Itzik Manger: Poesiealbum 205

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Itzik Manger: Poesiealbum 205

Manger/Naumann-Poesiealbum 205

EPILOG

Ich bin müde, gute Nacht,
meine Augenlider kleben,
wie ein Traum verflog das Leben,
was ich liebte, was ich dacht.
Ich bin müde, gute Nacht,
meine Augenlider kleben.

Halb im Wachen, halb im Traum
murmel ich das letzte Lied,
seht, ein großer Vogel zieht
aufwärts durch den weiten Raum,
halb im Wachen, halb im Traum
murmel ich das letzte Lied.

Hab euch einen Traum gebracht,
und ihr habt ihn weggetrieben,
und (wie oftmal in der Nacht)
bin ich vor der Tür geblieben;
hab euch einen Traum gebracht,
und ihr habt ihn weggetrieben…

 

 

 

Es wurde gesagt:

wenn alle jiddische Volksüberlieferung, gottbewahre, verlorenginge, aus dem Werk Itzik Mangers wäre sie wiederzugewinnen. Er hat seine Lyrik aus Volkshaftem gespeist und ist dabei selber zum Volksdichter geworden. Aber auch deutsche Gedichte – Goethes und Schillers, der Romantiker und Heines – haben ihn angeregt: Die frühesten Texte schrieb er deutsch, bevor er zum Jiddischen fand.
In seinen Liedern und Balladen gehen Schlichtheit und Raffinement, Süße und Bitternis, Sentiment und Ratio, Humor und Innigkeit, Phantastik und Realität eine sehr romantische Legierung ein. Manger schrieb, Poesie sei „die schönste und edelste aller Künste, alle Wege führen zu ihr, und alle Wege kommen von ihr“.

Hubert Witt, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1984

 

Czernowitzer Poesie:

Itzik Manger, der Prinz der jiddischen Ballade

– Die Schriftstellerin Tanja Langer versammelt kleine Porträts von Dichterinnen und Dichtern aus Czernowitz, wo es einst mehr Buchläden als Bäckereien gab. –

Geschichten, die man sich über manche Dichter erzählt, kommen ihren eigenen Werken gleich, und manche Dichter tragen selbst gern dazu bei: So auch der jüdische Dichter Itzik Manger, der 1901, oder war es 1900?, in Czernowitz geboren wurde.
Czernowitz war nicht nur die Geburtsstadt des berühmten Kollegen Paul Celan, sondern überhaupt ein fantastischer Ort in der Bukowina, in dem es vor dem Zweiten Weltkrieg angeblich mehr Buchläden als Bäckereien gab und die Hühner Hölderlin-Verse in den Sand kratzten. Eingeklemmt zwischen Moldawien und Podolien, mal russisch, mal polnisch, heute ukrainisch, sprach man in vielen Zungen, und darunter vor allem Jiddisch. Denn in Czernowitz blühte die jiddische Kultur, die heute, beinahe schon ausgestorben, bei jungen Menschen wieder auf lebhaftes Interesse stößt.
Itzik Manger nun brachte die besten Voraussetzungen mit. Sein Vater war schon eine Legende: Ein armer Schneider, der seine Kunden immer wieder zur Anprobe kommen ließ, hier a bissele änderte, dort a bissele verlängerte, und der, wenn er denn endlich zufrieden war mit seinem Werk, es nicht herausrücken wollte. Das setzte Standards beim kleinen Itzik, dessen Mutter wiederum zwar nicht lesen und schreiben konnte, dafür aber haufenweise jiddische Balladen und Volkslieder kannte.
Man war arm, aber reich an Gedanken. Itzik Manger begann zu dichten, vom Leben in dieser verrückten Stadt, von der Liebe und den Sternen, bis die Nazis kamen und mit den Rumänen 1940 die jüdische Bevölkerung ins Getto schleppten und in die Lager. Auch das packte Itzik in Worte, die fast zu schön den Schrecken beschrieben:

Ich bin der Weg ins Leere,
das blonde Sonnensinken

Blond war der Meister aus Deutschland, er brachte den Tod.

Folg mir nicht nach, mein Bruder.

Er selbst überlebte, irrte durch halb Europa. In England rettete ihn eine Buchhändlerin, und sein übergroßer Charme. Denn obwohl völlig verlottert, abgerissen und dem Alkohol verfallen, wie ein Bruder des großen Dylan Thomas, versetzte er, wenn er die Stimme erhob, alle in Staunen. „Die Schenke ist sein liebster Aufenthalt, / Er küsst den Wein wie eine Braut“ schrieb Rose Ausländer über ihn, eine weitere Czernowitzer Dichterin, die er zärtlich „Roisele“ nannte.
Itzik Manger wurde erneut entdeckt, in London, New York und schließlich in Israel, wo er 1969 auch starb. Tausende Menschen lauschten ihm. In seinen jiddischen Balladen (er schrieb auch für Musicals) wiegten sich die traurigsten Geschichten, von seinen ermordeten Eltern, an die zu erinnern ihm blieb, vom ermordeten Bruder Notte, der beim Nähen Verlaine zitierte, oder vom Jungen, der ein Vogel sein wollte, um den einsamen Baum im Winter zu trösten.
Immer wieder liebten ihn die Damen, nur für die erste schrieb er Gedichte, Rachel Auerbach, obwohl er angeblich verheiratet war mit einer Golde Trauring (!). Und nie vergaß er seinen Vater, den Schneider, der seine Arbeit als Kunst begriff, und seine jiddische Mame (Mama).

O wehe denen, die der Traum angerührt, sie werden irren ein Leben lang,
als hätten die Sterne sie geführt,
und wissen nicht wohin.

Denken wir a bissele an ihn, jetzt im November, in dieser verrückten Zeit.

Tanja Langer, Berliner Zeitung, 11.11.2020

 

Gal-Ed, Ruth Renée Reif: Das unbekannte Jiddischland

 

REGENRAUSCHLIED
Für Itzik Manger

Der Regen rinnt im Traufenrohr,
Im Nachtwind schwankt ein Licht,
Ins Dunkle lauscht mein waches Ohr,
Es hört den trägen Tropfenchor,
Dein Singen hört es nicht.

Es sinnt ein Zecher wo beim Wein,
Sein Blick im Glase bricht.
Die Nacht ist wie ein Stern so klein,
Dein Lied, das wie der Wein so rein.
Dein Lied, er hört es nicht.

Der Regen trommelt auf das Dach.
Im Winde stöhnt ein Baum,
Mein Blut jagt deinem Rufe nach
Und hämmert tote Worte wach,
Dein Singen klagt im Traum.

Alfred Kittner

 

 

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Itzik Manger liest sein Gedicht „There is a tree that stand“.

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