Iain Galbraith (Hrsg.): Intime Weiten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Iain Galbraith (Hrsg.): Intime Weiten

Iain Galbraith (Hrsg.)-Intime Weiten

DIE MÜNZE

wir rieben rein vom schmutz sie, brachten es ans
aaaaalicht,
die seite zeigte welches land? von welchem tier
den kopf? ein schnabel, abgewetzt, hielt glanzlos
aaaaadicht,
doch feiner schnitt zu fühlen blieb; dann kehrten wir
die seite um: las sich die zahl nicht leicht? ein
aaaaagroschen,
schock aber toter zunge: … respublica,
monströs uns über die epochen nah,
wie wir errieten, ob auch längst erloschen,
das datum an dem abgenützten rand,
wo viele finger sie umklammert hart,
da man gewagt, verloren wie gewonnen fern.
von feuchtem dreck längst unser wagen starrt,
am stiefel schlamm. doch unter keinem unglücksstern,
da diese münze das gebiet so reich umspannt?

Edwin Morgan
Übersetzt von Franz Josef Czernin

 

 

 

Zum Geleit

Auf deutsch sind schottische Gedichte nicht zu haben. Paradoxerweise wird selbst die vorliegende Sammlung am Wahrheitsgehalt dieser Feststellung nichts Nennenswertes ändern. Denn: Was ist ein schottisches Gedicht, wenn es in deutscher Sprache spricht? Und überhaupt: Gibt es das schottische, gibt es das deutsche Gedicht? Mit welchen Instrumenten ließe sich denn ein solches Gebilde bestimmen? Die der Ethnologie oder der Linguistik scheinen genauso wenig dafür geeignet wie die der Genetik oder der Zoologie, und es ist fraglich, ob die Poesie mit einem Instrumentarium ganz gleich welcher Art, das ihr sprachliche, räumliche oder gar nationale Grenzen setzte, jemals glücklich werden könnte. Ein Gedicht ist ein Gedicht ist ein Gedicht, könnte statt dessen eine denkbar genaue Definition lauten. Aber was würde es bedeuten, wenn es sie tatsächlich deutsch gäbe, die nichtdeutschen Gedichte? Gibt es vielleicht schottische Dichter, die deutsche Gedichte schreiben? Gibt es vietnamesische Dichter, die deutschsprachige Nachtdichtungen italienischer Gedichte schreiben, oder russischsprachige Übersetzer, die deutsche Gedichte ins Amerikanische übertragen? Es gibt sie wirklich. „Orpheus sprengt die Nationalität oder dehnt sie so weit und breit, daß alle (gewesene und seiende) eingeschlossen sind“, schrieb Marina Zwetajewa, als Rainer Maria Rilke ihr seine 1926 erschienene Sammlung „französischer“ Gedichte Vergers schickte. So gesehen sind alle Gedichte, ob französisch, russisch, deutsch oder schottisch, Übersetzungen aus einer einzigen Sprache: der Muttersprache der Poesie. Auf den verschlungenen Wegen der Dichtung ist schon deshalb alles ambivalent: Im labilen Dazwischenland zweier Sprachen bleibt nichts so, wie es war.

Wahr ist zunächst: Für den monolingual deutschsprachigen Leser existieren „schottischer Gedichte“ bis heute so gut wie gar nicht. Fragte man in einer angesehenen Buchhandlung nach schottischer Lyrik, war das Kopfschütteln des verdutzten, ansonsten global belesenen Buchhändlers ein Zeichen dafür, daß man lange und vergebens suchen würde. Zeit, in Antiquariaten und Fachbibliotheken zu stöbern, haben aber heute − so eine bekannte Tendenz − nur wenige Leser. Tippte man also „schottische Lyrik“ in die allwissenden Internet-Suchmaschinen ein, wurde man wenigstens blitzschnell mit der Erkenntnis belohnt, daß man aufs Falsche getippt hatte. Die wehrlose Frage wird in den meisten Fällen auf eine digital-folkloristische Fährte abgeleitet: So findet man sich rasch bei Malt Whisky und Dudelsack wieder. Ersetzte man nun die deutschen Suchbegriffe durch „Scottish Poems“ oder „Scottish Poetry“, stellte man nicht weniger geschwind fest, daß viele Zehntausende von englischsprachigen Webseiten etwas wußten, was deutschsprachigen Lyriklesern bisher − eine böse Zunge, die so was behauptet! − vorenthalten wurde. Mit ein wenig Geduld und ein bißchen Geld wird man dieses Etwas zwischen den Buchdeckeln unzähliger Anthologien, Lyrikbänden und Literatursammlungen, die im englischsprachigen Raum erscheinen, auch finden. Der Herausgeber des vorliegenden Bandes scheut sich nicht, einige davon zu empfehlen: The Faber Book of Twentieth-Century Scottish Poetry (1992), The New Penguin Book of Scottish Verse (2000), The Oxford Book of Scottish Verse (1966, 1989), The Poetry of Scotland: Gaelic, Scots and English, 1380–1980 (1995). Diese ausgezeichneten Almanache können dem geneigten Leser helfen, die hier begonnene Lektüre zu vertiefen. Wer sich hauptsächlich mit der schottisch-gälischen Lyrik des 20. Jahrhunderts beschäftigen möchte, dem sei die Sammlung An Tuil. 20th-Century Gaelic Poetry (1999) empfohlen, die auf mehr als 800 Seiten Lyrik von 100 Lyrikern in Englisch sowie in der Originalsprache präsentiert. Aber auch die jüngste Lyrik soll nicht vergessen werden, die durch die zwei Bände (1994, 2002) der Anthologie Dream State. The New Scottish Poets schon viele englischsprachige Leser gefunden hat.

Spätestens jetzt, das heißt eigentlich von Anfang an, stellt sich die Frage nach einer Lesehilfe, denn nicht jeder, der Englisch bis zur Matura oder Abitur mit Erfolg lernte, findet sich durch diese Leistung hinreichend befähigt, die Sprache etwa von George Campbell Hay, Liz Lochhead oder Don Paterson zu lesen. Als Besonderheit der Literatur dieses Landes kommt hinzu, daß selbst der befliessendste Anglist vor einem wesentlichen Teil der schottischen Lyrikproduktion wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg stehen könnte: Bis zum heutigen Tag beziehen sich nämlich schottische Lyriker auf eine dreigeteilte Tradition − eine englischsprachige, eine schottischsprachige (genannt: Scots) und eine gälische. Nur bei der erstgenannten hilft „Schulenglisch“ weiter, bei der zweiten wird es ohne oder selbst mit Glossar entschieden abenteuerlich, während das Gälische, eng mit dem Irischen verwandt, einer ganz anderen Sprachgruppe angehört: der keltischen. Der Strategien für eine Lesehilfe sind viele: Nicht alle davon müssen Übersetzungen sein, und nicht alle Nachdichtungen − das muß man ergänzen − sehen sich primär als Lesehilfe.

Den Übersetzern von Gedichten, die in den verschiedenen Sprachen Schottlands geschrieben werden, stellen sich eine ganze Reihe von Problemen, die jenseits der Frage liegen, ob Lyrik überhaupt übersetzbar sei. Selbst schottisch-englische Texte weichen oft punktuell vom Standardenglischen ab, so daß sich die Frage stellt, ob und wie solche syntaktischen oder lexikalischen Besonderheiten in einer deutschen Übersetzung adäquat markiert werden können. Auf das großartige Potenzial deutschsprachiger Mundartressourcen zurückzugreifen, hilft nicht in jedem Fall weiter. Denn die Beziehungen zwischen dem modernen Hochdeutschen und der Vielfalt deutscher Mundarten − wie die Spannungen, die durch den Einschluß schottischer Dialektwörter in einem standardenglischen Text erzeugt werden − sind historisch gewachsen: Sie sind Zeugnisse einer bestimmten, in vielerlei Hinsicht jeweils einmaligen Geschichte. So läßt sich der semantische und symbolische Wert eines schottischen Worts − auch in politischer Hinsicht − mit dem eines fränkischen oder steirischen nicht unbedingt oder gar nicht vergleichen.

Doch das Auftauchen schottischer Wörter in einem ansonsten englischsprachigen Kontext ist nur die Spitze des Eisbergs. Vor weit gewaltigeren Herausforderungen sieht sich der Übersetzer durch eine umgekehrte Tendenz in der Lyrik der schottischen Moderne gestellt. In diesem Fall wird Scots nichts als Mundart, sondern als eine synthetische Literatursprache verstanden, die Standardenglisch zwar als einen von mehreren Dialekten einschließt, die aber gleichzeitig aus einem Füllhorn schottischer Dialekte verschiedener Regionen und Jahrhundert erschöpft, auch obsolete Begriffe ausgräbt und neuerfundene Wörter und diverse heterogene Jargons dazumischt. Das Verhältnis des „synthetic-Scots“ schreibenden Lyrikers zu seinem Sprachmaterial ist spielerisch und oft ironisch. Die intentio dieser Sprache liegt nicht in erster Linie darin, eine Nähe zum landschaftlichen Gebrauch zu belegen, vielmehr will sie ein Höchstmaß an Künstlichkeit erzeugen. Dem Dichter der schottischsprachlichen Synthetik stehen eine Vielzahl mehrbändiger Wörterbücher zur Seite: Besonders beliebt zum Beispiel scheint John Jamiesons Etymological Dictionary of the Scottish Language zu sein, ein fünfbändiges Werk, daß schon Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts abgeschlossen wurde. Die vorliegende kleine Anthologie enthält zwar keine Gedichte dieser Art, doch mindestens zwei Autoren, die hier vertreten sind, Robert Crawford und W.N. Herbert, haben sich vor allem Anfang der 1990er Jahre mit „synthetischen“ Gedichten hervorgetan. Der Tenor solcher Projekte, so fremd die Gedichte im Einzelfall nicht nur für deutsche Ohren klingen mögen, erinnert an manche Versuche der deutschsprachigen Poesie, beispielsweise an Ulf Stolterfohts Fachsprachen, oder an Thomas Kling, der „eine sprachschöpferische Linie“ von Oswald von Wolkenstein, „der ja auch in verschiedenen Texten bis zu einem halben Dutzend verschiedener Sprachen miteinander komprimiert“, über Paul Celan, „der ja auch ein hohes Interesse an Spracharchäologie gehabt hat“, bis zu seinen eigenen „Ergebnissen“ sah. Kling forderte: „das Einsetzen jeder Fachsprache und jedes Jargons, der existiert. Man müßte einfach heute das 1879 ausgerottete Tasmanisch wieder erfinden. Bumm.“ Dieses tasmanische Projekt, möchte man behaupten, teilte Kling mit einer ganzen Reihe von schottischen Dichtern.

Die Schwierigkeiten beim Übersetzen gälischer Gedichte sind gänzlich anderer Natur. Obwohl es wahr ist, daß im letzten Jahrzehnt mehr schottisch-gälische Gedichte als im ganzen Jahrhundert davor ins Deutsche übertragen wurden, kann man die Zahl der gälischkundigen deutschsprachigen Lyrikübersetzer wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen. In den letzten Jahren hat sich Corinna Krause auf diesem Gebiet profiliert, und es wäre zu wünschen, daß sie ihrem Werk des philologisch genauen Übersetzens gälischer Dichter viele Jahre treu bleibt. Natürlich muß es kein Gälischkundiger sein, der sich an die Nachdichtung der Dichter dieser Sprache heranwagt: Mit Hilfe interlinearer Übersetzungen kann ein Lyriker auch ohne Gälischkenntnisse wichtige Werke gälischer Weltliteratur deutschen Lesern zugänglich machen. So hat beispielsweise Peter Waterhouse sich mit der Dichtung Sorly MacLeans beschäftigt. Die Ergebnisse, abgedruckt in Zeitschriften wie Schreibheft und Der Prokurist, können zeigen, daß die beste gälische Lyrik sich auch in der deutschen Sprache wohl fühlt. Wer keine Gälischkenntnisse besitzt, sollte aber etwas anderes wissen. Fast alle gälischsprachigen Lyriker haben zwar ihre eigenen Werke ins Englische übersetzt, umso von vorne herein eine größere Leserschaft zu erreichen, und so wäre es für den englischkundigen Übersetzer ein Leichtes, könnte man denken, gälische Gedichte − gleichsam durch die englische Signatur des Autors gesegnet − auch ohne Gälisch zu übertragen. Doch hier ist Vorsicht geboten: Manchmal weichen die englischen Fassungen − so auch häufig bei dem in diesem Band vertretenen Aonghas MacNeacail − von der ursprünglichen Fassung so stark ab, daß man fast schon von einem anderen „englischen“ Gedicht sprechen muß.

Sucht man nach existenten deutschen Übertragungen schottischer Lyrik, ganz gleich aus welcher der drei indigenen Sprachen des Landes, kommt man, wie schon angedeutet, nicht sonderlich weit. Nur zwei (kleinere) Anthologien schottischer Lyrik erschienen im langen zwanzigsten Jahrhundert: Eine davon widmete der Lyrik des 20. Jahrhunderts ganze 30 Seiten, die andere befaßte sich − wundersame Blüte der grünen frühen 1980er Jahre − ausschließlich mit dem Thema „Bäume“. Auch in den wenigen deutschen Anthologien englischsprachiger Lyrik ist die schottische denkbar schlecht vertreten: Als Beispiel kann man das Mehrbändige zweisprachige und auch sonst vortreffliche Werk Englische und Amerikanische Dichtung (München, 2000) anführen, dessen immerhin knapp 700-seitiger dritter Band (Englische Dichtung: Von R. Browning bis Heaney) Gedichte von lediglich vier schottischen Lyrikern enthält. Nur in sechs Fällen während des 20. Jahrhunderts fanden deutschsprachige Verlage in ihren Programmen Platz für Einzelbände moderner schottischer Lyriker. Verkürzt zusammengefaßt: Im 20. Jahrhundert fristete die schottische Lyrik in den Niederungen der ohnehin dürftigen Rezeption britischer Dichtung in den deutschsprachigen Ländern ein Schattendasein. Der Tod innerhalb von zwei Jahren (1996–98) der damals vier wichtigsten Vertreter der englisch- und gälischsprachigen schottischen Dichtung − Norman MacCaig, Sorley MacLean, Iain Crichton Smith und George Mackay Brown – war in den Spalten der deutschsprachigen Feuilletons anscheinend keine Kleinnotiz wert. Merkwürdig an dieser Situation war: Zumindest, was die letzten beiden Jahrzehnte betrifft, genossen die schottischen Lyriker im Gesamtkontext der Literatur der britischen Inseln eine auffällig hohe Wertschätzung. Von einem Aufblühen der schottischen Literatur war allenthalben in britischen, amerikanischen und sogar − wenn auch recht selten − in deutschen Buchbesprechungen und Features zu lesen. In dieser Zeit wurde auch eine Vielzahl schottischer Romane und Kurzgeschichten ins Deutsche übersetzt. Viele Namen sind bekannt: A.L. Kennedy, Ian Rankin, Janice Galloway, James Kelman, Alasdair Gray, Shena Mackay, Candia McWilliam, Andrew O’Hagan, Alan Warner, Irvine Welsh, Margaret Elphinstone, Iain Banks, William Boyd oder Dorothy Dunnett lernte man vor allem in diesen Jahren kennen.

Etwas, was man vielleicht veränderte historische Bedingungen nennen könnte − die ab Ende der 1990er Jahre eingeleitete Dezentralisierung der britischen Staatsmacht, die ihrerseits und kraft eines enormen Volksbegehrens in Schottland zur Wiedereinrichtung des seit 2007 abgeschafften Schottischen Parlaments führte, dazu eine zunehmende Bereitschaft auch im deutschsprachigen Raum, statische Begriffe wie britisch, deutsch oder englisch im Zeichen der Globalisierung aller guten und auch schlechten Werte zu befragen − führte bereits im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts dazu, daß Lyrik aus Schottland zunehmend in deutschsprachige Anthologien und Verlage aufgenommen und zum Themenschwerpunkt bei mehreren Literaturzeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde. Dem Schreiber dieser Zeilen sind außerdem zwei größer angelegte Anthologien der schottischen Lyrik der letzten hundert Jahre bekannt, die − mit Übersetzungen namhafter deutschsprachiger Lyriker und Übersetzer versehen − in den nächsten beiden Jahren vorgelegt werden. Auch einige Einzelbände schottischer Lyriker werden demnächst bei deutschen Verlagen erscheinen. Ein erster Schritt zur schottischen Korrektur der offenkundigen Schieflage, in der sich die deutschsprachige Rezeption britischer Lyrik befindet, sei also schon heute mit dieser kleinen Anthologie gewagt…

Iain Galbraith, Vorwort, 2006

 

Der Sprachenreichtum Schottlands in den besten Gedichten aus 25 Jahren

Gedichte wollen reisen, Grenzen überschreiten: Sie schaffen neue Wörter und Kontexte, gehen in der Verwandlung auf, probieren neue Identitäten aus. Das kleine Schottland mit seinen „intimen Weiten“ hat gleich drei Literatursprachen – Englisch, Gälisch und Schottisch –, von denen bislang zwei kaum in Kontakt mit der deutschen kamen. Besonders spannend wird es, wenn die Übertragung ins Deutsche von Übersetzerinnen und Übersetzern kommt, die durch die eigene Arbeit mit den Grenzübertritten der lyrischen Sprache vertraut sind. Mit Gedichten von John Burnside, Carol Ann Duffy, Douglas Dunn, Kathleen Jamie, Edwin Morgan u. a.

Folio Verlag, Ankündigung, 2006

Intime Weiten

Obwohl Schottland ein weltbekanntes Land ist, und sei es nur wegen der kriminell guten Nebelbänke und des perfekten Whiskys, kennt fast niemand schottische Literatur. Und schon gar nicht schottische Gedichte.
Der folio-Verlag, der mit seiner Serie Transfer entlegene Literaturen und vom literarischen Alltag abgeschottete Autoren pflegt, widmet sich mit südtirolerischem Augenzwinkern der schottischen Lyrik, immerhin setzt sich auch die schottische Literatur ähnlich der südtirolerischen aus drei Komponenten zusammen: Englisch – Gälisch – Schottisch.
In einem dichten Vorspann erklärt Ian Galbraith die wichtigsten Verkehrslinien zur Schottischen Literatur. Selbst mit den schnellsten Internetsuchmaschinen ist es nämlich gar nicht so leicht, halbwegs angemessen einen Zugang zu diesen kaum übersetzbaren Texten zu finden.
In seinem Überblicksessay schält Ken Cockburn sodann die wichtigsten Elemente der jüngeren schottischen Lyrik heraus, so beziehen sich fast alle Autoren direkt oder indirekt auf Hugh MacDiarmid (1992–1978). Schottischer Staat und schottisches Parlament, Nähe und Entfernung zu London, Provinz und Selbstbewusstsein sind politisch vorgegebene Rahmenbedingungen, welche in den Texten unausgesprochen ihren Niederschlag finden.
In den Gedichten geht es um das Verklingen eines Imperiums an entlegenen Küsten, um eine fiktive Gedächtnisansprache an die Opfer einer Schiffskatastrophe im eigenen Hafen, um nicht ganz sauber gestochene Landschaftsstiche, aber auch um Schottland als Halbleiterland mit hochgeladenen Chips der Empfindsamkeit. Als Leser hält man sich fast immer an die deutsche Übersetzung auf der rechten Seite, nur ab und zu schielt man auf das linksseitige Original, in dem es oft ganz anders zugeht, als man es im Englischunterreicht gelernt hat.
Heidi Prüger übersetzt deshalb das Gedicht „Right Inuff“ von Tom Leonhard im Wiener Dialekt „eh scho wissen“.
Raoul Schrott überträgt Don Patersons Lyrikpartie „Nil Nil“ mit „0 : 0“, aus dem genialen Verteidiger McGrandle wird dabei Bruno Pezzey.

Es ist die Art wie Schottland nach Süden schaut,
wie wir Häuser von Freunden betreten,
lassen womit wir kamen, per Knopfdruck
den Teekessel starten und warten. Hier möchte ich leben…
(S. 105)

So herzergreifend gewinnend übersetzt Peter Waterhouse das Gedicht „Orkney / This Life“ von Andrew Greig.
Intime Weiten sind genau dieses Buch, das Sehnsucht weckt und stillt, Entlegenes aufwühlt und anspült, genau einen Abend lang, der dadurch unvergessen wird.

Helmuth Schönauer, aus Helmuth Schönauer: Tagebuch eines Bibliothekars, Bd. III, 2004–2008, Sisyphus, 2016

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Kalliope

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