Henryk Gericke: autoreverse

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Henryk Gericke: autoreverse

Gericke/Lippok-autoreverse

du irrst in der person,
deiner konturen verwiesen.
wer maschinen mit sie anspricht,
schlage nach unter ich;
ich, für meinen teil,
und ganze rudel von wild
die noch heute den schloßpark beleben,
und auf fundamenten ein haus,
welches klar umrissen erlaubt,
vom objekt auf sich zu schließen.

 

 

 

Lyrische Loops oder:

der Vers als Spule aus dem Bauch der Gedächtnismaschine.

Nach der Lektüre von Henryk Gerickes Autoreverse hatte ich zwei Vorsätze: 1. den aus der Mode gekommenen Begriff von der „Stimme des Autors“ neu zu überlegen, und 2. dem Kompositum „Gedichtband“ eine Konnotation hinzuzufügen, die auf etwas hinweisen müsste, auf das jedoch der Titel selbstredend schon hinweist: Daß auch die schriftvermittelte Poesie offenkundig nicht um bestimmte Transportmechanismen „unserer“ analogen oder digitalen Aufzeichnungskultur herumkommt. Doch dies nur nebenbei. Henryk Gericke hat unlängst (nun) endlich sein Buchdebüt als Dichter vorlegen können und es erscheint, soweit sich dies überhaupt von einem solchen Erstling sagen lässt, auf eine merkwürdige diskrete Weise vollkommen. Hier hat der allenthalben unterstellbare Wille zur Selbststilisierung keine Alltagsblüten getrieben, sondern zu einer schmalen Serie von Gedichten geführt, die durchweg das Ergebnis einer minimalistischen Tüftelei an einer essentiellen Aussage über das Leben im Zeichen der Auflösung selbst noch der Umwertung etlicher Werte zu sein scheinen. Zur Einführung in diese Dichtung sei an die ebenfalls leicht aus der Mode gekommene Frage nach dem lyrischen Subjekt erinnert. Wer spricht eigentlich? wurde einmal gefragt, und einige Dichter haben sich das wie eine Frage des Überlebens im eigenen Medium zu Herzen genommen. Die Art, in der Henryk Gericke diese Frage mit seiner Poesie beantwortet, wäre andernorts schwer zu finden, wäre „mit der Lupe zu suchen“. Hier hingegen wird selber ein Anschein eines, gewissermaßen für einen schnellen Zugriff installierten, Vergrößerungsmediums erweckt, das einen Vorgang freigibt, der im Spiel mit verschiedenen möglichen Wortbedeutungen immer wieder auf einen persönlichen Erfahrungskern zurückgreift; einen Erfahrungskern, der in einem eingefleischten Unbehagen mit der Inflation von lyrisierenden Bildsprachen stecken mag.

Der Band fängt an mit einem Mustergedicht, das die Form vorwegnimmt, in der gut die Hälfte aller Texte verfasst sind, beginnt jedoch erst auf der folgenden Seite mit einer Art Aufruf und Vollstreckung des „Sound“ (der Anglizismus dürfte hier nicht ganz fehlgehen), der das gesamte, in drei Abschnitte unterteilte Buch bestimmt: nehmen wir uns uneins der dinge, / die sind klang oder körper des klangs, / nehmen wir dich in deinem leib, in deinem glanz / durch abwesenheit halten den ton nicht die träger / des tons halten die bilder der barren von quecksilber…

Da die Frage nach dem lyrischen Subjekt bereits Erwähnung fand: das „wir“ in den zitierten Versen ist durchaus nicht zu verwechseln mit jenem vollmundigen ‚Wir‘, das man einmal in diversen dichterischen Delegierungen wie z.B. ‚vom Ich zum Wir‘ oder ‚wir und nicht sie da‘ o.ä. zur Kenntnis genommen hat. Vielmehr ist es bereits ein Nachfahre eines vormals bis zur kollektiven Gestaltlosigkeit geschlauchten ‚Wir‘. Es hat sich notgedrungenermaßen seines alten Kontextes begeben, fand sich sozusagen jedoch noch in ganz guter Form und nahm sich daher, frei vom Charakter einer demonstrativen Mehrzahl, noch einmal seiner selbst an. Für seine Herkunft konnte es nichts; es war trotzdem auf einmal sehr leicht, und daher schwebte es sogar ein bißchen. Nennen wir es den pneumatischen Plural eines konjunktionellen ‚ich‘, das seinen eigenen Kollektivgeist herbeigerufen hat, um ihn an eine neue Richtung zu binden. (Übrigens, es liegt an der quasi tafelbildlichen Abstraktion, in der die Worte organisiert sind, daß man Lust bekommt, jedes einzelne Gedicht extra zu besprechen.) Wir haben es ferner auch mit sehr viel kontemplativem Platz zwischen den einzelnen Satz- und Wortverbindungen zu tun. Es ist Raum für die Schatten von Bedeutungen, welche beim Festschmaus der Sprache nur allzu gern unter den Tisch fallen. Es gibt feine Klammern für den Wortklamauk, den die Sprache in ihrer wesentlichen Widersprüchlichkeit mit einschließt. Gelegentlich finden sich solche Klammern per Metathesis aufgelöst, wie z.B. das wagnis ging uns ein, im letzten Abschnitt, der mit Nocebo betitelt ist. Henryk Gericke ist in dieser Hinsicht zwar nicht unbedingt ein ‚Lyriker der Lücken‘. Aufs Ganze gesehen aber, indem sich der Band im Grund wie ein Leporelle entfaltet, welcher, Blatt um Blatt, die Erzählung einer Fahrt oder Wanderung aus der Negativität vollendeter Tatsachen zu den Positionen ihrer potentiellen Umkehrbarkeit ‚abspult‘, ließe sich durchaus finden, daß der Verfasser so etwas ähnliches ist wie ein ‚Rhapsode der Zwischenräume‘.

Tatsächlich interpretiert sich dieser, trotz der Entschiedenheit seiner bis auf ein minimalistisches Spiel von Kernsätzen zurückgenommenen Sprache, ‚berauschend‘ leise Text mitunter wie ein Stück einer verschollenen Minstrellyrik, gleichsam vom Autor der Autoreverse entdeckt und, unter Einfügung kontemporärer Tonfragmente (den Splittern einer eigenen Haltung), behutsam rekonstruiert. Vor allem betrifft dies den erwähnten Nocebo-Abschnitt. Das Wort Nocebo übrigens weist in den Bereich der Schwarzen Magie, einer Kunst, die im Hinblick auf jene verhext anmutende Wanderung durch ein gespenstisches, nur aus Licht und Schatten und Landschaftsrissen bestehendes Parallelkontinuum der Zeit und des Raumes ihre morphologische Entsprechung finden mag.

… / überhaupt fiel es schwer / das nicht vorhandene / als vorhanden zu betrachten. / träume und bildwerfer, / etwas lag als  lächeln frei, / frische erde, / vielleicht eine verwerfung im stein. / so verhielt es sich, / wir empfanden unter vorbehalt. / das wetter beobachten, / farbe verwenden, / durch den sucher sehen / oder auch nicht. / es drehte der wind, / das wetter schlug um, / der himmel lag brach … (Nocebo) Ja, das ist eine nüchtern klingende, ferne Stimme einer das ungut zu schweben scheinende Land vermessenden Bewegung, deren Bericht mir bekannt vorkommt: „der himmel lag brach“: ein antiquiertes Synonym für das Höchste, als Acker gesehen, der brachliegt, aus welchen Gründen auch immer, und dies auch schon wieder Vergangenheit. … / wir blieben nicht stehen, / unserem schatten / aus dem licht zu gehen. (Nocebo, Schluß)

Ein ganz anderes Zitat mir leider nicht mehr erinnerlicher Herkunft drängt sich hier auf, fast ein déjà-vu: „Zwischen Auge und Objekt fällt der Schatten. Und dieser Schatten ist das vorher aufgenommene Wort.“ Und ich lese es so: Das Auge ist Sprache. Das Objekt ist Welt. Den Schatten haben wir, der dem Wort gleicht, das vorher aufgenommen wurde. Also haben wir auch das Wort, welches vorher schon, vor uns, bereits aufgenommen wurde. Deshalb sieht es auch so dunkel aus, genau wie der Schatten, den wir nun mal haben. Doch ohnehin müssen wir es noch einmal aufnehmen, es sogar überspielen, und zwar mit der dafür geeignetsten Technik. Nur so können wir es vorspielen, hingeben. Und darum geht es noch immer.

Es gibt ein Zögern der Sprache in den Versen Henryk Gerickes, welches, einmal abgesehen von den immer wieder wie schattenrißartig angeschnittenen Motiven des Sich Fassens, des Vorankommens, des Suchens und des Erfindens oder Abschreibens von Suchmethoden, als ein internes Motiv zum Ausdruck kommt. Es ist ein Zögern, das man auch als eine Form versehen kann, mit der sich das Gedicht seiner Handlungsmöglichkeiten noch vergewissert, nachdem es zur Verwirklichung bereits übergegangen ist. Zum anderen ist dieses Zögern mit einem Mißtrauen verbündet, das dem Stadium der Auflösung seines Materials gilt. Es ist ein internes Kontrollorgan; es ist ein Zentralnerv dieser Gedichte:

einmal zweifelt er, ein anderes mal nicht.
dem, ein jedes überbelichtetet, die verhältnisse
lichtverhältnisse wären, da sie den blick durch zehn finger
stören, die schatten zu dimmen. nach ihm das licht
wahrte den schein von bewegung am haus innen.

Je genauer man auf die Konstruktion solcher Verse schaut, um so deutlicher kristallisieren sich Bewegungen, ‚Versionen‘ heraus Vorgänge einer Zauberei mit narrativen Energien, die auf eingeschränktestem Raum das Spiel einer emotional entladenen Identität zwischen den Polen Licht / Schatten, Schwarz / Weiß, Körper / Idee und ähnlicher Gegensatzpaare beschwören. In szenarischen Miniaturen faßt sozusagen ein Nußschalendrama kontroverser Gratwanderungen fuß, das die Umrisse von Bildern zurückläßt, Bildern etwa von Gebäuden, oder von Straßenzügen, flachen Landschaften und sogar von Stätten archäologischer Spekulationen und Grabungen.

Ronald Lippoks Zeichnungen begleiten die Gedichte wie ein schwarzer Faden, der sich durch die gesamte Textur zieht. Ab und zu ergeben sich Reflexionen auf einen Vers. Einige verblüffen mit ihrer Sicherheit, mit der sie die ihnen jeweils gegenüberstehenden Verse motivisch umsetzen. Ronald Lippoks zeichnerischer Stil konspiriert in seiner prä-historisierenden Konfiguriertheit mit dem außerzeitlichen Charakter von Henryk Gerickes Versetafeln. Würde man hier jene durch den Titel Autoreverse suggerierte Anhänglichkeit des Bandes an eine Gegenwartskultur des computergestützten Rekordierens von Klangmaterialien in jeder möglichen akustischen Organisiertheit nicht sofort für eine Art mutierter Metapher ansehen, dann könnte man freilich zu einer grundlegenden Botschaft des Bandes keinen einzigen vernünftigen Satz sagen. Außer, daß er dann wohl die Botschaft seiner selbst wäre, gewissermaßen ein Nullmedium mit beschränkter Haftung für seine Visionskraft.

Schlägt man aber das Buch auf, spürt man sofort den Atem einer hochkonzentrierten Gedächtnisarbeit, welche die Gegenwart außer kraft setzt, indem sie ihre eigene Zeitform einführt, eine, die nichts anderes sein kann, als eine neue Abmischung solcher ‚Spuren‘ der Zeit, die der Autor mit der Erinnerungsmaschine seines Kopfes aufgenommen hat. Eigenartigerweise ruft er einen Eindruck von Zeitlosigkeit hervor, der sich durch seine, mit Elementen der Sprachen von Bildkommentaren, Fachjargon und dem Reduktionismus von Stichwortnotizen zugerüsteten Ausdrucksmittel wie von selbst über ein Gros von eigentlich Seinesgleichen erhebt. Die Frage nach der Stimme, welche eigentlich spricht, verschmilzt mit der Frage nach der Zeit, und die Frage nach der Zeit ist die Frage nach dem Kairos, nach dem (richtigen) Zeitpunkt. Die Antwort liegt begründet in der Handhabung einer Abruffunktion. Als richtiger Zeitpunkt erweist sich der Moment, an dem das versiert beschworene Erinnerungsmaterial aus dem Speicher des Mediums abgerufen wird. Da somit nun schon einmal das Wortbild einer Taste anklingt, soll noch das Tastende der Gedichte genannt sein, das in diesem Fall eine form der besonderen Kontrolle ist, die Henryk Gericke seinem Wortmaterial angedeihen läßt. Das Gesamtmaterial umfaßt wiederum neben Privates mit Außergewöhnlichem, Geheimes mit Alltäglichem vermischenden Erinnerungstatsachen auch das innere Thema der Formulierbarkeit einer Autorschaft im gestrigen Sinne des Wortes ihr Publikum verspielt hat. Ein Porträt des Autors als Kassettenrecorder ist vorstellbar, entweder als Asylant in einer Sci-Fi-Welt, oder wenigstens im Sinne der Klimax eines passionierten Klangjägers und –sammlers, da die Passion in eine sympathetische Nonsensbehauptung umschlägt, wie etwa in einer Äußerung des Bassisten Jah Wobble: „Ich bin ein Radioempfänger.“

In ‚unseren‘ 80er Jahren, als die Zeit stillzustehen schien, war einmal die Idee einer skulpturalen Bearbeitung reinen Zeitmaterials möglich gewesen. Es war die Idee einer reinen Bearbeitung einer statisch gewordenen historiologischen Größe, eines nicht mehr oder lediglich noch historisch anwendbaren Begriffs von Zeit, der dafür um so verzweifelter in den Künsten zur Disposition gestellt wurde. In den 90ern scheint der historische Zeitfluß aus seinem Umweg über die blanken Landschaften der Erinnerungen allmählich zurückgekehrt zu sein, zurückgekehrt in einen unwirklich gewordenen, zum Albtraum gewordenen Raum voller Zeitskulpturen, die alle in ihre als leer erfahrene Raumhaftigkeit hineinragten und auf irgendeine Art die schlagartige Erlösung aus ihrer ‚Zeichenstarre‘ erwartet zu haben schienen. Seither ist die Zeit wieder zu etwas anderem geworden als dem schieren Nichts. Der skulpturelle Bann war gebrochen. Henryk Gerickes Gedichte erinnern insofern an den gestrigen Stillstand, als es dieser Stillstand war, der einem Kollaps der chronologischen Gewohnheiten des Zeitbegriffs gleichkam und zu jenem komatösen Zustand des Zeitbewußtseins führte, welcher unter dem Namen Postmodernismus die Oberflächen der Gegenwart mit Bruchstücken aus allen chronistischen Epochen überschwemmte. Es war dieser Stillstand, der die menschliche Gedächtnisarbeit urplötzlich in einen Krieg der Träume trieb. Die Gedichte Henryk Gerickes strahlen eine Gewißheit aus, daß sie – ungeachtet ihrer Herkunft aus einem Nullpunkt und ihrer Suche nach einem einzuschreibenden Zeugnis ihrer traumhaften Existenz in den Spuren einer fernen Vergangenheit, einer sich per Repetition bis auf die Knochen einer suchenden Gegenwart abschleifenden Vergangenheit – sich die Epoche nicht aussuchen können. Das einzige, das sie wählen können, ist der Zeitpunkt ihres Erscheinens, wählbar mit Hilfe einer Aufzeichnungs- und Abruftechnik, die jedermann zugänglich ist: Ein vor- und rückläufiges Jetzt über dem Jetzt.

Andreas Koziol, moosbrand, Heft 5/1997

Des Leerlaufs Latein

– Zu Henryk Gerickes Gedichtband autoreverse. –

Ich habe nicht gewusst, wie man aus den ruhenden Dingen noch das Tempo zu nehmen vermag. In Henryk Gerickes Gedichtband autoreverse geschieht so etwas: genaue Verzögerungen und eine Art von Gelassenheit, wie sie in der heutzutage veröffentlichten Lyrik nicht allzu oft vorkommen. Gäbe es biographischen Verlust und Gewinn könnte man „Zeit gutmachen“ oder  „im Leben vorankommen“ – diese Gedichte wären nicht geschrieben worden. Denn sie handeln ja von dem Glück, sich nicht entscheiden zu wollen, etwas in der Schwebe zu halten. Und so merkt man, daß diese Gedichte es mit „Authenzität“ erst gar nicht versuchen; jenes literarisch gefällige Zusammenbasteln einer Biographie aus mehr oder weniger aufregenden Details vielmehr unterlaufen.

Wenn sich, und das bedeutet ja „autoreverse“, ohnehin alles wiederholt, können die Mechanismen des Sich – Entfernens und Vergessens nicht aufgehen: „schwer zu sagen / wer oder was eine ex-frau sei“ sagt der Autor und überzieht die vermeintlichen Gewissheiten vom Vergehen bzw. der Richtung der Zeit mit einem fein geknüpften Netz aus Halbwahrheiten, Umkehrungen und Trugschlüssen. Es ist, als ob sich die „tatneutrale person“ dieser Gedichte nicht zwischen Lauf- und Schlenderschritt entscheiden kann und  aus diesem Zwiespalt heraus zunächst einmal stehen bleibt. (Auch der Leser muß zunächst  einmal stehen bleiben: da er die Seiten des Buches, wie einst bei den Surrealisten, selbst aufschneiden muß.) Und trotz dieser ständigen Unterbrechungen, dem Hin und Her des Blicks zwischen Nähe und Ferne „fundament und firmament“ – die Gedichte haben ihr Maß und ihre Bewegung in einem unterschwelligen, sich wie von selbst fortschreibenden Rhythmus.

Wer das Hinschauen derart mit dem Abwarten verbinden kann, muß wohl zwangsläufig bei jenen Wörtern ankommen („vogelthema“, „himmelsfresken“, „zwischengeschoß“, „lichtinseln“), für die wir im richtigen Leben nur schwer das dazugehörige Bild finden. Was zweifellos einer der Vorzüge dieser Texte ist; nämlich einprägsame Zeilen hervorzubringen und zugleich jedes lyrische Spektakel, jede Vordergründigkeit zu vermeiden. Ebenso gekonnt wie Gericke in seinen Gedichten aus der Vogel- in die Zeigefingerperspektive zurückkehrt, werden die festen Paare unseres Denkens, also Licht und Schatten, Ja und Nein, Plus und Minus, Ton und Tonträger auseinandergerückt und um eine dritte, eine Denkfigur eben, erweitert. Im Unterschied zu anderen Lyrikveröffentlichungen dieser Jahre scheint mir das Verhältnis von Kopf und Welt, von drinnen und draußen ohnehin kunstvoll verdreht: Nicht sind ja Zeilen wie „ein gefallenes nein / von epischer einsilbigkeit in des leerlaufs latein / steht auf der anderen seite des blattes; du bist die nullnummer / der edition gottes“ aus dem Leben ins Gedicht gelauscht, sondern aus dem gleichmäßigen Rhythmus diese Denkens und Sprechens heraus in die Welt gesickert. „eine sache der konzentration“, des Innehaltens im rechten Moment, was den Autor genauso meint wie den Leser. Erst bei wiederholten Lesen der Gedichte wird man unter ihrem zögernden Vorangehen auch das feine Kratzen, das ausprobieren der verschiedenen Stoffe, und Substanzen (Stein und Metall, Glas und Wasser) vernehmen. Eine Form von Aktivität, die allerdings eine nur angedeutete ist, und somit auch kaum Geräusche macht oder zählbare Ergebnisse bringt. Das Errichten eines gebäudeähnlichen Baus zum Beispiel, ein Haus, genau wie ungenau. Überhaupt das Haus, diese Kinderzeichnung von einem Wort, gehört zu den wichtigsten Utensilien dieser Texte. Es ist ja mit seinen vielen Möglichkeiten von Schieflage, Zusammenfallen, Verlassenwerden undsoweiter undsofort auch ständiges Motiv der dem Buch beigegebenen Zeichnungen von Ronald Lippok. Von befreiender wie irritierender Einfalt sind diese Bilder, was damit zuammenhängt, daß Lippok zu seinen Menschen- und Hunde- und sonstigen Körpern die geeigneten Fremdkörper gefunden hat. Dieser Band hat eine Leichtigkeit im Verschieben, im Vor- und Zurückdenken, ein gelungenes Zusammenspiel von Grafik und Text.

Jörg Schieke, Edit, Nr. 12/1997

 

 

 

 

Berlin, 25. Juli 2015. Henryk Gericke demontiert öffentlich den Schriftzug der „STAATSGALERIE PRENZLAUER BERG“.

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Die Vrahtoth“.

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