte spiegeln.
Falkners Gedichte aus seinen ersten anderthalb Schreib-Jahrzehnten zeichnen sich aus durch eine sehr kunstvolle Sprache, durch eine spielerische Auslotung der poetischen Wirkungen sehr verschiedener literarischer Formen, durch seine ebenso spielerischen Umgestaltungen von Wörtern, um Wortmelodien zu schaffen oder um gebundene Assoziationen zu wecken, durch seine Engführung von Zitaten aus bedeutenden Werken früherer und zeitgenössischer Literaturen. Ein sehr belesener Autor ist Gerhard Falkner, der von den Lesern seiner Gedichte nicht mehr verlangt als von sich selbst: Kenntnis der Literaturen der Welt.
Falkner hatte und hat mehr Erfolg bei der Literaturkritik und bei der Literaturwissenschaft als beim breiteren Lesepublikum. Die Leichtigkeit seiner Gedichte erfordert eine ernsthafte Beschäftigung mit seinen Gedichten. Sie lesen sich nicht leicht dahin. Aber sie sind keineswegs unzugänglich für uns Leser, gar unverständlich. – Und deshalb waren wir, Falkners Leser, schier entsetzt, als der Dichter 1989 mit seinem Band wemut sein lyrisches Schaffen zu beenden beabsichtigte. Glücklicherweise hat Berlin – wo er sich 1983 zum ersten Mal als Stipendiat im Literarischen Colloquium Berlin aufgehalten hat – auf ihn abgefärbt: „Berliner“ – hat Walter Höllerer einmal in liebevoller Ironie bemerkt – „sie sind inkonsequent auf Konsequenzen aus.“ In seiner inkonsequenten Konsequenz legte der Dichter 1996 im Suhrkamp Verlag seinen Lyrikband X-te Person Einzahl vor und im Jahr 2000 bei DuMont seine Endogenen Gedichte. Endogene Gedichte sind von Innen kommende Gedichte. In diesem Buch positioniert sich Falkner in der gegenwärtigen Literaturszene als ein Autor, der sich in literarische Traditionsgefüge einzureihen versteht und diese zugleich sprengt.
Ende der 90er Jahre hat Gerhard Falkner mit zwei Lesedramen auch jene Bretter betreten, die gemeinhin die Welt bedeuten sollen, und im Jahr 2000 mit seinem Libretto für eine Oper von Stefan Hippe auch das Musiktheater. Dabei bringt Falkner die Welt bereits als Übersetzer aus dem Englischen und als Mitherausgeber von Anthologien junger US-amerikanischer (1992) oder ungarischer Literatur (1999) in den deutschen Sprachraum.
Dies alles leistet ein Autor, der erst seit Ende der 90er Jahre sich bereit erklärt, öffentlich zu lesen und an größeren Lyrikveranstaltungen teilzunehmen. Falkner ist deswegen kein scheuer, gar weltfremder Poet, der sich in einer Klause zuhause fühlt. Er sucht das Offene, das Weite und findet es immer wieder: in den USA, vor allem in New York, in San Francisco und in Chicago, in Berlin ebenso wie in Amsterdam oder in Rom. Gerhard Falkner verweigerte sich anfangs radikal dem, was Literaturbetrieb heißt. Den Betrieb der Literatur mag er auch heute nicht. Der beobachtende Autor tritt hinter das von ihm Beobachtete und hinter seine Beobachtungen zurück. Der Autor Falkner lässt sich nicht von seinen literarischen Texten tragen. Er bringt sie vielmehr hervor.
Ich hoffe, dass Gerhard Falkner unsere heutige Verleihung der Ehrengaben der Deutschen Schillerstiftung von 1859 nicht als einen Teil des Literaturbetriebs erfährt, sondern als einen Teil des literarischen Lebens. Mit dem Literaturbetrieb rechnet er trefflich ab, wenn er schreibt:

Hochgegriffen etwa 50 Leute verteilen Punkte, sobald man sie alle kennengelernt hat, gehört man zu ihnen, eine insgesamt wenig verlockende Aussicht. Von allen, die selbst auch schreiben, geht eine große Gefahr aus für alle, die selbst nur schreiben, der man nur entgeht mit dem, was man bei den Ratten den Demutsschrei nennt. Wie bei Ratten liegt auch in der Literatur dieser Schrei im unhörbaren Bereich.

Lieber Gerhard Falkner, nach der Laudatio kommt die Poesie. Ich werde nun schweigen. „Schweigen“, haben Sie 1999 zu Recht vermerkt, „ist für die Poesie feines Verpackungsmaterial.“

Dietger Pforte, Deutsche Schillerstiftung von 1859: Ehrungen – Berichte – Dokumentationen, 2004

 

Gerhard Falkner – Ein Dichter im Gespräch mit Ludwig Graf Westarp. Über Berlin und die Bedeutung kunstspartenübergreifenden Arbeitens.

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Gregor Dotzauer: Seelenruhe mit Störfrequenzen
Der Tagesspiegel, 14.3.2021

Fakten und Vermutungen zum Autor + Laudatio + KLGPIA
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Keystone-SDA +
Galerie Foto GezettDirk Skibas Autorenporträts +
deutsche FOTOTHEK
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Falkner“.

 

Gerhard Falkner liest auf dem XI. International Poetry Festival von Medellín 2001

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00