Hans Brinkmann: Poesiealbum 170

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans Brinkmann: Poesiealbum 170

Brinkmann/Brinkmann-Poesiealbum 170

SISYPHOS

So ist das mit seinen Mühen
der schiefen Ebene. Ja,
sie ist uns geneigt, verdammt.
Und einziger Ausblick: am Horizont scheint
Himmel auf Erden zu sein. Er blinzelt,
keine Hand frei, die Kräfte fehlen,
flucht er, springt zur Seite, rast,
rennt hinterher, sieht die Hoffnung zu Tal fahrn.
Erst ganz unten hat er sie wieder,
Kraft für ein Lächeln. Hier ist der Punkt,
wo er weiß, er kommt übern Berg,
er walzt ihn platt, der Verrückte,
nimmt Anlauf.

 

 

 

Hans Brinkmann

Die Gedichte des jungen Museologen aus dem Schloß Hinterglauchau im südlichsten Zipfel der DDR sind alles andere als „hinterwäldlerisch“. In seinen Versen begegnen uns Sisyphus und Majakowski, Luther und Che Guevara, die Reinigungsfrau und Marilyn Monroe, der Teufel an der Wand und manchmal auch ein Mondsüchtiger… Hier arbeitet ein junger Dichter, dem jedes einzelne Wort, vor allem das täglich gebrauchte, wichtig genug ist, um dessen vielschichtige Sinn-Nuancen auszukosten. Dem Leser bietet er den Genuß fast spielerisch wirkender, scharfsinniger Pointen, die Spannung eines „kurzen“ Gedichts, das auch im unsichtbaren Raum zwischen den Zeilen Bedeutung trägt.

Verlag Neues Leben, Ankündigung in Alexander Puschkin: Poesiealbum 169, 1981

Verletzliche Sensibilität

trifft sich mit kühlem Verstand in einer Dichtung, deren Name von „dicht“ kommt und die eben deshalb offen ist für mehrschichtigen Sinnzusammenhang. Mit der schalkhaften Hintergründigkeit eines Eulenspiegel und der sprachlichen Intensität moderner Poesie nimmt Hans Brinkmann die Worte wörtlich, erschließt er die ursprüngliche Bildhaftigkeit oft gebrauchter, fast schon verbrauchter Sprüche, Losungen und Redewendungen. Die lässig wirkenden Verse sind von einem, der weiß, was Arbeit ist und wie man die Kraft der Phantasie beherrscht.

Mathilde Dau, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1981

 

Aus einem Brief an die Herausgeber

Ihr habt um Statements gebeten. Was soll ich da sagen? Daß ich ein Provinzdichter bin, daß ich in einer stinkenden umweltverdreckten Stadt wohne, die man nicht lieben kann. Daß ich die weite Welt aus den Medien kenne. Daß meine Zähne, wie man mir gerade versichert, Kalzium brauchen. Daß es gut ist, daß es McDonalds gibt. Und Klaus Höpke. Vielleicht, daß ich eine gemeinsame Sprache suche mit allen, denen das Mitdenken mehr einbringt als die gehörigen Depressionen. Vielleicht, daß ich hoffe, eines Tages auch auf mündige DDR-Bürger zu treffen, nicht nur auf schnauzende Berliner und murrende Sachsen. Ich habe mein Heimatland als Provinz begriffen und Frau Welt als ein Sex-Symbol in Richtung Porno. Nun isses entweder eingeschnappt oder rastet aus. Ach, was soll ich Euch vorquasseln? Daß ich von Erich Fried herkomm. Gelernt hab ich von ihm etliches. Und ich hab auch zwei oder drei Leuten Verse von ihm ausm Kopp vorgesagt. Das ist nämlich wichtig, weil ja ganz wenige, die Lyrik brauchen, das Zeug lesen. Die Mündigkeit ist keine fixe Idee von mir; daß ich mich drauf versteife hat Sinn. Ich glaube, wer mit Sprache umgehn kann, kanns auch mit Vater Staat, und dessen Absterben ist ja unser aller Bedürfnis. Randy Newman kenne ich aus dem Westfernsehen und von Stimme der DDR, von Rolf Dieter Brinkmann ist sogar was in der DDR erschienen, fünf Gedichte oder sechs. Den Rest hab ich mir von Freunden geholt. Ich weiß nicht, ob Ihr mich versteht, aber das ist es, was ich Provinz nenne. Nun schimpft mich nicht borniert. Es ärgert mich eben, daß ich nicht mal einen Band Chlebnikow besitze, ja nicht mal ausgiebig gelesen habe. Dazu regt man sich hierzuort sogar noch über meine langen Haare auf; das ist absurd, aber heute passiert; eine Frau sprach mich diesbezüglich empört auf der Straße an (ca. 8 Jahre nach den Sex Pistols / ca. 20 Jahre nach den Beatles). Ich weiß nicht, aber vielleicht schreibe ich deshalb nur harmloses Zeug. Also, ein Statement war das nicht. Druckt lieber meine Gedichteln. Oder nichts davon. Ich grüße Euch herzlich.
Brinkmann

Hans Brinkmann, aus: Gesang auf mein Messer. Jahrbuch für junge Lyrik 3, Edition Mariannenpresse, 1985

 

SCHREIBMASCHINE
Für Hans Brinkmann

Immer wieder läßt du dich für alles
einspannen. Immer und immer wieder
tippst du nur an. Und immer wieder
braucht es Druck. Du arbeitest nur
unter Schlägen. Ein Fehler, und du rastest gleich
aus. Stück für Stück tastest du dich vor,
trittst nie aus der Reihe, sagst nichts
zwischen den Zeilen. Du hast nicht alle
auf einer Reihe! Oh, jetzt bin ich zu weit gegangen –
aaaaaaaaaaaaaaaaajetzt hats bei dir geklingelt!

Peter Wawerzinek

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Hansbrinkmann“.

 

Hans Brinkmann liest sein Gedicht Positiv.

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