Johannes Ciesciutti: Die Flöte aus grünendem Holz

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Johannes Ciesciutti: Die Flöte aus grünendem Holz

Ciesciutti-Die Flöte aus grünendem Holz

JENSEITS DER GRENZEN

Unser aller Verhängtes
ist der Ring im Saturn,
die Ikone im Blut
und die Erbschaft
der pandorischen Schenkung.
Hier schreibst du dich ein
in das Logbuch des Irrens,
allen voran
eine flatternde Fahne,
ein gottloser Schwur
unter dem Spruchband der Parzen.
So brennen die Tage
die Male dir ein,
das versiegelte Wort,
gesprochen von Farn,
das noch keiner entwirrte.

 

 

 

Nachwort

Ich studiere mein Gesicht, die Spuren meiner Jahre und meiner Herkunft. Ein alter Römer schaut mich an, ein strenger Mund, die ernsten, tieftraurigen Augen und ein Cäsarenkopf, gezeichnet von einer unerwünschten Begabung. Hinter mir das Leben eines Ahasver, das Leben eines Wanderers durch die Wüste des Seins. Bin ich irgendwo zusammengebrochen, schwach geworden, bis der Trotz mich wieder auf die Beine brachte, um weiterzutaumeln? Wußte ich wozu? Nein! Nur mit Würde sterben die Römer.

Dieses Selbstporträt sagt viel über den Dichter Johannes Ciesciutti. Schon die Neigung, immer wieder sich selbst zu charakterisieren, entspricht zutiefst seinem Wesen, sich ausdrücken, sich klarwerden zu wollen, seine Existenz zu einer „klingenden Leier“ zu machen. Ähnlich hatte es Rilke von seinem Stundenbuch an in allen Dingen mit sich selbst zu tun; da gibt es nichts Isoliertes, alles hängt mit allem zusammen. Der „Weltinnenraum“ Rilkes ist auch der Ciesciuttis. Er ist sein Pantheon und sein Gott Pan zugleich, ein postmoderner Zug des Nachkommenden, der geistig in der Renaissance, in der Goethezeit wurzelt, und ein fieberndes Naturerleben („Vulkan“), das ihn aus allen Elementen zu steigen scheinen läßt, derart intensiv sind die Reflexe der Lust und der Mühsal, des Elementaren und Erdhaften in seiner Lyrik; man möchte einen Vers Trakls (aus „Psalm“) ins Gedächtnis rufen, der dieses Bild des Elementaren, das uns Ciesciutti magisch vermittelt, wiedergibt:

O unser verlorenes Paradies
(…)

Der Sohn des Pan erscheint in der Gestalt eines Erdarbeiters,
Der den Mittag am glühenden Asphalt verschläft.

Johannes Ciesciutti kennt das Leben am glühenden Asphalt zu gut, er hat es bis zu seiner Rente ertragen müssen, er ist ein Dichter, der – wenn auch nicht freiwillig, wie manche glauben, sondern aus sozialer Not – „von der Straße kommt“ und „das Bier aus der Flasche trinkt“. Aber man macht sich ein falsches Bild, wenn man an eine urwüchsige Ausdruckskraft denkt (ohne die Dialektdichtung herabmindern zu wollen), es ist im Gegenteil das Wissen und Denken des Ahasver, des ewig Umhergetriebenen, der aber zu sehr der Wahrheit verpflichtet ist, um sich durch Schmeichelei und Anpassung die Bequemlichkeit der Protektion zu erbetteln, zu sehr „Brutus“, um sich der herrschenden Anschauung (und es herrscht immer eine), um sich den „Fahnenträgern“ und „Heimattümlern“ zu beugen – Ciesciutti ist ein Gebildeter, ein poeta doctus laborans, der „Philosophie und Literatur endlos gebüffelt“ hat.
Immer wieder wurde er aus dem Rhythmus des Wachsens herausgerissen: als seine Eltern – der Vatername weist auf die ladinische Wurzel, ansonsten waren die Eltern Südkärntner Slowenen, „Windische“, wie Ciesciutti sagt, um dem politischen Streit zu entgehen – 1912 nach Chicago auswanderten, war er sechs Jahre alt, er erlebte also seine wichtigste Bildungsphase, die Zeit der sekundären Sozialisation in den USA, wo die Eltern bis 1920 lebten und wo er die Jesuitenschule St. Michael besuchte. Das Zurück ins Österreich nach dem 1. Weltkrieg hieß zurück in eine gärende soziale Unsicherheit, in das Grenzgebiet eines neuen Staates, ins Südkärntner Rosental (Ferlach/Borovlje). Die geschichtlichen Brüche und Erschütterungen, bis hin zum Einmarsch der Nazis und zur Einziehung zu einer fremden Militärmacht, mußten den Grübler und Sucher Ciesciutti schwer belasten, „Sie haben nie gelernt, das Gewachsene so zu belassen, wie es ist“, wird er später in den Aphorismen und Erinnerungen sagen. Ein jüdischer Emigrant aus Deutschland hat dem Dichter in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft geholfen, aber kaum nach Hause zurückgekehrt, erlebte er, daß man „noch immer die alten Parolen“ schrie und als „Nestbeschmutzer“ oder als „Chicagogangster“ galt, wenn man von dem „gestrigen Teppich“ ein Zipfelchen hob. Ciesciutti eignete sich nicht zum Heimatdichter, daher hatte er auch keine Chance auf öffentliche Förderung im Kärnten der Nachkriegszeit. Zu sehr schöpft er seine Dichtung von dort, wo das Verständnis der „Traditionsträger“ und Parteigänger schon lange zu Ende ist. Es ist die Tragik der Kulturgeschichte (oder ihre Verdrängung), daß die schöpferischen Menschen immer als  A v a n t g a r d e  wirken und dadurch das Normalbewußtsein der Kulturverwalter verstören. Auch Ciesciutti war so eine Verstörung und ist noch immer jene Avantgarde, deren Sprachspiele (die in den Aphorismen luftig gewoben sind) heute für geistig unsittlich gelten, morgen aber klarer Ausdruck für die Situation der Zeit sind. Jahrzehntelang hat man ihn als „Arbeiterdichter“ bezeichnet und damit mit einer Etikette versehen, die ihm mehr schaden als nützen wollte. Gleichsam ein „Wunder im Universum“, ein Exotikum, wäre er gewesen. Er war und ist nichts anderes als einer, der Wort und Sein in eine Gestalt bringen wollte.

Nachts liege ich wach und träume, wie ich Geige spielen will, wie ich sie unters Kinn nehmen will, wie noch keine Geige genommen wurde. Eine Geige, so gespielt, daß es zu einem Nachtigallengeschluchz kommt (…) spielbar wie Traummusik.

Dieses Geigenspiel der Poesie wird in seinen Gedichten manchmal zu einer Symphonie des Lebens: viele Motive stammen aus dem Fundus der Jahrhunderte, aus Judentum, Christentum, Buddhismus, von Laotse, von Goethe („Prometheus“), von Hölderlin, Rilke, Celan und Christine Lavant, aber sie sind wie Tonleitern seiner Komponierkunst, die er für seine große Symphonie hernimmt, manchmal scheinen es zu große Spannen zu sein, dann wechselt Ciesciutti zurück in den Monolog der Flöte, die er manchmal wie ein Einsamer, ein anderes Mal wie ein Liebender spielt.

Josef Strutz, Nachwort

 

Vinzenz Jobst: Robinson im Niemandsland. Eine Hommage an Prof. Johann Ciesciutti (* 7.12.1906 – ✝︎ 9.8.1997), Klagenfurt 2017

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber
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