Ingolf Brökel: Poesiealbum 313

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ingolf Brökel: Poesiealbum 313

Brökel/Durner-Poesiealbum 313

LEBENSLAUF

erst die brezel beim bäcker
daraus später die acht
als sie kippte die brille
dann das unendliche
die gebundene schleife.

 

 

 

 

Ingolf Brökel

Als Physiker und Dichter hält sich Brökel an das Exakte. Wo scheinbar Stillstand herrscht, erkunden die Gedichte des im Senftenberger Braunkohlenrevier Geborenen Bewegung. Er bringt menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Prozesse in epigrammatischer Kürze auf den Punkt. Das Ich begreift sich nicht als Maß aller Dinge; es befindet sich im Dialog mit dem Leser über Gesehenes, Gehörtes, Gefühltes und Gedachtes. Beim Spaziergang durch Wortschatz, Grammatik und Rechtschreibung der deutschen Sprache riskiert Brökel kuriose Gratwanderungen, klopft Witz aus zwischenmenschlichen Verhältnissen und aus Augenblicken Komik.

Aus Christine Wolter: Poesiealbum 312, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014

Poesiealbum 313

Mit dem kühl prüfenden Blick des Physikers betrachtet Ingolf Brökel das Absurde im alltäglichen Leben und die wechselnden Gemütslagen der Nation. Er spürt in seinen Gedichten den sich wandelnden Moden und Stimmungen nach und streut mit scheinbar leichter Hand kleine Widerhaken ins lockere Epigramm-Geplänkel. Seine auf trockenen und feinsinnigen Witz bauende Gesellschaftskritik kommt als exaktes Sprach- und Verdichtungsspiel daher; Figuren agieren in Porträts und Rollengedichten zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung. Ein jäher Dreh der Sprache öffnet den Blick für die Gleichzeitigkeit von Heiterkeit und Grauen. Ein Denkvergnügen für unabhängige Geister.

Märkischer Verlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014

Stimmen zum Autor

Brökel nimmt die Sprache beim Wort. Die falschen Töne der Alltagsfloskeln erscheinen als Indizien für den Geisteszustand der Menschen… Ich halte diesen Dichter für einen Sonderfall der deutschen Lyrik, die weithin als rezeptfreier Ersatz für Valium benutzt werden kann. Für Schlafmützen: Brökel macht wach! Vorsicht! Hier wird zum Nachdenken, nicht zur Nachsicht aufgefordert.
Günter Kunert

Die Gedichte… markant und treffend, ich würde sagen epigrammatische Bestandsaufnahmen, oft nicht ohne Melancholie und gänzlich illusionslos, also ich kann nur meinen Respekt ausdrücken.
Gerhard Wolf

Zum Schreiben kam Brökel spät, als er genau wußte, was er zu sagen hat. Als Physiker ist er kaum Lyriker, doch unverkennbar im Schreiben – Physiker. Sachlichkeit und Einfachheit bringen Klarheit, sorgen für die Poesie des Gedanken.
Erhard Ertel

Die Zeichen der Zeit hat er seit 1979 in Gedichten auf den Punkt gebracht. Konsequent pointiert, sarkastisch und knapp wie der Titel eben ist der Stil. Es gibt keinen Bruch zwischen den vor 1989 geschriebenen Versen und denen danach. Brökel bleibt sich treu: „es klingt nicht freundlich / was auf die welt kommt.“
Dorothea von Törne

 

„mache ich einen satz“

Vielleicht ist ja Heimatliebe im Grunde nichts ist als Angst vor Veränderung. Vielleicht sind die wichtigsten Verteidigungsreden jene, in der die Narrheit gepriesen wird gegen jedes vernünftige Argument. Vielleicht bleibt der ersehnenswerteste Ort der Raum zwischen den Gegensätzen. Fast von jedem Gedicht Ingolf Bröckels lässt sich sagen, was es unaufgelöst mit sich herumträgt: Verse, vom Rätsel ein Stück. Es dunkelt da nichts vordergründig ein, aber die Rücksicht aufs Unantastbare, die Vorsicht beim Aufdecken hängt bei diesem Niederlausitzer mit einer so leisen wie zugleich sicher gelebten Distanz zusammen. Es ist, als wirke und webe er an einem ganz besonderen Spiel-Raum – an eben jenem Raum, der ihm immer da sein muss: nicht für die Erfüllung einer bestimmten, ausgewählten Sehnsucht, sondern für die schöne Bewegung mehrerer Sehnsüchte aufeinander zu. Die unerfüllt am schmerzvollsten – und am treuesten sind.

wir sind wie sand am meer.
wir sind wie salz im meer
meer können wir nicht sein.

Brökel, 1950 geboren, Physiker, einst Autor für ndl und Temperamente, gefördert von Gerhard Wolf, befreundet mit Günter Kunert – er lässt sich nicht von Wirklichkeit betäuben, aber er sieht das Wirkliche genau. Er ist Poet im Sinne einer einfachen, aushebelnden Wahrheit: Wer im Schatten der Bäume schreibt, wird in den Schatten gestellt von den Bäumen selber. Nicht, was ich nicht weiß, soll mich reuen, sondern der nachlässige Gebrauch meiner Augen. Die hören können, was sie sehen. So, wie die Ohren sehen können, was sie hören.

ich höre die erde ab:
wenn sie bebt
mache ich einen satz.

Der Dichter ein Verwandter vom „häschen in der grube“.
Dieser Autor schafft Variationen der Entfernung, er übt sich in Ironie (Brecht, Kunert!), er schreibt gegen falsche Nähe. Er ist wie ein Maler, und was ist Malen? Etwas Vages mit den Augen so lange einkreisen, bis aus diesem mehrfach wiederholten Etwas, das vielleicht gar nicht da ist, just das hervortritt, was immer schon da war. Hervortritt mit der Deutlichkeit einer gedanklichen Lektion. Die auch von Sarkasmen umsäumt ist, etwa beim Aufstieg zum Eiffelturm:

stolpern sie bitte nicht
monsieur
das sind die stufen
zum adieu

An Brökel perlt jene Selbstübertreibungstechnik ab, die das Individuum zu einer so glänzenden, so elenden europäischen Sackgasse gemacht hat. Der Dichter schreibt schmucklos, in seinem Werk lebt er schmucklos, und er existiert als pure deutsche Tradition: Außen ändert sich wenig bis nichts, bis alles Nichts wird – aber innen wird alles immer reicher und lebendiger, also fadenscheinig idealistisch. Oder eben auch nicht:

revolution – na klar
du erinnerst dich doch
diese fete damals,
richtig, mit flachmännern
und bauchigen flaschen
… als wir aufwachten
ging es uns schlecht

Hans-Dieter Schütt, neues deutschland, 11.9.2014

Buchpräsentation mit Ingolf Brökel, Doris Streibl und Roland Satterwhite am 23.10.2014 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Ingolf Brökel (Text) & Erhard Ertel (Video/Musik)
Trailer zu Häschen in der Grube – Ein Stück Abend aufgeführt am 23. Oktober 2004.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00