Jürgen Kross: Kaltfront

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jürgen Kross: Kaltfront

Kross-Kaltfront

dem eisblatt des
teiches
noch zugehörig. der neige.

gipfelt’s, das ganze,
am himmel,
tief unten.

 

 

 

In seiner Lyrik

gelingen Kross Gedanken- und Sprachsplitter von suggestiver Magie.

Limes Verlag, Klappentext, 1984

 

Eine Kopfgeburt zwischen Lyrik und Prosa

Szenen, Lyrik und Prosa sind in dem neuen Buch von Jürgen Kross, dem 1937 in Hirschberg/Schlesien geborenen Lyriker, zu einem unverbindlichen Strauß zusammengefaßt. Unverbindlich für den Leser deshalb, weil nicht gleich ein innerer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gattungen festgestellt werden kann. Aber vielleicht ist dieser Zusammenhang auch gar nicht beabsichtigt, sondern der Autor will nur aufzeigen, daß er viele Formen, in denen Sprache möglich ist, beherrscht.
Jürgen Kross ist ein guter Lyriker, der es versteht, seine Wörter im Gedicht leuchten zu lassen wie Metall. Das lange Gedicht mit einer epischen Breite hat er noch nie gemocht, seine 6- oder 9-Zeiler enthüllen sehr oft mehr, als dies ein Gesprächsfluß tun könnte.

Zerkleinert den
stein.
am regen. und

treibt ihn die himmel
entlang. voll
kraut überwuchertem tod.

Dies sind die Bilder, die im Kopf zusammengesetzt worden sind, von einer fast unübertrefflichen Prägnanz und einer Aussagekraft, die weit über das hinausgeht, was Wörter ankündigen. Die Präzision in der Anordnung ist, so absurd dies klingen mag, Motor für eine Phantasie, die sich in Bewegung setzt beim Lesen dieser Zeilen. Es ist eine Präzision, die die Phantasie nicht bestimmt, sondern erst einmal auf den Plan ruft, so, als sei die Zeit des Tages, wo uns die Stunden der Sonne mit allen ihren Erscheinungen umgeben, Widerpart und Ergänzung des asketischen Worts:

Zögernd aber. und wiederum
säumig.
streiften die

stunden uns
ab.
und schwangen

in wolken zuhauf.
unter
dem licht hin.

Vielleicht können wir bei Jürgen Kross etwas finden, was „… unter dem Licht hin“ uns gar nicht aufgefallen wäre.

Dieter Straub, Park, Heft 24/25, Mai 1985

 

Dichter und Buchhändler in einer Person:

− Jürgen Kross wird heute 75. −

Einer der eigenwilligsten deutschen Lyriker lebt in Mainz – in seiner inhaltlichen wie formalen Eigenart darf er zu den bedeutendsten Lyrikern der deutschen Gegenwart gezählt werden, das Werk in stark profiliertem Stil ist unverkennbar: Morgen feiert Jürgen Kross seinen 75. Geburtstag.
Der bescheidene und zurückhaltende Dichter arbeitet seit 1971 als selbständiger Buchhändler in Mainz. Trotz angeschlagener Gesundheit ist Kross in seiner Buchhandlung ebenso immer noch aktiv wie als Schriftsteller – gerade hat er zwei neue Lyrik-Bände veröffentlicht, finsternisse im Erwin Rauner-Verlag Augsburg und Umland in der bibliophilen Reihe „Poetische Hefte“ der Edition art-management Hamburg; und der letzte Band unverwandt in seinem Frankfurter „Heimatverlag“ Brandes & Apsel liegt auch erst ein paar Monate zurück.
Viele Buchfreunde werden schon in der Claudius-Buchhandlung in der Vorderen Präsenzgasse, von der Ludwigsstraße gerade nur um die Ecke, Bücher bei dem freundlichen älteren Herrn gekauft haben, ohne zu wissen, wer da so angeregt mit ihnen plaudert. Geboren wurde er als Hinrich Jürgen Kroß am 26. August 1937 in der schlesischen Stadt Hirschberg (heute Jelenia Góra) im heute polnischen Teil des Riesengebirges. Die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges mit den verheerenden Bombenangriffen und kopflosen Straf- und Mordaktionen der Nazis wie der Partisanen auf der anderen Seite hat Kross eine unauslöschliche Prägung gegeben, die bis heute als biografisch-geschichtlicher Hintergrund in seiner Lyrik stets mitschwingt. In den Wirren der Besatzungszeit landete die Familie nach vielen Station 1953 schließlich in Mainz. Literarisches Interesse war bei Kross bereits in der Schulzeit geweckt und gefördert worden, und so wurde er nach dem Abschluss der Höheren Handelsschule begeisterter Gasthörer an der Uni Mainz in philologisch-literarischen Fächern und in Tiefenpsychologie. Erst eine langwierige Erkrankung, die ihn viele Jahre der Öffentlichkeit entzog, verschaffte ihm den äußerlichen und innerlichen Freiraum, sich dem literarischen Schaffen ernsthaft zu widmen.
So kam es auch, dass er als Drehbuch- und Dialogspezialist einen Ruf zum ZDF erhielt, wo er als Quereinsteiger eine Ausbildung als Fernsehredakteur machte. Er arbeitete in der Redaktion Dokumentarspiel, dann beim politischen Kabarett, schließlich beim Großen Fernsehspiel. 1971 verließ er das ZDF und übernahm die Buchhandlung – und ist somit einer der dienstältesten Buchhändler der Region.
Kross’ erste Veröffentlichung war der Gedichtband Ortungen, der 1975 beim Verlag Günther Neske in Pfullingen erschien. Kross fand bald zu seiner Stilistik und zu seinem Thema: Naturelemente als Ausgangspunkt existenzieller Grenzerfahrungen und Basis für eine mehrfach ineinandergeschobene Metaphorik; dadurch wird ein weiter Assoziationsraum geöffnet, einfache Sinn-Deutungen sind nicht möglich, die Sprache ist extrem verknappt, gedrungen, verdichtet. „Das ist keine Esoterik“, betont Kross, „eher so etwas wie Magischer Realismus. Und kein Gedicht ist Fragment. Die Gedichte sind philosophisch unterlegt – es dreht sich darum, Mehrdeutigkeiten sichtbar zu machen.“

Frank Wittmer, Wiebadener Kurier, 25.8.2012

 

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Michael Jacobs: Zwischen Büchern und Worten
Allgemeine Zeitung, 26.8.2017

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Kalliope
Nachruf auf Jürgen Kross: Allgemeine Zeitung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00