Ivan Landzhev: Wir Mansardenmenschen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ivan Landzhev: Wir Mansardenmenschen

Landzhev-Wir Mansardenmenschen

LEKTIONEN IN ÄSTHETIK FÜR NOTFÄLLE DES LEBENS

So einfach
beehrt der gute Geschmack den einen,
einfach so
zieht er sich von den meisten zurück.
Unentschieden wie Wasser, Sand.
Unentschieden wie eine Hand,
die weiß, dass sie nicht darf!
Und sich doch ballt
auch diese Nacht
zur Faust, bereit zu streiten
mit Glas, Fenstern, Wänden, Autoritäten,
um zu beweisen:
aaaaaaaaaaa aWie wichtig
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaasind doch die Poeten.

Versuch nicht viel mit ihnen gemein zu haben.

Das, was man gemeinhin für Arroganz hält,
ist das Lachen deines Selbstvertrauens.
Leicht aufs Ohr geschoben wie eine Kappe,
zeig es her vor den Gästen.
Einfach so. Oder so einfach.

Schlaflosigkeit ist nicht altmodisch.
Du weißt es nicht – aber nachts
lauerst du auf das natürlichste aller Geräusche,
wenn
die feine stumpfe Nadel
die schöne Seite der Platte zerkratzt.
Und die Universale Ballade in Stücke zerspringt.

Der Moment enthält immer schon die Niederlage,
und dieser ist nicht anders. Jetzt mach dir klar:
Selbst die Ecken des Zimmers weigern sich
dir Freund zu sein. Der Moment
enthält immer schon die Niederlage
und die Angst, dass wir uns beruhigen.

Ja, wir werden uns zeitig beruhigen.

Warum willst du überhaupt einschlafen?
Morgen früh bist du der Misserfolg im Spiegel
und du kannst dir sicher sein, dass dir das ausgezeichnet steht.

 

 

 

Von erhabener Schräge.

– Ivan Landzhevs lyrische Lektionen in Ästhetik. –

Wir Mansardenmenschen sind eine schräge Spezies: Von hoch oben eröffnet sich eben ein ungewöhnlicher Blick auf das Leben, die Stadt und ihre Protagonisten. Schräg sind nicht nur die Wände der Mansarde, sondern im übertragenen Sinne auch das Innenleben ihrer Bewohner. Die architektonische Metapher beschert dem Band den Titel und prägt die Struktur des Buchs mit seinen drei Gedichtzyklen bis in kleinste Vers-Spitzen. Im Interview macht der Autor denn auch deutlich, wie wichtig ihm die innere Struktur ist. Im Ergebnis entstehe ein Werk, das nicht weniger konzeptionell geplant ist als jeder Roman.

Schrägen
Unter den „Schrägen“ versammeln sich unkonventionelle Beobachtungen und exzentrische Charaktere, wie der Dirigent etwa, dessen Niesen die Welt der Kunst in Flammen aufgehen lässt, unter dem wohlwollenden Applaus des beobachtenden lyrischen Ichs. Ivan Landzhev bewegt sich damit im Rahmen einer altehrwürdigen Tradition, nämlich derjenigen des Concetto, eines witzig zugespitzten literarischen Einfalls. Das Concetto als Gattung war insbesondere in der Epoche des Barock populär. Es bringt in seinen Metaphern spielerisch Bild-Extreme zusammen, mit philosophischer, satirischer oder auch erotischer Intention. Eine Sonderform dieses schrägen Genres bildet sich in der englischen Dichtung des 17. Jahrhunderts bei den sogenannten metaphysischen Dichtern heraus. John Donne und Andrew Marvell gehören zu diesen Metaphysikern unter den Lyrikern und finden nicht zufällig Eingang in Ivan Landzhevs Dichtung, etwa in den „Lektionen in Ästhetik für Notfälle des Lebens“. Mit leichter Hand flicht der Dichter diese gelehrte Intertextualität sozusagen nebenbei in seine Texte ein. Man muss die literaturgeschichtlichen Kontexte nicht kennen, um die Lektüre der Gedichte zu genießen. Doch eröffnen sich neue Ebenen der Leseerfahrung, möchte man gemeinsam mit dem Autor eine Zeitreise durch die Literaturgeschichte antreten. Diese führt sogar weit über das 17. Jahrhundert zurück bis zum antiken Dichter Catull, dessen Spatz – Symbol für die innig-frivole Beziehung zur Geliebten Lesbia – im Bulgarien des beginnenden 21. Jahrhunderts unter die Räder eines Geländewagens gerät.
Der Einfluss der Metaphysiker findet sich aber nicht nur im schrägen Bild, sondern insbesondere in der formalen Gestaltung der Gedichte: der ausgefeilten Zeilen- und Strophenform und dem gekonnt eingesetzten Reim. Der Reim ist ein poetisches Stilmittel, das in der zeitgenössischen Poesie unter Druck und Kitschverdacht steht. Oder aber in Rap und Slam Poetry exzessiv in die Ohren dröhnt. Landzhev hingegen platziert den Reim so subtil und beiläufig, in so lässiger Harmonie mit dem natürlichen Fluss seiner urbanen Sprache, dass man ihn beim ersten Hören oder Lesen oft gar nicht wahrnimmt. „Jene Figur / in der Mitte des Verses, die ihn kaum merklich schmückt“, lobt eine Verszeile des titelgebenden Gedichts „Wir Mansardenmenschen“ und darf durchaus als programmatische Aussage über den eigenen Schreibstil verstanden werden (auch wenn der Reim selbst zumeist nicht in der Mitte, sondern am Ende des Verses steht). Ivan Landzhevs Gedichte weisen einen hohen Grad an formaler Gestaltung auf. Und verbergen ihre Kunstfertigkeit so bewusst wie gekonnt. 

Inneneinrichtungen
In den „Inneneinrichtungen“ begegnen weniger schräge Charaktere als bekannte Familienkonstellationen, selbstredend unter ungewohnter Perspektive. Die Liebesgedichte weisen bei aller Emotionalität einen doppelten Boden auf, im Wortsinne, wenn unter Schuhen und guten Vorsätzen gleichermaßen die Beziehungsgründe weggebaggert werden. Bilanz wird gezogen auch und gerade der Distanzen in den emotionalen Innenräumen, zwischen Liebenden genauso wie zwischen Vätern und Söhnen.

In letzter Zeit denke ich mir: Handlungen sind eine Art Möblierung
der Seele. Und ich bezweifele, dass Du bei Dir selbst einziehst.

Der Dichter bewährt sich hier als Inneneinrichter und kombiniert dabei locker das Gattungsdesign. Langgedichte in freien Versen wechseln mit musikalischen Miniaturen wie den Scherzi Nr. 1 und Nr. 2, die das Satirisch-Scherzhafte schon im Titel tragen. Den Leser führen sie durch familiäre Abgründe. Oder vom erotisch flirrenden Abendessen zum nüchternen Frühstückserwachen am folgenden Morgen. Zu diesem Zweck setzt Landzhev das Verfahren der realisierten Metapher ein, d.h. ein konventionalisiertes Sprachbild wie „nachtragend zu sein“ wird in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet. Und der verlassene Liebende schleppt der Verflossenen seine Erinnerungen nach wie eine Kiste zurückgebliebener WG-Gegenstände. Dadurch entsteht ein verfremden, der, unseren Sprachgebrauch aufweckender und im gegebenen Fall satirischer Effekt, wie er auch für das erwähnte barocke Concetto typisch ist.

Gewölbe
„Gewölbe“ schließlich weiten den architektonischen und seelischen Innenraum aus ins Globale, mit Gedichten, die uns vom „Boulevard ,Bulgarien‘“ in die Straßenschluchten New Yorks katapultieren. Oder von den gezähmten Wasserspielen des Genfer Sees in die Untiefen des sibirischen Baikal versenken. Die Gewölbe sind dabei gleichermaßen menschengemacht wie natürlich: der von den Wolkenkratzern durchstochene Himmel und die als Billardkugel am Horizont eingelochte Sonne. „Das Koordinatensystem / erzählt uns diese Welt / ehrlicher als die Metapher“, will uns der Dichter dabei glauben machen. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn in dieser Welt stürzen die Räume paradoxal ineinander: In der Tiefe der Höhle versinkt die Höhe des Gipfels. Der Spaziergänger in New York findet eher einen Ausweg aus dem Straßenlabyrinth als der Vogel. Und obwohl ein Ort auf der Karte existiert, wie einer der Gedichttitel verspricht, ist er doch gleichsam aus der Zeit gefallen, irgendwo in der bulgarischen Provinz im vorigen Jahrhundert hängengeblieben. Raum und Zeit sind die eigentlichen Helden dieses Buchs, und die menschlichen Charaktere lediglich ihre Statisten.
Die Verstrebungen der Gewölbe sind dabei im selben Maße literarisch wie geographisch, kein Wunder bei einem „poeta doctus“, einem gelehrten Dichter, wie Landzhev ihn uns in modernem Gewand vorführt. Der Autor ist promovierter Literaturwissenschaftler und hat eine Dissertation zum Grandseigneur des russischen Roman, Lew Tolstoi, verfasst. Er schreibt jedoch auch als Szenarist Drehbücher für populäre bulgarische Serien: was bisher geschah. Was auf den ersten Blick als Kontrast erscheinen mag, wirkt auf den zweiten nur logisch. Die großen Realisten des 19. Jahrhunderts, von Dickens bis Dostojewski, waren ja selbst Serienautoren, verfassten – und verkauften – ihre Romane kapitelweise an das damals neue Medium der Tageszeitung. Landzhevs Lyrik integriert entsprechend mit Leichtigkeit erzählerische Passagen und lyrische Abstraktion, hochliterarische Verweise und popkulturelle Ingredienzen: Frederico García Lorca trifft auf Leonard Cohen, Jean-Jacques Rousseau auf Paul McCartney. Gattungsmäßig harmoniert der hohe Ton der geistlichen Belehrung mit dem melancholischen Blues – des Balkans und der Schiffbrüchigen.
Eine Inspirationsfigur für Landzhevs Mansarden-Dichtung sei abschließend besonders hervorgehoben: der angloamerikanische Dichter und Literaturnobelpreisträger Thomas Stearns Eliot, dessen mehrdeutige und hochgradig artifizielle Dichtung bis heute zu immer neuen Interpretationen anregt. Die berühmte Verszeile „April is the cruellest month, breeding / Lilacs out of the dead land“ aus dem Langgedicht The Waste Land (Das wüste Land, 1922) führt Landzhev im Auftakt zu seiner „Belehrung an einem sommerlichen Wochentag“ so subtil wie gekonnt weiter:

Doch der August ist vielleicht grausamer noch, weil er dich glauben macht,
dass dieser Süden wirklich ein Dschungel ist,
[…].

Einige kurze Anmerkungen seien erlaubt auch zu zwei Dichtern, denen sich der Autor innerhalb der bulgarischen Literatur verpflichtet sieht, zumal diese dem deutschsprachigen Lesepublikum vermutlich wenig bekannt sind. Dies wäre zunächst einmal der Dichter und Übersetzer Georgi Rupčev (1957–2001), der als Übersetzer der Texte von T.S. Eliot und John Lennon ins Bulgarische in gewisser Weise Pate steht für das Landzhevsche Amalgam von Hochmoderne und lyrischem Popsong. Zum anderen ist die Rede von Konstantin Pavlov (1933–2008), dessen philosophisch gesättigte, überraschend verfremdende Metaphorik das literarische Raumklima in der Mansarde mitprägt.
Dem Übervater Eliot schließlich ist Landzhev über die zitierenden Anspielungen hinaus in seinem Verständnis von Poesie verbunden, die nicht primär Ausdruck von Emotion sei, sondern ein Akt der distanzierenden (Selbst)Beobachtung:

Poetry is not a turning loose of emotion, but an escape from emotion. („Tradition and the Individual Talent“, 1920)

Poesie, nun im O-Ton Landzhevs, ist im selben Maße Annäherung an das Gefühl und „Entfernung vom Gefühl“ („otdalečavane ot emocijata“). In einer Zeit, in der autobiographische Authentizität und scheinbar unmittelbare, medial geteilte Emotionalität hoch im Kurs stehen, ist dies eine deutliche ästhetische Positionierung. „Schreiben ist geschärfte Aufmerksamkeit und Beobachtung. Nicht nur der Welt, sondern auch der eigenen Person“ („pisaneto – izostrena nabljudatelnost. Ne samo kăm sveta, a i kăm sebe si“). Aus der gleichzeitig erhabenen und schrägen Perspektive der Mansarde. 

Henrike Schmidt, Nachwort

Anmerkungen zur Übersetzung

Die Lyrik Ivan Landzhevs ist gekennzeichnet durch die Verbindung von Reim und Versmaß mit dem lockeren Drive alltäglicher Sprache. Um diese ganz eigene und so charmante Mischung zu erhalten, haben wir uns in den meisten Fällen darum bemüht, die ausgefeilte Reimstruktur der Originale zu erhalten. Zwar finden sich in den Gedichten auch klassische Versmaße wie Jambus oder Trochäus, diese erschienen uns jedoch weniger zentral als Gestaltungsmittel, sodass wir hier im Allgemeinen eine möglichst nahe Modellierung der Rhythmen vorgenommen haben, ohne im Einzelnen jeden Versfuß, nachzuahmen. An Stellen, wo aufgrund des Reims Eingriffe in die inhaltliche Struktur nötig wurden, kommentieren wir dies in den Anmerkungen zu den einzelnen Gedichten. Die Offenlegung solcher Entscheidungen mag für an Übersetzungsfragen interessierte Leserinnen und Leser aufschlussreich sein. Hinter der gekonnten Lässigkeit im Umgang mit der Form findet sich in den Gedichten eine zweite Ebene vielfältiger intertextueller Verweise auf literarische Paten aus unterschiedlichen Epochen, von der lateinischen Antike bis zur modernistischen Dichtung des frühen 20. Jahrhunderts. Die Kenntnis dieser Zitate und Verweise ist für den Lesegenuss der Gedichte nicht zwingend. Es macht aber Spaß, den vielfältigen Bezügen durch die Jahrhunderte zu folgen, weshalb wir die jeweiligen Inspirationstexte gleichfalls in den Anmerkungen zu den einzelnen Texten vorstellen.
Der Band Wir Mansardenmenschen versammelt vorrangig Texte, die unter dem bulgarischen Titel Nie spored mansardata im Jahr 2014 im Janet 45-Verlag in Plovdiv erschienen sind. Unter Beibehaltung der Struktur des Gedichtbands, der drei Zyklen umfasst und sorgfältig nach architektonischen Metaphern aufgebaut ist, wurden einzelne Gedichte gestrichen beziehungsweise gegen andere Texte früheren oder späteren Erscheinungsdatums ausgetauscht. Die Entscheidung über den Austausch einzelner Gedichte wurde von Autor und Übersetzer/in gemeinsam getroffen. Kriterium war in allen Fällen die besondere Repräsentativität der einzelnen Texte für die Poesie des Autors. Im Einzelnen wurden die folgenden Texte aus der Urfassung des Bands gestrichen: „Protagonist“, „Klingelschild“ („Tabelka za vchodna vrata“), „Porträt der Gattin“ („Portret na săprugata“) und „Das Laken“ („Odejaloto“). Aus dem ersten Gedichtband von Ivan Landzhev, erschienen 2012 im Verlag Siela (Sofia) unter dem Titel Schuld war Bobby Fischer (Po vina na Bobi Fišer), wurden in Wir Mansardenmenschen die Texte „Nicht vor dem, was bisher geschah“ („Ne predi tova, koeto se sluči“) und „Denkmal“ („Monument“) aufgenommen. Die bulgarischen Originale der Gedichte „Mädchen“ („Momiče“), „Papa Was a Rollin’ Stone“ und „Lob auf eine Höhle“ („Văzchvala na edna peščtera“) erschienen erstmals 2016 in der Zeitschrift Granta. Die Gedichte „Motiv“, „Brille“ („Očila“), „Belehrung an einem sommerlichen Wochentag“ („Nazidanie v leten delnik“), „Hiesiger Blues“ („Tukašen blus“) und „Baikal“ sind in deutscher Übersetzung erstmals in Lichtungen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik (144/XXXVI. Jg.) 2015 erschienen, gefördert von Traduki.
Die Wiedergabe kyrillischer Namen und Wörter richtet sich nach dem folgenden Prinzip: Die Schreibweise des Autornamens hat sich im deutschsprachigen Raum als Ivan Landzhev etabliert. Populäre Namen und Orte werden nach Dudenumschrift transkribiert, Titel von Gedichten und Büchern sowie Fachtermini in Nachwort und Kommentaren sind in wissenschaftlicher Transliteration gehalten.
Für Inspiration und Unterstützung bei der Arbeit an der deutschen Ausgabe von Wir Mansardenmenschen danken Übersetzer/in und Autor Elin Rachnev (Sofia), Gaby Bergmann (Hamburg), der Lektorin Lore Horlamus sowie der Galerie Greskewitz und Kleinitz (Hamburg), der Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft Hamburg e.V. und (p)ostkarte(ll). verein für angewandte kulturforschung e.v.

 

 

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Ivan Landzhev liest und singt 2018 in der Delta Blues Bar.

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