Gregor Laschen (Hrsg.): Schönes Babylon

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gregor Laschen (Hrsg.): Schönes Babylon

Laschen (Hrsg.)-Schönes Babylon

ALBION

Es wurde Abend auf dem Flugplatz und fiel Regen,
als ich mir überzog das Cape aus dichtem Nebel
und – Trauer blickend – gleich dem Schatten eines
aaaaaDiebes
den Weg einschlug zur Weltbank hin des Lebens.

Doch eben, als ich in sie dringen wollte,
aaaaaüberrumpelnd
die Reichtümer zusammenkehrn und bergen mich ins
aaaaaDunkel,
da ist ein wundersames Wesen seitwärts mir erschienen,
wie Frau und Vogel etwa etwas – und Maschine.

Zu den Fontänen Lärm und Ruhm nur hastet
der Mensch, will stets der erste sein und faßt nicht,
daß seine Strafe heißt: du streck die Hand aus
und greife nach dem Traum, der ewiglich entwandert.

Entwichen mir ins Volksgewimmel, die Erscheinung
schwebte wie ein Drachen vor mir mit gerissener Leine,
und ich spannte meinen Leib und meine Sinne,
auf daß ich einig mit ihr werde – eins und innig.

Gekommen ist, sprach ich zu mir, du arme Seele,
die Reihe nun an dich, dem Glück sich zu vermählen …
und du wirst nicht mehr einsam nur herumgestoßen,
dem losen Balken gleich, der von des Lebens Floß riß.

Und wenn sie es von uns sieht, wird vielleicht die Erde
zum Ausgleich auch der Schultern ihrer Waage sich bekehren,
auf daß sie mit zwei übervollen Schalen rücken werde
an einen Ort, an den sie längst gehörte …

Die dunkle Hand des Winds jedoch, der aufkam,
trug meinen Traum hinweg, der meinen Worten taub war.
Und in der Angst, nicht mehr zu träumen, flog ich nach dem Winde
über den Ozean, alt – und schwärzer noch als Indigo.

Und wie das Känguruh nach heftiger Jagd, gehetzt
in seiner Mutter Leibtasch fällt zuletzt,
so fiel, nachdem die Welt ich überflog mit offenem Mund
ich wie ein Kreuz herab auf meinen Heimatgrund.

Und, eine Handvoll Erde beißend, unten schrie
der stolzen Kornblume ich zu, die aus dem Unkraut stieg,
daß für den Menschen, seinen Acker grabend,
nichts Süßeres ist als schmal das Schwarze unterm Nagel.

Mirela Iwanowa
übersetzt von  Elke Erb

 

 

 

Vorsatz

Das vorliegende Buch Schönes Babylon enthält eine Auswahl von Gedichten aus zehn europäischen Ländern, aus elf Sprachen. Die Gedichte und ihre Übertragungen ins Deutsche entstammen dem bislang gut 2000 Seiten umfassenden, in zehn Bänden in der edition die horen versammelten Projekt POESIE DER NACHBARN – Dichter übersetzen Dichter: Gedichte aus Dänemark, Ungarn, Spanien, Island, den Niederlanden, Bulgarien, Italien, Frankreich, Norwegen und Irland.
Seit 1988 treffen sich jeweils sechs Dichter aus einem Nachbarland und sechs deutschsprachige Dichter im Künstlerhaus Edenkoben für einige Tage, um dort auf der Basis von Interlinearübersetzungen (philologisch gearbeiteter Wörtlichkeit) und in der sprechenden Begegnung miteinander, einander zuhörend die Gedichte des Nachbarn ans deutsche Ufer zu ziehen. Die eingeladenen Dichter sind gebeten, für ihre Arbeit repräsentative Gedichte zu schicken, auch solche, an denen die Poetologie des Autors erkennbar, ablesbar ist. Den deutschen Dichtern stehen die Interlinearversionen der eingesandten Gedichte vor Beginn des Treffens zur Verfügung.
Der französische Dichter Jacques Roubaud hat die Zielsetzung der Edenkobener Werkstatt mit seinem während des Treffens geschriebenen Gedicht genau beleuchtet: ausgehend vom Text übersetzerischer Zuverlässigkeit und Genauigkeit, aber hin zum Gedicht in deutscher Sprache, das Original gleichsam vom deutschen Versfuß aus begrüßend und das nicht selten mehrstimmig deutsch. Immer wieder kommt es vor, daß es zu einem fremdsprachigen Gedicht mehrere deutsche Übertragungen gibt. Oder daß die Übertragung eines langen Gedichts von Claudio Rodriguez durch Hannelies Taschau das Original formal um etwa ein Drittel verkürzt zurückläßt, allerdings begleitet von einer eher gleichatmigen Übertragung Brigitte Struzyks, und dies mit Zustimmung des spanischen Dichters. Oder daß zwei deutsche Autoren ihre Stimmen in einer Übertragung zusammenbringen, in einen Ton. …

An den bisherigen Treffen haben sechsunddreißig deutschsprachige Dichter teilgenommen. Johann P. Tammen und der Herausgeber nahmen an allen zehn Begegnungen teil. …

Schönes Babylon sieht sich nicht in Konkurrenz zu Hans Magnus Enzensbergers Museum der modernen Poesie von 1960, zu Harald Hartungs Luftfracht von 1991 oder dem Atlas der neuen Poesie von Joachim Sartorius von 1995: unsere Auswahl ist in der Nähe dieser Anthologien angesiedelt, wenn es für den geneigten Leser darum geht, Entdeckungen zu machen, oft in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Auswahl ist als fortschreitende Belebung dessen zu sehen, was in diesen Anthologien vorgestellt wurde, Fortschreibung aus der Praxis dichterischer Übertragungs-Arbeit, des Ineinandersprechens von Original und Übertragung. Versteht sich als Fort- und Ausschreibung dessen, was Enzensberger so weitsichtig mit dem Haupt-Wort „Weltsprache der Poesie“ benannte und was sich am Ende dieses Jahrhunderts, mit dem ein neues Jahrtausend beginnt, als reicher, bunter Fächer selbstbewußter, selbstverantwortlicher, subjektiver Handschriften darstellt, die unablässig miteinander im Gespräch sind. „Wir sind ein Gespräch“, hatte Hölderlin gesagt: vielleicht ist es doch kein Zufall, daß er der meistbesprochene Dichter im Gedicht der Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts ist.
Trotz der unterschiedlichen Handschriften und Klangfelder in diesem Buch sind die Gemeinsamkeiten ablesbar – zusammengefaßt: ein abgesättigtes, erfahrenes oder genau recherchiertes Wissen um die Katastrophen dieses Jahrhunderts und ihrer Ursachen. Ein Wissen, das berechtigt, die Furcht und die Warnung vor vorstellbar unvorstellbaren kommenden Katastrophen auszusprechen, der Wille, vor diesem nahen Hintergrund am Detail, auch am schönen Detail festzuhalten, das Leben, auch Lust bedeutet, auch Mut zu Veränderung und selbstreflektierter Utopie, dabei Verzicht auf jede Art von Predigt oder Glücksversprechen…

Gregor Laschen, aus dem Vorwort, Dezember 1998

 

Das Original spricht mit

− Gregor Laschen präsentiert in seiner Anthologie Schönes Babylon nicht nur die lyrische Vielschichtigkeit. −

Wir erfreuen uns immer größerer Nähe zu unseren europäischen Nachbarn, doch, mal Hand aufs Herz, wem ist beispielsweise isländische oder niederländische Dichtungstradition vertraut? Gregor Laschen, Herausgeber des Lyrikbandes Schönes Babylon, hat seine ambitionierte Idee, Gedichte aus zwölf europäischen Sprachen zusammenzutragen, wunderbar umgesetzt und schickt nun den Leser auf eine poetische Reise quer durch Europa. Das Konzept wurde dem Projekt Poesie der Nachbarn – Dichter übersetzen Dichter entnommen, das seit 1989 jedes Jahr sechs Dichter aus dem europäischen Ausland und sechs deutsche Dichter im Künstlerhaus Edenkoben zur gemeinsamen Übersetzung ihrer Werke zusammenbringt.
Die Ergebnisse, die bisher in der edition die horen zu lesen waren, liegen nun in einer Auswahl vor. Laschen behielt dabei das Konzept der Dichter-Werkstatt bei: unterschiedliche Übersetzungen eines Gedichts werden dem Originaltext gegenübergestellt.
Siebenundvierzig Dichter aus Dänemark, Ungarn, Spanien, Island, den Niederlanden, Bulgarien, Italien, Frankreich, Norwegen und Irland sind hier manchmal nur mit einem einzigen (Klaus Rifbjerg, Dänemark), mitunter aber auch mit bis zu zwölf Gedichten (Jean Daive, Frankreich) vertreten und ermöglichen dem Leser so einen weit gefächerten Einblick in das, was Europa lyrisch zu bieten hat.
Die Gedichte erfahren dabei eine besonders um Authentizität bemühte Behandlung: Es geht nicht um bloße Übersetzung der Originalgedichte, vielmehr sind die Dichter als Übersetzer ihrer Kollegen (u.a. Wolfgang Hilbig, Brigitte Oleschinski, Oskar Pastior, Joachim Sartorius und Ursula Krechel) um Nachdichtungen bemüht, die die lyrische Faszination erhalten. Mitunter liegt ein einzelnes Gedicht in vierfacher Übersetzung vor, wie beispielsweise „Il terzino anziano“ von Franco Buffoni. Schon die Titelvarianten geben die Vielschichtigkeit der individuellen Lesarten preis: „Alter Verteidiger“ (Übersetzung von Rolf Haufs), „Der alte Verteidiger“ (Übersetzung von Ernst Wichner), „Verteidiger. Älter“ (Übersetzung von Brigitte Struzyk) und „Alter Ausputzer“ (Übersetzung von Gregor Laschen). Diese um die Lyrik sehr bemühte Handhabung der Gedichte ist eine Freude, enthüllt sie doch den Reichtum jedes einzelnen Gedichts erst recht, wenn auch der Leser die Originalsprache beherrscht. Dabei stößt er nicht nur auf kleinere und größere poetische Juwelen, sondern entwickelt auch ein Gespür für die Arbeit, die Übersetzer leisten. Denn diese treffen letztendlich Entscheidungen über die Lesart des Gedichtes, wie man es zum Beispiel an dem Gedicht „Island“ von Linda Vilhjálmsdóttir beobachten kann, das in seiner Übersetzung ganz der Maxime des im Vorwort zitierten Übersetzers Felix Philipp Ingold entspricht: „Ebenso wie das Wort der Wirklichkeit, die es vertritt, entsprechen kann, vermag die Übersetzung dem Original zu entsprechen; sie spricht mit ihm.“

ISLAND ISLAND

Meer das blaut Das Meer aus Blau
das Tief aus Nord Und das labile Tief
blauer Laut Der blaue Ton
Meerwort Das Meer
Stein der graut Der alte Stein
der Fels ein Ort Und der geheime Fels
grauer Laut Der graue Ton
Steinwort Der Stein
Islands Wortlaut Wortlaut Island

(Kito Lorenc, Übersetzung Gregor Laschen)

Die Sorgfalt, die Lyrik hier erfährt, spiegelt sich auch in der wunderschönen Präsentation des Bandes nieder, der in rostrotes Leinen gebunden und durch einen minimalistisch-derben Pappe-Schuber geschützt ist. So schön sich die Aufmachung der Anthologie im Regal macht, dürfte sie dennoch nur den Weg in wenige, auserwählte Hände finden, denn leider ist eine Anthologie zum Preis von fast fünfzig Mark nicht leicht unters Volk zu bringen.
Laschen hat eine Anthologie vorgelegt, die mehr erreicht als nur die literarische Vereinigung Europas; er gibt dem Leser die Möglichkeit, wunderbare Entdeckungen zu machen. Schönes Babylon ist gleichzeitig ein Plädoyer für Poesie und wer die Freude hatte, diesen Band zu lesen, wird nach mehr verlangen.

Anette Müller, literaturkritik.de, 8.8.2001

Mit Schönes Babylon begeben sich die Leser,

geführt von Herausgeber Gregor Laschen, auf eine europäische Begegnungsreise. Neben Museum der modernen Poesie (Hg. H.M. Enzensberger), Luftfracht (Hg. H. Hartung) und Atlas der modernen Poesie steht nun eine weitere (repräsentative) internationale Lyrikanthologie, die mit Gedichten in 12 Sprachen viel, viel Freude bereitet. Der Band bringt eine Auswahl aus den bislang 10 in der edition die horen erschienenen Bänden Poesie unserer Nachbarn. Dass viel Spitzenlyrik dabei ist, ergibt sich automatisch: immer wieder übrigens in verschiedenen Übertragungen, was den Lesespaß durchaus erhöht. Die wunderbare Inger Christensen führt die dänische als erste Riege an, gefolgt von der ungarischen, spanischen, isländischen, niederländischen, bulgarischen, italienischen, französischen, norwegischen und irischen. Ich finde es immer wieder bereichernd, mich in bislang unbekannten lyrischen Gefilden ergehen zu dürfen, denn was wissen wir schon, um nur ein Beispiel zu nennen, von der Lyrik unserer niederländischen Nachbarn? Ein wunderschönes, in rostrotes Leinen gehülltes Buch mit einer Fülle großartiger Gedichte – ein wertvoller Baustein für die lyrische Bibliothek…

Iwan Malinowski (DK): Kritik des Schmerzes

Laß den Schnaps stehen, er brennt kurz
Und betäubt. Meide den Apotheker!
Mißtraue den Verbesserungen, die das Unerträgliche
Mildern! Dein wirklicher Freund
Ist der Schmerz, Alarmglocke,
Lebensnötig.

Theo Breuer, titel-magazin.de, 14.2.2004

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + KLG + ArchivKalliope
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Nachrufe auf Gregor Laschen: Tagesspiegel ✝︎ Badische Zeitung

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