Hans van de Waarsenburg: So treibt die Insel

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans van de Waarsenburg: So treibt die Insel

Waarsenburg-So treibt die Insel

BILL HALEY IN MAASTRICHT

Was war nicht schon alles durch die Ohren gegangen?
Liebliche Stimme von Mantovani, Helmut Zacharias.
Sirup mit billigstem Kirmesgehalt. Inzestuöses
Familienfest. Es leben die Raffröcke,

Die tätschelnden, gierigen Hände. Die Onkel
Bronzen, geil von Bavaria und aufgesetztem
Klaren. Römische Orgie, plötzlich erstickt
Von den wirbelnden Kometen Bill Haleys.

Explodierenden Granaten gleich knallten ihre Töne
Mitten ins Wohnzimmer. Als ob der Teufel leibhaftig
Erschiene. Als ob das Ende aller Tage
Anbräche und die Vorhänge zerreiße.

Nie wurden die Köpfe so heftig geschüttelt
Und Sputum in alle Windrichtungen ge-
Spuckt. Jene Tage eben, voller Höllenwünsche,
Schlaflosen Nächten und schnarchenden Tagträumen.

Zeit ist trübes Papiergeld, siecht in Vinyl dahin.
Yes, die Locke klebt auf seiner Stirn. Yes,
Jeansklamotten gerieten außer sich. Bauchiger
Rock ‘n’ Roll, während Ambon swingte und

Der Bassist wie eh sein Instrument ritt.
Pilsbier rauschte hinunter, verschwand in
Der hohlen Vergangenheit eines jeden. Bill Haley
In Maastricht. Sonntagsgottespreisen, Pomade

Auf alten Häuptern. Die Väter waren schon tot,
Doch mussten sie nochmal ins Grab. Es dampfte
Noch nach. Ich drehte den Rücken so zerbrechlichen
Tagen zu: Shake Rattle ‘n’ Roll.

 

 

 

Vornehm getragene Dämmerung

„Jung warst du / Schon ein Chinese“, schreibt Hans van de Waarsenburg in „Beschreibungen des Sees“, einem seiner längeren Gedichte, das mir exemplarisch für sein Werk erscheint. Es gibt nur wenige Lyriker, die „Schmalz und „Honig“ in einem Gedicht unterbringen können. Wer dies tut, begibt sich in ein selbst angelegtes Kreuzfeuer und geht das Risiko ein, sich in Fallstricken und Widersprüchlichkeiten zu verfangen, doch davor haben junge Chinesen keine Angst. Bleibt die Frage: ein chinesischer Limburger, ist das denkbar? Und dann auch noch einer mit „Asche in seinem Schnapsglas“, jemand, der innerhalb weniger Zeilen einen „Esel auf dem Berg“ sieht, aber auch ein „Boot voller Sirup“? Und wie ist es zu erklären, daß man sich als Leser auf alle diese rasch aufeinanderfolgenden Bilder so frohgemut einläßt? „Götterdämmerung“, Evokationen von „Blut“ und „Tod“, „Skelett und Gerippe“? Vierundzwanzig Verse zählt dieses lange Gedicht, und wenn man sie liest und noch einmal liest, hat man an einem See von Widersprüchen gestanden, die einander nicht aufgehoben, sondern noch verschärft haben. Die starken Bilder überstürzen sich fast, doch erstaunlicherweise erzeugt das keinen schrillen Lärm, sondern eher eine große, atemlose Stille, in der ein Dichter auf einen emblematischen See blickt wie auf einen Spiegel, der alles vergrößert und in dem er sein Leben sieht. Karge Tangos klingen auf, ein Konsul, vielleicht ja sogar der aus Lowrys Roman Unter dem Vulkan, ertrinkt in einer mit Meskal gefüllten Badewanne, „Farben“ sind aus der mexikanischen „Ansichtskarte gelaufen“, ein Mann stellt sich der Konfrontation mit seinem eigenen, erschreckenden Selbstporträt eines reisenden Dichters. Auch in dem Gedicht „Inseln“ ist van de Waarsenburg ein Reisender mit weit offenen Augen, die alles registrieren, was zu sehen ist. Er malt die Landschaft wie ein Expressionist, scheut keine Farbe und zeichnet zugleich ein Porträt seiner Stimmung, ein inneres Theater der Heiterkeit, des Genusses, der bezwungenen Verzweiflung und des düsteren Pathos, das eher an lateinamerikanische als an niederländische Lyrik denken läßt.
Van de Waarsenburg ist in Helmond geboren (1943) und danach Limburg für immer verfallen. Er wohnt in dem für unser Land sehr südlichen Maastricht, das noch gerade eben in den Niederlanden liegt, im Grunde aber näher beim Rheinland und dem französischsprachigen Lüttich. Es würde zu weit gehen, zu sagen, er sei ein Außenseiter in der Lyrik der Niederlande – dafür war er zu präsent bei verschiedenen Lyrikveranstaltungen in Limburg –, und trotzdem haben seine Gedichte in ihrer dann und wann schamlosen Großsprecherei und Rhetorik – und das ist bei mir ein Kompliment – ein Element der Ferne, nicht zuletzt weil er sich weit vorwagt und den lauten Ton nicht scheut. Er schreibt eine männliche Poesie, die sich häufig vorbehaltslos in hier und da großen Gesängen ausliefert, körperlich, irdisch und theatralisch, zuweilen trunken von sich selbst, die aber auch leise sein kann und im Kern stets luzid, eine Stimme, die sich dessen bewußt bleibt, was sie sagt, sogar wenn die Emotion die Bilder turbulent übereinanderpurzeln läßt, die aber auch zurückkehren kann zu einer „vornehm / Getragenen Dämmerung“.
In „Terra Salsa“ ist seine Lyrik sich ihrer südländischen Herkunft voll bewußt, und die Tatsache, daß die spanische Übersetzung seiner Gedichte bei einem mexikanischen Verlag erschienen ist, der den Namen eines der berühmtesten Bände des peruanischen Dichters César Vallejo trägt, Trilce, ist natürlich auch kein Zufall. Einst, in einem vor fast vierzig Jahren erschienenen Band, blickte der Dichter zurück und versuchte sein Leben in „gestreckten Sentimetern zu schätzen“. Er kam zu dem Schluß, „daß es die Mühe kaum lohnte“. Mit diesem jugendlichen, griesgrämigen Urteil in einem „Mollton / Der Pulverisierung“ hatte er leidenschaftlich unrecht. Es ist gut, daß sich jetzt auch deutsche Leser davon überzeugen können.

Cees Nooteboom, Nachwort, 18.7.2008
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Hans van de Waarsenburg rezitiert das Gedicht „Bill Haley in Maastricht“ am 19.6.2011 im Weserhaus von Radio Bremen zum 12. Internationales Literaturfestival Bremen POETRY ON THE ROAD.

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