Horst Bienek: Zu Christa Reinigs Gedicht „Die Prüfung des Lächlers“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Christa Reinigs Gedicht „Die Prüfung des Lächlers“ aus Christa Reinig: Die Steine von Finiesterre.

 

 

 

 

CHRISTA REINIG

Die Prüfung des Lächlers

für meine mutter,
die dem lächler das haupt gehalten hat.

als ihm die luft wegblieb, hat er gelächelt
da hat sein feind ihm kühlung zugefächelt
er lächelte, als er zu eis gefror
der feind rückt ihm die bank ans ofenrohr

er lächelte auch, als man ihn bespuckte
und als er brei aus kuhmist schluckte
er lächelte, als man ihn fester schnürte
und er am hals die klinge spürte

doch als man ihm nach einem wuchtigen tritt
die lippen rundum von den zähnen schnitt
sah man ihn an, erst ratlos, dann erstarrt
wie er im lächeln unentwegt verharrt.

 

Lächeln über die Welt und über sich selbst

Das Gedicht ist wie die Beschreibung eines Bildes, das Francis Bacon gemalt haben könnte. Einfach und lakonisch, in grellen Aufrissen, mit einprägsamen, suggestiven Reimen: ein Mensch, der lächelt, über die Welt, über die Feinde, über sich selbst, rätselhaft lächelt – und dem man das Lächeln nicht wegnehmen kann, auch nicht in der Tortur. Ein Gedicht, das ein konkretes, wenn auch zeitloses Ereignis aufschreibt und das damit hinausweist in eine politische oder theologische Metapher. Etwa: der Glaube, der unverrückbar ist und schließlich den andern, den Feind, verändert; das weiche Wasser besiegt den harten Stein; der Schwache besiegt den Tyrannen.
Das sind schon Interpretationen, es ließen sich weitere hinzufügen. Darum geht es nicht. Es ist ein „offenes“ Gedicht, und ich glaube, Christa Reinig geht es eher darum, auf diese Weise den Leser zur eigenen, aus der Selbsterfahrung bestimmten Interpretation aufzurufen. Erst von daher kann sich jene Betroffenheit einstellen, die, übers Literarische hinaus, ins Biographische (oder Nacherlebbare) geht.
Der Vorgang wird deshalb so lapidar wie möglich „erzählt“, kein Dekor, kein Milieu, keine definierte Zeit: im Grunde ein philosophischer Gedanke, eine theosophische Idee, die hier in einer zugegeben kühnen und schlüssigen Parabel konkretisiert werden. Der Titel „Die Prüfung“ verstärkt noch den ideengeschichtlichen Aspekt. Das Gedicht ist vielinterpretierbar, aber doch eindeutig. Es ist privat wie auch öffentlich, politisch wie religiös wie auch literarisch: in dieser Prüfung sind wir, die Leser ebenfalls Gefolterte; das will in einem konkreten und metaphorischen Sinn verstanden sein.
Christa Reinig hat sich lange mit chinesischer Philosophie beschäftigt, von dort kommt was her – und von Brecht und auch aus der Erfahrung ihrer (damals) isolierten wie gefährdeten Existenz. Die konventionelle Form hält die Kühnheit, die Explosivkraft des Gedankens zusammen, ja, der Zwang des Reims, ohne Umweg, von Zeile zu Zeile, macht erst die Freiheit des Lächlers (auch in der Tortur) offenbar.
Dieses Gedicht, in den fünfziger Jahren entstanden, steht in dem neuen Band Die Steine von Finisterre, der alle ihre Gedichte versammelt, mit Ausnahme der römischen Gedichte in dem Buch Die Schwalbe von Olevano. Im ganzen sind es wenig mehr als ein halbes Hundert Gedichte; für jemanden, der seit dreißig Jahren schreibt, nicht zu viele. Hier wird deutlich, daß die „neue Einfachheit“, die heute das aktuelle Gedicht immer mehr bestimmt, von Eich, von Huchel und von der Reinig ihren Ausgang genommen hat. Besonders auffällig in ihren kurzen, aphoristisch zugespitzten Zwei- und Vierzeilern. Solche sprachliche Lakonik im Gedicht erreicht heute nur noch Reiner Kunze. Sie haben beide auch die gleiche Herkunft.
Christa Reinig immer noch, wie es seinerzeit Johannes Bobrowski von ihr sagte, ein Geheimtip? Ich glaube Ja. Wie es die Lasker-Schüler zu ihren Lebzeiten war.

Horst Bienekaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Erster Band, Insel Verlag, 1976

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