Hans Christoph Buch: Zu H.C. Artmanns Gedicht „DREI MOHREN STEHN IM FELDE…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu H.C. Artmanns Gedicht „DREI MOHREN STEHN IM FELDE…“ aus H.C. Artmann: Sämtliche Gedichte. –

 

 

 

 

H.C. ARTMANN

DREI MOHREN STEHN IM FELDE
und pflücken reis und tee,
doch auf der hazienda
schlürft ein tyrann café.

er schwitzt in weißem leinen
so manchen liebestraum,
und voll von ordenssternen
schwankt sein bananenbaum.

creolin auf veranda
mit fächer vor dem mund,
lacht ihr creolenlächeln
ins aug dem schweinehund.

der ara in den zweigen
kennt weder moll noch dur,
er lallt aus lila lunge
hinaus in die natur.

die mohren sind erschöpfet
vom heißen sonnenbrand,
sie trinken kühlen branntwein,
den flachmann in der hand.

der obrist siehts, er wütet,
wirft tassen an die wand –
ein schreckensbarbarossa
aus portugiesenland.

da, plötzlich auf der mauer,
erscheint in blanker schrift:
kreuz mene tekel pharsin,
mann, im kaffee war gift!

der obrist sehr erbleichet,
noch blasser als die wand:
soll ich denn nimmer sehen
den heimatlichen strand?

die mohren hörns und kichern
in bittrem tee und reis;
im busch erklingt die trommel,
erzählt vom paradeis.

creolin geht zum geldschrank,
sie kennt das kosewort,
der taumelnde haziendero
verschließt sich im abort.

das hat ein ara gesungen,
rebellischer papagei,
sein buntes lied der arbeit
macht alle menschen frei.

 

Chronik eines angekündigten Todes

Nein, dies ist nicht die Kurzfassung eines Romans von Gabriel García Márquez – das Gedicht von Artmann stammt aus den 1970er Jahren, als der Siegeszug des Weltbestsellers Hundert Jahre Einsamkeit gerade erst begann. Alle Ingredienzen des Exotismus, der Lateinamerikas Literatur so unwiderstehlich machte, sind hier auf kleinstem Raum versammelt: Sex und Gewalt, menschenverachtende Sklaverei, schnöde Tyrannei und gewalttätige Revolution – nicht zu vergessen die verführerische Kreolin, die dem Kolonialherrn das Gift kredenzt: ein berauschender Cocktail, der, damals wie heute, süchtig machte nach mehr.
Das Paradox liegt darin, dass H.C. Artmann, kosmopolitisch und polyglott wie kaum ein anderer Dichter, nie in Lateinamerika gewesen ist. Im Gegenteil, der österreichische Dandy, der sich gern als Schotte oder Ire kostümierte, ein weltreisender Gentleman wie Sir David Lindsay bei Karl May, war fest im Boden seiner Heimatstadt verwurzelt, der er in seinen Dialektgedichten med ana schivoazzn dintn ein Denkmal gesetzt hat. Artmann war ein Wiener Lokaldichter, der im Heißluftballon der Phantasie ferne Länder überflog, ohne seinen Stammplatz im Café zu verlassen – später kamen Malmö und Berlin, Salzburg und Graz, Dublin und Rennes als Wohnorte hinzu. Zwar hatte er Lorca, Calderon und Quevedo übersetzt, aber das heißt nicht, dass Artmann die im Gedicht geschilderte Welt mit eigenen Augen gesehen hatte oder perfekt Spanisch sprach: eine ungewollte Bestätigung seiner Theorie des poetischen Actes, der Artmann zufolge darin besteht, dass man „Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben“.
Die Nonchalance im Umgang mit Details, die der Autor sonst sehr genau nimmt, zeigt sich daran, dass er abwechselnd „Café“ und „Kaffee“ schreibt und die Leser seines Gedichts im Unklaren lässt, ob die Kreolin ein Kosewort oder ein Codewort benutzt, um den Geldschrank zu knacken. Der passt genauso wenig ins koloniale Ambiente wie der Flachmann, aus dem die Mohren Schnaps trinken: gezielte Verstöße gegen die Logik des Textes, die wie die bei Artmann häufigen Anachronismen Markenzeichen seiner Dichtung sind.
Er war in vielen Sprachen und Kulturen zu Hause, aber was ihn faszinierte, war nicht die sogenannte Realität, sondern deren Surrogat, bestehend aus Versatzstücken der Trivialliteratur, aus Filmen und Comic Strips – von Micky Mouse über Sherlock Holmes bis zum Raumschiff Enterprise. Solche zu Klischees erstarrten Fragmente abgesunkenen Kulturguts hat er neu zusammengesetzt zu Sprachkunstwerken, die über die bloße Parodie hinaus ein überraschendes Eigenleben entfalten – das vorliegende Gedicht ist ein Beispiel dafür.
Doch H.C. Artmann begnügt sich nicht damit, satirische Funken zu schlagen, indem er triviale Erzählmuster aufgreift und in ungewohnte Zusammenhänge transponiert: Im Bild des rebellischen Ara hat er sich selbst porträtiert und zugleich den revolutionären Zeitgeist der 70er Jahre ad absurdum geführt, indem er den Papagei die Internationale trällern lässt: „das bunte lied der arbeit / macht alle menschen frei“ – eine vergnügliche Pointe, die Artmanns literarisch-politisches Credo, „ein brechmittel der linken, ein juckpulver der rechten“ zu sein, adäquat illustriert. 

Hans Christoph Buch, 1996, aus Alexandra Millner und Marc-Oliver Schuster (Hrsg.): Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes. Weiteres zu H.C. Artmann, Verlag Königshausen & Neumann, 2018

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