Günter Bruno Fuchs: Die Ankunft des Großen Unordentlichen in einer ordentlichen Zeit

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Günter Bruno Fuchs: Die Ankunft des Großen Unordentlichen in einer ordentlichen Zeit

Fuchs/Fuchs-Die Ankunft des Großen Unordentlichen in einer ordentlichen Zeit

DELIRIUM

Aus meinen Gläsern säuft die Uhr sich voll.
Der Stundenzeiger weiß nicht, ob er torkeln soll.
Die Plüschgardine hat sich umgebracht.
Ich bin der Staub, der neben ihrer Leiche wacht.
Ich bin das Tier im Vertiko,
der Schatten dort und seine Kralle.
Hyänenfüße lichterloh
gehn ihren Doppelgängern in die Falle.
Und meine Angst im Federbett
bekleidet dürftig ein Skelett.
Das hebt den Kopf und will bewundert sein
und nennt mich Tapfres Schneiderlein.
Aus meinem Sofa quillt hervor
das Pferdehaar mitsamt Spiralen,
und Reiter poltern durch den Korridor,
die arme Teufel an die Wände malen.

 

 

 

Nachbemerkung

Günter Bruno Fuchs (1928–1977), Berliner, war dick, freundlich, begabt. Das erstere (hier lag er in schönem Wettstreit mit seinem lebenslangen Freund Johannes Bobrowski) war unübersehbar, das zweite ebenso: Fuchs war rundum freundlich. Das führte natürlich auch zu Irrtümern; es gibt ja viele, die freundliche Menschen für dumm halten. Solchen Leuten hörte Fuchs eine Weile geduldig zu und sagte dann plötzlich mit Bärenstimme (tief, brummend, wohlartikuliert, mit unverkennbarem Berliner Lispeln): „Mein Herr, Sie sind ein hervorragender Idiotenkaiser.“
Die Beurteilung der Begabung gereicht den Rezensenten nicht zur Ehre: die Arbeiten von Fuchs wurden wenig und fast immer beiläufig rezensiert, seine Bücher (bei denen er stets Typographie, Umschlag und Grafik selbst entwarf) erschienen in kleinen Auflagen. Fuchs galt, wie Kafka oder Hebel, als „Meister der kleinen Form“, und das war er auch, aber ein anständiger Kulturbetrieb verlangt eben dicke Romane. Für Romane fiel Fuchs zu viel ein, das ist schädlich für Romane. Romane leben von ausschweifenden Details, da wird viel vorgeschrieben und die Phantasie des Lesers gerät dabei manchmal ins Hintertreffen. Das mochte Fuchs nicht. Er las gern vor – ein glänzender Interpret seiner Texte −, mochte es, wenn die Zuhörer lachten und führte gern innerhalb einer Lesung die verschiedensten Genres vor: Gedichte, Märchen, Fabeln, Geschichten für Kinder, seine Grafiken. Das läßt sich mit Romanen nicht veranstalten.
Der Kulturbetrieb hat es ihm heimgezahlt: in die oft lächerlich dünnen Bändchen, die er bei den verschiedensten Verlagen veröffentlichte, ließ sich nicht nur kein Werbeetat investieren, sondern sie galten vielen deswegen auch nicht als rezensionsreif oder lesenswert. Besonders schön war es dann, wenn er allen Freunden androhte, jetzt wolle er aber endlich mal ein richtiges dickes Buch schreiben und wenn es dann erschien, war es wieder ein „Roman“ von 130 Seiten, eigentlich ein Geschichtenbuch, im größten verfügbaren Schriftgrad gedruckt, mit Zeichnungen, Kopfleisten und Vignetten.
Schwierig für die Rezeption der Arbeiten von Fuchs war auch ihre Kontinuität: Allerneueste Luftsprünge der Saison waren von Fuchs nicht zu erwarten, das zeigt wohl auch diese (noch mit ihm besprochene) Anthologie, die Texte aus über zwanzig Jahren sammelt. Vor überlieferten literarischen Formen bekam er keine modernistische Platzangst, sondern benutzte sie, wenn sie zum Material paßten: Polizisten reden in Sprichwörtern, autowaschende Väter geben Richtlinien aus, Zustände werden da, wo sie märchenhaft unglaublich sind, als Märchen erzählt. Insofern machte Fuchs auch keine Schule, hatte nicht die Sorgen eines Patriarchen, der seinen Jüngern voranschreiben muß. Aber der alltägliche Ärger mit der Staatsgewalt fand sich in seinen Texten schon, als es noch nicht Mode war, und als es Mode wurde, schrieb er von einfachen Leuten, die später auch in Mode kamen. Da schrieb er dann doch lieber wieder von reisenden Bären und Rittern in der Gruft.
Günter Bruno Fuchs hatte eine Biografie, die nicht nur manchem jüngeren Autor (der bereits mit 25 seine Erfahrungen zu verwalten beginnt), sondern auch uns heutigen Achtstundenarbeitern gerade abenteuerlich vorkommt: In Berlin geboren, wurde er bereits mit 14 Jahren Luftwaffenhelfer und kam als Siebzehnjähriger aus belgischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er war dann Maurerumschüler, Hilfsarbeiter und später Student an der Berliner Hochschule für Bildende Künste. Von 1948 bis 1950 arbeitete er als Schulhelfer in Ostberlin, ging dann nach Westberlin zurück, wurde Zirkusclown und, als das nichts einbrachte, nacheinander Bergmann und Bauarbeiter. 1958 eröffnete er zusammen mit Robert Wolfgang Schnell im Berliner Arbeiterbezirk Kreuzberg eine vier Jahre existierende Galerie, die zinke. Danach gründete er mit Freunden die Werkstatt der Rixdorfer Drucke. Erst Mitte der sechziger Jahre versuchte er von seiner grafischen und literarischen Arbeit zu leben: Vom Verkauf der Holzschnitte und Zeichnungen, von Hörspielen, Anthologien, Buchhonoraren, Lesereisen und Vorschüssen auf so aberwitzige Projekte wie beispielsweise ein „Lexikon der Gemeinheiten“.
Das Schönste an Fuchs war sein Staunen. „Unglaublich“, sagte er dann, oder, als höchster Steigerungsgrad: „Unglaubloch!“ Dieses Staunen findet sich fast in jedem seiner Texte wieder, in ihrer charakteristischen Hauptsatz/Hauptsatz/Hauptsatz-Form, die die Vorstellungskraft des Leser nicht erdrückt, sondern ihr Raum läßt zum Staunen zwischen diesen kapitalen Sätzen, die zugleich Nachäffung sind des kapitalen Herrschaftsgeredes. In diesen Texten werden keine Totalitäten kraft Kunst vorgeschwindelt, sondern Bruchstücke einer großen Zerstörungswut aufgezählt, der Zerstörungswut der Fabrikgesellschaft. Sie staunen diese „Realität“ an. Sie sind dialektisch und phantastisch. Sie nehmen die Phantasie des Lesers für voll, seine Angstträume und seine Wunschträume.

Klaus Wagenbach, Nachwort

 

Beiträge zu diesem Buch:

anonym: Als Nachruf eine kleine Anthologie
Nord-West-Zeitung, 1.9.1978

Wolf Scheller: Wortkarger Tiefsinn
Rhein-Neckar-Zeitung, 26.11.1978

 

GBFs Gegenwelt

Über seinem Schreibtisch hing eine kleine Porträtzeichnung von Gontscharow, dem Erfinder des dicken Oblomow, und darunter eine von Jean Paul. In seinem Bücherregal standen Bücher von Lessing und E.T.A. Hoffmann, von Chamisso und Brentano, von Nestroy und Wilde, von Sternheim und Döblin, von Scheerbarth und Friedo Lampe, – Gogol, Tschechow, Babel und Bulgakow, von Eich und Bloch, und es standen da die Bücher seiner Freunde. An den Wänden seines Zimmers hingen Bilder des Kreuzbergers Kurt Mühlenhaupt und bunte Zeichnungen seiner Tochter Anja, – und von deren Zimmer, der jetzt Dreizehnjährigen, hörte man das Trappeln eines Kaninchens in seinem Stall und das Piepsen eines Kanarienvogels herüber. Er lebte hier zwischen Mutter und Tochter, zwischen Holzschneidewerkzeug und Schreibmaschine, auf seinem Oblomow-Sofa mit dem Spielzeug aus Kindertagen, und an seinem Arbeitstisch.
Günter Bruno Fuchs, vielfältig: Der Fuchs, der Gedichte schrieb. Der Fuchs, der zeichnete, – unvergessen seine Bilder zu Ringelnatz. Der Fuchs, der Briefe zeichnete-und-schrieb, – lange Freundschaftsbriefe und kurze Zurufe; es waren Briefe, die auf Echo aus waren. Der Fuchs, der Widmungen verschenkte, – Gästebuchblinkschriften. Einfälle in drei Worten. Der Fuchs, der Holzschneider war, – der dicke Männer mit Elephantenrüsseln über die Stadt fliegen ließ. Der Fuchs, der in seinem Denkmalsforschungs-Film seine Wünsche und seine Bedenken den Denkmälern entgegenspricht, -zeichnet, -lebt. Der Fuchs, der einen Fußball balanciert und Eichendorff zitiert: „Ach, wer da mitreisen könnte, in der prächtigen Sommernacht!“ Und der im leeren Olympia-Stadion spielt, – gegen sich selber, und mit sich, als Schiedsrichter.
Fuchs, der durch Gesten mehr sagte, als andere in schlauen Büchern. Der erzählen konnte wie keiner sonst: von seinen Vorlese-Fahrten, seinen Verlags-Besuchen, seinen deutsch-deutschen Begegnungen in Heidelberg, Ost-Berlin und anderen Örtern. Der Fuchs, der seine Freunde umarmte, der mit Spielzeug und Kuchenpaketen zu ihnen kam.
GBF’s Gegenwelt. Seine Umarmungen werden uns fehlen. Er lebte, mit uns, zwischen Rechtecken, Amtsdeutsch, Barrieren und Beton. Er lebte, zeichnete, schrieb gegen das Rechteckige, Amtsdeutsche, Beschränkte und Betonierte. Er wehrte sich. Er hielt zu allem, was in Bedrängnis war, zu den Eulen, zu den Kindern, zu den Poeten, – und er war selber in Bedrängnis. Er suchte sich aus den Bedrängnissen zu retten, indem er zeigte, was ihn bedrängte (einiges verschwieg er), – und in seine Flugträume. Dabei war er schwer genug, zu bleiben, wo das Bedrängte ihn brauchte, – er flog nicht darüber weg. Sein Hauptberuf blieb es, ein Freund zu sein, und er schaute, oft vergeblich, nach Leuten aus, die, in ihrer Bedrängnis, diesen Hauptberuf durchhielten.
„Das ist ja unglaublich!“ – Er ließ sich nicht abdrängen, nicht in die Ecken drücken, in die man unbestechliche Wehrlose abschiebt. Nach allen Seiten hat er seine Zwischenrufe ausgeteilt, – die oft nur darin bestanden, daß er Wörter wiederholte, die ihm in die Ohren fuhren. So ist er uneinnehmbar geworden, und selbständig geblieben, – der doch am liebsten mit anderen zusammen durch die Straßen lief, und der das Alleinsein nicht ertragen konnte, wie Kinder es nicht ertragen können.
Geschenkt wurde ihm wenig, im ökonomistischen Zeitalter, – er war am schenken. So hielt er sich, achtundvierzig Jahre lang, in denen er von Beschränkungen nichts wissen wollte, und nichts vom Tod −

Walter Höllerer, Sprache im technischen Zeitalter, 1977

 

 

 

Thomas Propp: ORNUNG MUSS SEIN, sprach der ANARSCHIST… 
Eine Reise zum Dichter Günter Bruno Fuchs und zurück unternommen von Thomas Propp im Jahre 1981.

Jutta Hercher: „Raus mit der Sprache“
Günter Bruno Fuchs – Poet mit Narrenkappe

Thomas Schaefer: Platz für öffentliche Unordnung
Eine Erinnerung an Günter Bruno Fuchs

 

 

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