Iain Crichton Smith: Segel aus Salz

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Iain Crichton Smith: Segel aus Salz

Smith-Segel aus Salz

ENVOI

Denk an mich, wenn du in dein Königreich einkehrst.
Denk an mich, den Bettler der Spiegel, wenn du
aaaaabestätigt wirst
im Schlafe der Erfüllung auf dem weißen Kissen.

Denk an mich, der da klopft ans Fenster,
der am Klapperstock humpelt und kennt
die zitternden Nordlichter der Nerven.

Denk an mich in deinem guten Herbst.
Der ich geh in meinen Tellern aus Frost
zwischen dem fallenden Geschirr der Berge.

Steine, Ebenen, alles fällt und fällt.

In meinem Winter glasig krank, denk an mich
in deinem Herbst, in deinem guten Schlaf.

 

 

 

Über Iain Crichton Smith

1928 in Glasgow geboren zog er zwei Jahre später mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern nach Lewis, einer Insel der Äußeren Hebriden am Rande Europas. Nach dem Tod des Vaters führte die Familie ein armes Leben im Dorf Bayble, aus dem auch der Lyriker Derick Thomson und die Lyrikerin Anne Frater stammen. Er ging zur Schule in der Hauptstadt der Insel, Stornoway, studierte Englisch in Aberdeen und wurde nach kurzem Einsatz in der Armee Englischlehrer in Clydebank und Oban. Mit 49 Jahren gab er seine Stelle auf und wurde freier Autor; im selben Jahr heirate er Donalda Logan. Mit ihr wohnte er lange Jahre in Taynuilt bei Oban. Iain Crichton Smith starb 1998.
Als Lyriker gehört er mit Norman MacCaig, Edwin Morgan und Sorley MacLean zu dem großen schottischen Viergestirn der Nachkriegszeit. Ähnlich wie diese geht er mit seinen Dichtungen und Geschichten weit über die schottische Thematik hinaus. Die Weltgeschichte macht sich auch in der kleinsten Hütte, bei den crofters, den Köttern, Häuslern oder Kleinpächtern, und am fernsten Strand noch bemerkbar, ob als Weltkrieg, Shoah oder Atombombe. In solcher Weltnähe erscheinen englische Lyriker dieser Generation oft weit insularer als schottische. Smiths Dichtung ist ohnehin stark von der Geschichte geprägt.  …  Smith war zweisprachig, sein gälischer Name ist Iain Mac a’Ghobhainn, und er hat eine ganze Reihe von Texten auf gälisch verfasst. Viele seiner gälischen Gedichte hat er ins Englische übersetzt. Auch in seinen literaturkritischen Schriften hat er sich immer wieder mit gälischsprachigen Autoren beschäftigt wie mit der Sprachenfrage allgemein.  …  Und als Dichter und Intellektueller gehörte es zu seinem Programm, sich zu einem Individuum zu machen. Genau dieser individualisierende Blick aber, so sehr er zunächst Entfremdung von der Gemeinschaft bedeutet, macht ihn zu einem Beobachter, der in der Sprache wieder erschafft, was in der Realität längst verloren gegangen ist. Der Lyriker, Erzähler und Essayist wird zum letzten Zeugen einer verschwindenden Lebensweise, weil er dieser fremd geworden ist. Smith selbst wußte, wie sehr ihn dies in die Nähe eines voyeuristischen Tourismus bringen konnte; auch das hat er mitreflektiert in seinen Gedichten und in wegweisenden Essays über Inseln, Schottland und die Welt…

Elmar Schenkel, aus dem Nachwort, Mai 2008

 

Das Atmen der Landschaften

– John Montague und Iain Crichton Smith auf Deutsch. –

Stellt man den irischen Dichter John Montague einmal vollkommen unakademisch neben den schottischen Lyriker Iain Crichton Smith, dann fällt eine entscheidende Gemeinsamkeit besonders ins Auge: ihrer beider tiefe Verwurzelung in der jeweiligen Landschaft. Nun wäre es sicherlich eine unbotmässige Vereinfachung, sie aus diesem Grund als blosse Naturdichter zu bezeichnen. Näher kommt man der Sache dagegen wohl mit dem Begriff des Landschaftsdichters. Denn der Landschaftsdichter ist von der Geschichte und den Menschen seiner Umgebung in allen Erfahrungen, Erinnerungen und Anschauungen geprägt; er hat sein Land bereits mit dem ersten Atemzug eingesogen und atmet es später in Form von Gedichten wieder aus.
Die entdeckungsfreudige und auf Buchästhetik höchst bedachte Edition Rugerup hat nun zwei vorzügliche Auswahlbände von John Montague und Iain Crichton Smith vorgelegt. Hier geschieht Erstaunliches: Man begegnet nicht abgehobenen Dichtergestalten im Elfenbeinturm, man trifft menschliche Wesen aus Fleisch und Blut. Denn die beiden Lyriker setzen ihre Kunstfertigkeit nicht distanzstiftend, sondern distanzverringernd ein. Sie haben etwas Wichtiges und Wesentliches zu sagen, und sie tun dies mit vollem Erfolg auf verständliche und an Gefühl und Intellekt gleichermassen appellierende Weise.
John Montague wurde 1929 als Sohn irischer Auswanderer in Brooklyn geboren, wuchs allerdings in der nordirischen Grafschaft Tyrone auf. Gerade diese Doppelerinnerungen der Kindheit führen in vielen Gedichten zur literarischen Spurensuche. Dabei sind die Spuren der eigenen Familie nicht getrennt zu denken von der irischen Geschichte, auf die Montague hin und wieder mit grossem Zorn und noch grösserer Melancholie reagiert. Denn die eindringlichste Anklage ist oft die blosse Aufzeichnung des Geschehens. — Der Gang des Knaben mit Eimern zur Wasserquelle, der Bauernfiedler, das Pflügen eines Hügelackers, das Meer, die Klippen, die Gletscherseen: Überall verbindet Montague die Genauigkeit seiner Beobachtungen mit prägnanter Verlängerung in bald gute, bald problematische Zeitläufte. Dabei entzündet er im Alltäglichen ein Feuerwerk kleiner Epiphanien. Dies kann natürlich auch eine Bürde sein: „Es gibt Tage, da / müsste man sich den Kopf / abrupfen können / wie einen alten, verbeulten / Helm […] / und ihn fest niedersetzen / ins Bett eines fliessenden Baches“, wünscht sich Montague, denn auf diese Weise könne der Bach Mund und Augen klarspülen und zur Liebe bereitmachen.
Auch Iain Crichton Smith weiss sofort im ersten Gedicht der vorliegenden Auswahl, „welch unmenschlicher Druck / eine Zeile im Gedicht / auf Kurs hält“. Die Gedichte des 1928 in Glasgow geborenen, auf der Insel Lewis in den Äusseren Hebriden aufgewachsenen und 1998 in Oban gestorbenen Lyrikers schlagen ebenfalls einen realistischen, jedoch weitaus harscheren und metaphernreicheren Tonfall an als die von John Montague.
Steinerne Kühle und Kargheit wehen aus seinen Gedichten, ganz gleich, ob er über den Fortbestand des Gälischen, die Marmorstrassen Roms oder die gewöhnlichen dörflichen Verrichtungen räsoniert. Die Entbehrung der Menschen, die Armut und Anmut alter Frauen, die Mahnungen der Toten, sie haben diese Gedichte geschliffen, deren Menschlichkeit unversehens weit über ein überschaubares Inseldasein hinausweist.
Ähnliche Erfahrungen führen zu ähnlichen Resultaten, und so verwundert es nicht, dass sowohl der Ire als auch der Schotte über Auswanderung aus wirtschaftlicher Not schreiben. „Mit traurigen Mienen am Geländer, / Koffer von linkischen Händen umkrampft, / Drängen sie über den Landungssteg“, beobachtet Montague und nennt die Auswanderer „in ihrem Leiden so kläglich wie Tiere“. Für Crichton Smith sind ihre Gesichter „dünn und überlebt, / im Sonntagsschlips und Kragen, an der Brüstung, / […] dem schrecklichen Schicksal zu, dem bitteren / knochigen Hunger, dem kaputtmachenden Alkohol“. Verklärung ist Sache dieser Dichter offenkundig nicht, jedoch die Entdeckung von Schönheit noch in den winzigsten Gegenständen und Gesten.

Jürgen Brôcan, Neue Zürcher Zeitung, 16.12.2008

 

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