Jayne-Ann Igel: die stadt hielt ihre flüsse im verborgenen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jayne-Ann Igel: die stadt hielt ihre flüsse im verborgenen

Igel/Igel-die stadt hielt ihre flüsse im verborgenen

JUNKIES

wir waren junkies von anderem schlag, wir, die wir
aaaaajeden
nur etwas verrätselt erscheinenden rocksong gleich
aaaaanach
botschaften aus dem reich der drogen abklopften
aaaaa(,hörst du
mich klopfen, hörst du mich altern, spürst du auf
aaaaadeiner
zunge das erste graue haar‘), botschaften, die mehr oder
weniger kryptisch, in manchen der songs ganz offensichtlich,
und wußten natürlich, wer von den rockstars selbst ein junkie
– was sicherlich gut für einen rausch, wie der alkohol, den wir
in maßen tranken, doch kaum tauglich, das bewußtsein zu
erweitern, und gerade dies erschien uns als das verlockende.
Transzendenz, erleuchtung, weshalb wir an den papierlippen
timothy learys hingen, die offenbarungen des tibetanischen
totenbuchs
und des popol vuh durchforschten, und was wir
noch alles ausgruben, mitsamt den bekenntnissen eines
opiumessers… All dies verbunden mit dem probieren anderer
formen eines zusammenlebens, den reimen, die wir uns
machten, auf kommune I und II… Wir trugen den keim einer
utopie, einer erzählung in uns, gegen die das vorgegebene
verblaßte –

 

 

 

Eine Wanderschaft

durch innere wie äußere Seelenlandschaften unternimmt Jayne-Ann Igel in ihrem neuen Gedichtband die stadt hielt ihre flüsse im verborgenen. In der Vertrautheit regt sich hier die Erinnerung an das, was die Dichterin mit der weltlichen Existenz und deren Vergänglichkeit literarisch und fotografisch zu verknüpfen weiß. Fotografien der Autorin, gleich Spuren im Verborgenen oder losen Sequenzen in einem Traum, werden behutsam in den in Zyklen angelegten Gedichtband eingeflochten. In sechs Abschnitte gegliedert versammeln sich darin jeweils fünf bis zwölf lyrische Miniaturen. Ein autobiografisches Gedächtnis verschränkt sich hier mit dem Dasein an sich – und dem Schreiben darüber. Die Verbundenheit mit allem Natürlichen erweist sich als eine wesentliche Quelle der schöpferischen Kraft der Autorin, die als eine vielseitige und neugierige Sprachkünstlerin mit leichtfüßiger Melancholie davon erzählt, wie ein Mensch seine eigene Wirklichkeit entstehen lassen und betrachten kann.

gutleut-verlag, Ankündigung

 

 

Splitter und Seh-Sucht

Im Vorwort zu Fahrwasser, Jayne-Ann Igels drittem Buch, das einen entscheidenden Wendepunkt im Leben der Autorin markiert und dokumentiert, schrieb Wolfgang Hilbig im Jahr 1991:

Vorerst formuliert sie im Tagebuch die Sehnsucht, große Bilder zu schaffen, die ihr geblieben sind.

An dieser Aussage, der die Vorstellung von einem großen Knall zugrunde liegt, nach dem sich die Splitter erst allmählich wieder zusammenfinden und -fügen müssen, sind drei Worte charakteristisch: zunächst das Tagebuch, synonym auch für die offene Form, von teils sentenzhafter Kürze, wie sie etwa im ,barocken‘ Titel des aktuellen Bandes anklingt, dessen Ursprung eine nur unwesentlich längere Miniatur über das heimatliche Leipzig ist:

die stadt, in der ich aufgewachsen, hielt ihre flüsse im verborgenen, als wirkte da eine scham, ob der wasser…

Die offene Form der Texte reicht bis hin zu kurzen Prosastücken, lyrischen Erinnerungen an Erfahrenes und Geträumtes: „im traum den mama-wilson blues gesungen“, heißt es etwa in „Auf der kante“, „und leere worte über die ,freiheit‘ vernommen, schwitzendes phantom das, sickerwasserseele, und mit vokabeln im mund erwacht, die sprachlos machen…“ Dabei mag die Sprache traumdurchtränkt, fast träumerisch wirken, jedoch ohne verträumt zu sein. In seiner Reflexion ist das Ich hellwach.
Aus solchen Traumnotaten spricht auch so etwas wie Sehnsucht – das zweite dieser Hilbigschen Worte über Jayne-Ann Igels Schreiben:

nach mitternacht, weit nach mitternacht (oder all die zeit) stand ich am fenster, schaute aufs geschlossene mundwerk der straße, wünschte mich hinaus.

Wie diese Zeilen aus „Soviel schlaf“ finden sich zahlreiche Rückschauen auf Igels prägende Zeit in der Leipziger Subkultur der 70er und 80er Jahre. „alle mühselig bemühte verwandlung muß scheitern“, schreibt sie in „Fundstück 89“, dessen echte oder imaginierte Geschichtlichkeit ungenannt bleibt, über diese Zeit. Und auch ein wenig von dieser Sehnsucht findet sich in der tiefen Anteilnahme am Altern und Sterben der Eltern, wie sie etwa in „Noch immer“ formuliert wird:

der geruch von nikotin an den fingern, wenn ich eines der bücher aufschlage, die den eltern gehörten…, als schwelte da ein brand im innern…

Die Sehnsucht an sich scheint allerdings stärker als die, „große Bilder zu schaffen“, wie von Wolfgang Hilbig einst unterstellt. Die Sehnsucht, so könnte man sagen, wird zur ,Seh-Sucht‘, und so sind es denn auch eher die kleinen Bilder, die sich in den Werken von Jayne-Ann Igel seither finden – in den inneren Desertionen von Unerlaubte Entfernung (erschienen 2004) genauso wie in den von einem notorischen „Zeitgenossen“ durchwanderten, freundlich-verschrobenen Erinnerungslandschaften der Berliner Tatsachen (2009) oder der umtriebe (2013). Aber Bilder – das dritte der Hilbigschen Worte –, Bilder sind es auf jeden Fall. Das zeigt die Gestaltung des aktuellen Bandes, in dem sich zahlreiche Farbfotos finden, welche die seit Mitte der 90er Jahre in der Dresdner Peripherie lebende Autorin auf ihren täglichen Streifzügen aufnimmt: eine schwarze morgendliche Landstraße mit weißen Markierungen durch ein Schneefeld, scherenschnittartige Häuser und Bäume in der Dämmerung, Objekte am Boden, deren Bildausschnitt eine Struktur ergibt. „Unversehens gegend“ nennt Igel diese Aufnahmen, die inzwischen fester Bestandteil ihres Werkes geworden sind und auf ihr Schreiben zurückwirken.
Daß sich Hilbig mit den „großen Bildern“ womöglich irrte, wird in einer kleinen poetologischen Notiz, „Desweiteren“, erkennbar:

das erschaffen einer figur dünkte ihm eine falle, er käme da nie wieder raus, das verhalte sich wie mit den geschichten, die man nur einmal erzählen kann.

Da begegnet er einem wieder, der „Zeitgenosse“ von einst, dessen langer Atem auch im aktuellen Buch – wie die Vorgänger im Frankfurter Gutleut Verlag erschienen – noch zu spüren ist. Wie ein großes Kontinuum kommt einem der kleine, aufwendig gestaltete Broschurband vor: das, worauf der Blick fällt – mag es ein erinnernder sein oder einer, der ganz aktuelle Problemlagen benennt. Eine Notiz an Hölderlin läßt denn auch die politische Seele von Jayne-Ann Igel erkennen:

Wächst das rettende auch, und wem, im mittelmeer etwa, das seine toten nicht zählt, all die, auf die wir nie gezählt haben…

Ob es doch so etwas wie die unausrottbare dichterische Sehnsucht nach dem Guten ist, die aus solchen Zeilen spricht?
Die behutsame Opulenz dieser Texte liegt darin, daß Jayne-Ann Igel sich die Freiheit nimmt, ihren Gegenstand von allen Seiten, auch in den sprachlichen Verschaltungen, zu betrachten, was ein zutiefst lyrisches Verfahren ist, das Hilbig vielleicht (noch) nicht gesehen hat. Da hat jemand Zeit, da nimmt sich jemand Zeit zum Durchleuchten, Ergründen… Das ,große Bild‘, das, was einmal zersprungen ist, wird sich nicht mehr zusammensetzen lassen. Aber das ist ja auch gar nicht beabsichtigt, die Kunst Igels besteht vielmehr im (Wieder-) Finden und in der Würdigung der Splitter. „es ist, als wollte es gar nicht errettet werden, das ,ich‘“, heißt es in „Sätze“, „und am ende harrt dennoch das licht der verklärung, dies tagesterben…“

Patrick Wilden, Ostragehege, Heft 92, 12.6.2019

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Timo Brandt: Ränder, Aussichten
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Stefan Schmitzer: Mohn und Stroboskop
fixpoetry.com, 16.7.2018

Alexandru Bulucz: dies bißchen spiel für die gurgel
signaturen-magazin.de, 2.6.2019

 

 

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Facebook + Gespräch
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Igel“.

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