Jan Volker Röhnert: Zu Roland Bärwinkels Gedicht „Mein indianischer Taugenichts“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Roland Bärwinkels Gedicht „Mein indianischer Taugenichts“ aus Roland Bärwinkel: Bevor es zu spät wird. 

 

 

 

 

ROLAND BÄRWINKEL

Mein indianischer Taugenichts

Renate hieß seine Squaw
Blume meines nahen
Ostens.
Reed, ihr Mann, in der Aktuellen
Kamera in Handschellen
Für Friedn und democracy
in Chicago
umstellt bekannt von schwerbewaffneten
Cowboys, Kriegstreibern
Ku-Klux-Klan
wenn er mal wieder ahnte
von der fortschrittlichen Jugend der Welt
also mir
russisch Frieden, vergessen
zu werden, noch ehe
ich eine Protestpostkarte
an das Weiße
wiewirdasindiesenfällenimmermachten
schreiben konnte.
Staatlicherseits fehlte das grüne Licht.
Weißt du noch
unsere Kartoffeldrucke für
Theodorakis und Angela Davis?
Wir die Guten, gelegentlich verfangen
im Gummitwist.
Die Gedanken sind frei
sang er mit Inbrunst
dass mancher es glaubte.
War er wieder in einer Bar
besoffen, weit weg und verlassen
zeigten die
Nachrichten das nie.

 

Blutsbruder aus Colorado

Ob dem DDR-Publikum bewusst war, was es bedeutet, wenn ein US-Bürger die Flagge seiner Nation zerbricht? So geschehen 1975 im DEFA-Indianerfilm Blutsbrüder, als der junge Fahnenträger „Harmonika“ Zeuge eines Massakers seiner Armee an der friedlichen Urbevölkerung wird. Sicher, jedem, der diesen Film bis 1989 in städtischen Lichtspielen, im Zeltkino während der großen Ferien oder im Weihnachtsprogramm im Osten sah, war klar, dass dies als Geste gegen den „Imperialismus der USA“ zu verstehen war, wie es der offizielle Sprachgebrauch vorschrieb. Brisant war es deshalb, weil der, welcher „Harmonika“ an der Seite von Gojko Mitić spielte und das Drehbuch für Blutsbrüder geschrieben hatte, selber US-Bürger war, der seit 1973 in der DDR lebte – und sich zeitlebens als glühender nordamerikanischer Patriot empfand, der auf die Unabhängigkeitserklärung von 1776 schwor und das in Chile gewaschene Sternenbanner stolz in seinem Vorgarten in Zeuthen bei Berlin wehen ließ.
Roland Bärwinkel, den es aus der Magdeburger Börde unter die Buchschätze der Herzogin Anna Amalia Bibliothek verschlug, deren Informationsabteilung er leitet, widmet sein in kunstlosem Parlando galoppierendes Porträt jenem Dean Reed, der im kollektiven Gedächtnis der DDR die kurzzeitige Hoffnung verkörperte, einer ,gerechten‘ sozialistischen Welt angehören und gleichwohl frei sein zu können, zumindest in Gedanken. Wie naiv diese Hoffnung war, zeigte nicht erst das Ende der DDR, sondern Reeds eigener Freitod drei Jahre zuvor, worauf der Schluss von Bärwinkels pointierter Erzählung verweist, die alles enthält, was Aufwachsen im Osten in den Siebziger Jahre ausmachte. Ich erinnere mich, wie uns in der Produktiven Arbeit alle Werkzeuge wie leergeschossene Colts aus der Hand fielen, als jemand verkündete, dass Dean Reed gestorben sei. Den Namen „Harmonika“ hatte der Countrysänger Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ entlehnt.

Jan Volker Röhnertaus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018

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