Ingolf Brökel: im abraum

IM WEITEREN ABGANG

wenn sie weiter wollen
die treppen herunter
in den keller
den entwicklungsstufen nach
unumwandelbar
meine damen und herren

sie kommen ins gleichgewicht
energiearm
kein auf und ab
hier und da
einfach weiter
runter

in den untergang
hochhackig
in die niederlage
in die sonnenfinsternis
wenn sie so
wollen

nichts grünes
weit und breit
weder klimaschwankungen
noch biowetter

worauf sie trampeln
sind die knochen
und schädeldecken
ihrer vorfahren
keine risikogruppe
bleiben sie ruhig

wenn sie noch
phantasie besitzen
pressen sie ihr ohr
an die wand
oder denken sie
an eine u-bahn

das loch ist
billionen jahre alt
Ia wasserqualität
sicherheitsstufe 0
wetten daß
es noch tiefer geht.

 

 

 

LESUNG IN LÜBBEN

ich hatte mein buch
im abraum vergessen

saß vor leerem tisch
greifbar noch
die lausitzer rundschau
einer reporterin

ich las zehn todes-
anzeigen daraus

lang anhaltender beifall.

Ingolf Brökel

 

 

 

Ingolf Brökel liest sein Gedicht „Grubentherme“ in der Volksbühne Berlin 2012.

 

Lesebühne: Ingolf Brökel Im Abraum

Ingolf Brökel ist Physiker und Lyriker. Sein Geburtsort Sauo liegt heute abgeräumt unterm Lausitzring. In seinen Texten hält er die Erinnerung an den Ort und seine Bewohner behutsam, aber ohne Sentimentalität, wach und schafft sogleich globale Gleichnisse zu „Abraum und Zeit“. In der Lesung mischt Brökel seine Dichtung mit den Klängen von Cello, Gitarre, Wavedrums und der Singstimme von KETSENE.
Mit Julia Dimitroff (Cello), Herrn Blum alias Thomas Wagner (Gitarre, wavedrums, electronics), Doris Streibl (von KETSENE/Paris: Gesang) und dem Autor.

Ankündigung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Was mir an im abraum besonders gefallen hat,

ist Brökels nüchterne Sprache; und als ich dann den Vortrag von „Grubentherme“ als Video im Netz gesehen und gehört hatte, spürte ich, dass Brökel gerade durch diese Zurückgenommenheit aufblüht. Aber natürlich nicht wie eine bunte Blume, sondern eher wie ein kantiger Fels in der Öde.
Neben „mit goethe“ finde ich diese bewusste Reduktion des Lyrischen auf das Faktische in „sauo luftbild 1958“ am gelungensten umgesetzt. Denn was an Lebendigkeit nicht in den Versen und Worten ist, das schleicht sich doch umso stärker hinein, wenn Brökel „nitzschkes ecke“ erwähnt und der Offenheit eines dem Leser unbekannten Luftbildes die Offenheit einer dem Leser unbekannten Erinnerung des lyrischen Ichs hinzufügt. Ohne Sentimentalitäten vermittelt das besagte Gedicht nach meinem Dafürhalten am stärksten den Gedanke der Sammlung. – Gleichzeitig muss ich aber auch gestehen, dass im abraum insgesamt das in mir anspricht, wie ich mir einen gelungenen Gedichtband vorstelle, mit all der Detailliebe überall. Eine ebenfalls nüchterne Betrachtung meinerseits ist daher gar nicht möglich.

Sebastian Schmidt von TEXTBASIS in einer Mail an die dahlemer verlagsanstalt vom 26. Juni 2013

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Ingolf Brökel (Text) & Erhard Ertel (Video/Musik)
Trailer zu Häschen in der Grube – Ein Stück Abend aufgeführt am 23. Oktober 2004.