Iring Fetscher: Zu Bertolt Brechts Gedicht „Wechsel der Dinge“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Wechsel der Dinge“ aus Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in  acht Bänden. Band IV: Gedichte. –

 

 

 

 

BERTOLT BRECHT

Wechsel der Dinge

I.
Und ich war alt, und ich war jung zu Zeiten
War alt am Morgen und am Abend jung
Und war ein Kind, erinnernd Traurigkeiten
Und war ein Greis ohne Erinnerung.

II.
War traurig, wann ich jung war
Bin traurig, nun ich alt
So, wann kann ich mal lustig sein?
Es wäre besser bald.

 

Das Glück, lustig zu sein

Das Gedicht ist in den letzten Lebensjahren Brechts geschrieben. Vermutlich nach dem 17. Juni 1953, der Anlaß zu vielen traurigen Versen des Stückeschreibers wurde. Alt sein und jung sein muß man sowohl wörtlich als auch symbolisch verstehen. In mancher Hinsicht war der junge Brecht schon alt. Er hatte das Grauen des Ersten Weltkrieges – im Lazarett zu Augsburg – kennengelernt und die Schmach einer Niederlage, deren Unvermeidlichkeit ihm noch nicht klar war. Der Zynismus der frühen Gedichte und des Baalschen Lebensgefühls erscheint dem Zurückblickenden als „alt“ und resigniert.
Aber auch jetzt, da es Morgen zu werden schien nach dem Sieg der Antihitler-Koalition und der Gründung des ersten „deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates“, auch jetzt vermag Brecht nicht froh zu sein. Er nennt sich einen „Greis ohne Erinnerung“, vielleicht weil er an jene hohen Hoffnungen und Träume nicht mehr denken mag, die von der banalen Gegenwart allzu deutlich desavouiert werden. Ein Kind noch, erinnerte er sich schon der Traurigkeiten des Krieges, jetzt muß er seine Erinnerungen vergessen, weil er so viel Schmerz nicht aushalten könnte.
Die Erinnerung nicht nur an Hoffnungen und Träume, sondern auch an die vielen Toten, an Walter Benjamin, der sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, an die junge Kommunistin Margarete Steffin, die in Moskau an Tuberkulose starb, an die Freunde in der Sowjetunion, von denen er kein Wort mehr gehört hat und die den „Säuberungen“ zum Opfer gefallen sind, an einen Sohn, der als Soldat der Naziarmee im Osten fiel… Das alles wird Brecht kaum vergessen haben, aber er kann wohl nicht mit all diesen Erinnerungen leben. Sucht sie von sich abzuschütteln. Wenn man alt wird, möchte man auch vergessen.
Die zweite Strophe faßt zusammen und spricht deutlich aus, was in der ersten nur angedeutet wurde. Um die gleiche Zeit schrieb Brecht ein Gedicht, in dem er sich als Grabschrift die beiden Zeilen ausbittet:

Er hat Vorschläge gemacht. Wir haben sie angenommen.

Weder trifft das auf vieles zu, was Brecht vorschlug, noch sind die Worte auf seinen Grabstein gemeißelt worden. Brecht wußte als Materialist: „und nichts kommt hinterher“; er erwartete kein langes Leben, und er, der unendlich Geduldige, begann ungeduldig zu werden. Zwar spricht er nur von seinem eigenen Glück, das er bescheiden und unerwartet als „lustig sein“ umschreibt, aber er meint gewiß auch das der anderen, das er gerne miterlebt und mitempfunden hätte. Eine tiefe, ungetröstete Trauer spricht aus diesen zwei letzten Zeilen:

So, wann kann ich mal lustig sein?
Es wäre besser bald.

Aber noch in seinen traurigsten Zeilen insistiert der Materialist und Hedonist auf die Einheit von Glück und Lust.

Iring Fetscher, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982

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