Hinnerk Einhorn: Voyage au Paradis

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hinnerk Einhorn: Voyage au Paradis

Einhorn/Gubig-Voyage au Paradis

ORPHEUS-VARIATION

Ohimé / der nemeische Löwe brüllt im
Akkord / die lernäische Schlange jiepert
nach Freibankzuteilung / kretische Ochsen
niesen in den Beton / Stymphaliden dampft
Geifer im Kropf / Die Sonne selbst
salutiert dem klirrend blauen Planeten
Oimé / Wen verwandelt mein Schmerz

 

 

 

Was soll mir Poesie?

Hinnerk Einhorn, den Schriftsteller und Altenpfleger aus der Spreewaldgegend, habe ich vor einem Jahrzehnt kennengelernt.
Er war ins Saarland gekommen, um Gedichte aus seinem im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Band Quichote und die Windmühlen und Prosa aus der Anthologie Tötungsverfahren zu lesen, die Alfred Diwersy in der Edition Karlsberg herausgegeben hatte.
Mir gefiel auf Anhieb Einhorns kluge Poetik, die schon Ende der fünfziger Jahre von Jean Paul Sartre geforderte engagierte Literatur mit dem von Max Bense reklamierten Sprachspielbewußtsein zu verbinden. Zwischen Sartres Anspruch, wenn jeder niedergeschriebne Satz nicht auf allen Ebenen des Menschen und der Gesellschaft widerklinge, bedeute er nichts, und Max Benses Erkenntnis, nicht sein Inhalt, sondern die eigengesetzliche sprachliche Gestalt jedes Satzes begründe seine Bedeutung, bewegt sich Hinnerk Einhorns Poesie. Weder dem Agitprop politischer Literatur noch dem L’art pour l’art absoluter Poesie ist er je verfallen: Im Schicksalsspiel des Sisyphos und des Don Quichote, worin sich das Paradoxe aller Bemühungen, letztendlich die Vergeblichkeit alles Tuns zu erkennen gibt, sieht Einhorn seine Anschauung vom Menschsein in dieser Welt poetisch ausgeprägt.
Der absurde Mensch sagt ja!
Sein Quichote-Gedicht von 1990 bewegt sich noch in Metaphern. Die Windmühlen – für den Illusionisten Quichote bedrohliche Riesen, deren Arme jeder Furz, jedes göttliche Flüstern wie Flügel treibe – fürchte er nicht, doch er ruft den Realisten Sancho Pansa um Hilfe an, seine Situation begreifen zu lernen:

Hilf Sancho! Wo bin ich?

Don Quichote und Hinnerk Einhorn brauchen ihre praktisch denkenden und arbeitenden Nachbarn, um im Leben zurechtzukommen. „Was soll mir Poesie?“ fragt Einhorns Hausgenosse im Tagebuch des Dichters, der sich selber fragt:

Wird seine Gummimontur dadurch geschmeidiger, in die er Tag für Tag in rollender Schicht steigt, um dann bis zum Nabel im Schlamm zu stehen? Werden seine Hände härter davon, daß sie winters nicht mehr am Eisen im Vortrieb der Entwässerung kleben?… Leider habe ich vor lauter Frühstücksgeschirr keinen Platz, um schnell die Maschine anzuschlagen, ihm wenigstens durch Gehämmer bedeutend, daß Schreiben auch Arbeit ist.

Der Dichter antwortet seinem Nachbarn wie Don Quichote seinem Begleiter: Es komme darauf an, über die tägliche Arbeit hinaus ungewöhnliche Abenteuer zu bestehen, und eine Reise in die Poesie eröffne ihm den Weg ins allergrößte Abenteuer. Don Quichotes Antwort an Sancho Pansa ist eine Definition der Poesie, die Hinnerk Einhorn bestätigt:

Ich erzähle dir das alles, weil auch ich wie der Mohrentöter von der ersten Steineiche einen Ast abzureißen gedenke, der gerade so gewaltig ist wie jener, und mit ihm werde ich solche Taten vollbringen, daß du dich glücklich preisen wirst, dazu auserlesen zu sein, sie anzuschauen und Zeuge von Dingen zu werden, die man kaum wird glauben können.

Einhorns neue Gedichte und Texte knüpfen an die alten an. Es sind poetische Botschaften aus den neuen Ländern, in den schönsten Stücken auf das Wort reduzierte Lebensbilder einer deutschen Wende. So ist „Lebenslauf, fiskalisch“ ein Musterstück formstrengster Denk- und Wortspiele gegen das neoliberale Wirtschaftsgebaren unserer Gesellschaft. Wie Don Quichote reist Hinnerk Einhorn ins westliche Paradies und rennt sich im Kampf gegen die virtuellen Windmühlenflügel den Schädel ein, damit jeder Sancho Pansa in seiner arglosen Unwissenheit hinausposaunen kann:

Sagte ich’s Euer Gnaden nicht, daß Ihr zusehen möchtet, was Ihr tätet, und daß es nur Windmühlen wären, die ja auch jeder kennen muß, der nicht selber welche im Kopfe hat?

Ja, wenn’s nur Windmühlen wären!

Ludwig Harig, Nachwort

 

In Richtung Paradies

strebten die Beine und Gedanken vieler Siedler im Grenzland DDR.
Doch ein einig Volk brachte Höhenflüge und Bauchlandungen im ungewohnt verwalteten deutschen Vaterland.
Chronologisch und sehr biografisch erzähle ich von meinen Erfahrungen als Genießer der veränderten Verhältnisse, in Senzig nahe Königs Wusterhausen und Key West am letzten Zipfel von Florida.
Sie finden ein Kontinuum von Gedichten, Kurzprosa und Miniaturen, das Sie erheitern und bedrücken will. Wenn Ihnen das alles schon geläufig ist, erfreuen Sie bitte mit diesem Büchlein Ihre Freunde & Feinde.

Ihr Hinnerk Einhorn
Gollenstein Verlag, Klappentext, 2000

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope
Porträtgalerie: deutsche FOTOTHEK
Nachruf auf Hinnerk Einhorn: junge Welt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00