Jürgen Kross: raumzeit

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jürgen Kross: raumzeit

Kross-raumzeit

regen
durchmürbt dir den
mund.

schlaf nicht zu ändern.
wagst du;
unkenntlich zu sein.

 

 

 

Jürgen Kross

lotet in seinen kristallinisch dicht gefügten Bildkonzentraten Möglichkeiten des „Lyrischen Ich“ aus.

Peter Jokostra in Westermanns Monatsheften.

Es gibt so etwas wie ein Wetterleuchten in seinen Gedichten, darin scheinen Sprecher und Angesprochener fast ununterscheidbar. Die Erhellungen sind jäh und rätselvoll.
Die kurzen überschriftslosen Texte sind Meditationsvorlagen, zu denen man auch nach mehrfachem lesen wieder zurückkehren muß. Es wird immer soviel Welt sichtbar, wie im aufblitzen eines Wortes erscheinen kann. Auf so eine Weise erscheint weniger die Außenwelt als die Innenwelt. Die Landschaften, in denen das lyrische Ich sich bewegt, sind Wortlandschaften, in denen Ursprung und Ziel eins sind.

Prof. Dr. Harald Hartung in Universitas

Verlag Junge Literatur, Klappentexte, 1988

 

„dringe nur ein ins / verschweigen“

Es ist eine Reise ins Ich; und diese Reise ist auch eine ununterbrochene und erbarmungslose Begegnung mit den eigenen Ängsten, Hoffnungen, Wünschen. Jürgen Kross weist in seinem 1988 erschienenen Lyrik-Band raumzeit einen Weg ohne Ausweichmöglichkeiten. Jeder Schritt führt über den scheinbar sicheren Boden der Realität; Andeutungen, gehäuft in dichtest gefügten Wortlandschaften und Bildkonzentraten, äußern sich in kargen Sätzen. Der Punkt, vom Leser zeitweise als willkürlich gesetztes Satzzeichen empfunden, hebt trotzdem die Grenzen auf; dieses blick- und oft auch gedankenunterbrechende Hindernis erweist sich schließlich als Konzentration der lyrischen Ausdrucksfähigkeit in Melodie und Rhythmus. Jürgen Kross, der sich bereits in seinem Prosa-Band Kaltfront (1984) mit der Vereisung des menschlichen Innern und mit dem Thema Tod befaßt hat, läßt in seinen neuen Gedichten in raumzeit das blitzartige Erkennen des Innen-Ichs zu. Dieses Erkennen ist zumeist ein hoffnungsloses:

ulmen zersplittert’s. ein
fließender
strahl. goldet am
himmel. die kälte
erweiternd.
über den raum noch.

Die Demaskierung der Angst, die hinter zunächst hoffnungsvollen Bildern lauert, bleibt nicht aus:

sich
kündet’s frühe. den
ulmen ein
rosiges licht. setzt drin
der
tod auf die zweige.

Der Autor, 1937 in Hirschberg/Schlesien geboren und seit vielen Jahren in Mainz als Buchhändler tätig, macht es sich und seinen Lesern nicht leicht; die Frage nach der Verständlichkeit der Texte, nach dem Zugang zu Worten und Bildern, mag dazu verleiten, das Buch aus der Hand zu legen. Doch wer die Texte als Meditationsvorlage nutzt, findet die mannigfachen Hinweise auf eine Innenwelt, in der Frost und Dunkelheit, aber auch die Andeutung von Trost zu finden sind. So bleibt das Annehmen der Doppelbödigkeit menschlichen Handelns und Wünschens nicht ohne Hoffnung:

dringe nur ein ins
verschweigen.
und hebe die rinde
vom stamm.
drunter im harz
enger das licht sitzt.

Jo Schulz-Vobach, Park, Heft 35/36, Oktober 1989

 

Dichter und Buchhändler in einer Person:

− Jürgen Kross wird heute 75. −

Einer der eigenwilligsten deutschen Lyriker lebt in Mainz – in seiner inhaltlichen wie formalen Eigenart darf er zu den bedeutendsten Lyrikern der deutschen Gegenwart gezählt werden, das Werk in stark profiliertem Stil ist unverkennbar: Morgen feiert Jürgen Kross seinen 75. Geburtstag.
Der bescheidene und zurückhaltende Dichter arbeitet seit 1971 als selbständiger Buchhändler in Mainz. Trotz angeschlagener Gesundheit ist Kross in seiner Buchhandlung ebenso immer noch aktiv wie als Schriftsteller – gerade hat er zwei neue Lyrik-Bände veröffentlicht, finsternisse im Erwin Rauner-Verlag Augsburg und Umland in der bibliophilen Reihe „Poetische Hefte“ der Edition art-management Hamburg; und der letzte Band unverwandt in seinem Frankfurter „Heimatverlag“ Brandes & Apsel liegt auch erst ein paar Monate zurück.
Viele Buchfreunde werden schon in der Claudius-Buchhandlung in der Vorderen Präsenzgasse, von der Ludwigsstraße gerade nur um die Ecke, Bücher bei dem freundlichen älteren Herrn gekauft haben, ohne zu wissen, wer da so angeregt mit ihnen plaudert. Geboren wurde er als Hinrich Jürgen Kroß am 26. August 1937 in der schlesischen Stadt Hirschberg (heute Jelenia Góra) im heute polnischen Teil des Riesengebirges. Die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges mit den verheerenden Bombenangriffen und kopflosen Straf- und Mordaktionen der Nazis wie der Partisanen auf der anderen Seite hat Kross eine unauslöschliche Prägung gegeben, die bis heute als biografisch-geschichtlicher Hintergrund in seiner Lyrik stets mitschwingt. In den Wirren der Besatzungszeit landete die Familie nach vielen Station 1953 schließlich in Mainz. Literarisches Interesse war bei Kross bereits in der Schulzeit geweckt und gefördert worden, und so wurde er nach dem Abschluss der Höheren Handelsschule begeisterter Gasthörer an der Uni Mainz in philologisch-literarischen Fächern und in Tiefenpsychologie. Erst eine langwierige Erkrankung, die ihn viele Jahre der Öffentlichkeit entzog, verschaffte ihm den äußerlichen und innerlichen Freiraum, sich dem literarischen Schaffen ernsthaft zu widmen.
So kam es auch, dass er als Drehbuch- und Dialogspezialist einen Ruf zum ZDF erhielt, wo er als Quereinsteiger eine Ausbildung als Fernsehredakteur machte. Er arbeitete in der Redaktion Dokumentarspiel, dann beim politischen Kabarett, schließlich beim Großen Fernsehspiel. 1971 verließ er das ZDF und übernahm die Buchhandlung – und ist somit einer der dienstältesten Buchhändler der Region.
Kross’ erste Veröffentlichung war der Gedichtband Ortungen, der 1975 beim Verlag Günther Neske in Pfullingen erschien. Kross fand bald zu seiner Stilistik und zu seinem Thema: Naturelemente als Ausgangspunkt existenzieller Grenzerfahrungen und Basis für eine mehrfach ineinandergeschobene Metaphorik; dadurch wird ein weiter Assoziationsraum geöffnet, einfache Sinn-Deutungen sind nicht möglich, die Sprache ist extrem verknappt, gedrungen, verdichtet. „Das ist keine Esoterik“, betont Kross, „eher so etwas wie Magischer Realismus. Und kein Gedicht ist Fragment. Die Gedichte sind philosophisch unterlegt – es dreht sich darum, Mehrdeutigkeiten sichtbar zu machen.“

Frank Wittmer, Wiebadener Kurier, 25.8.2012

 

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Michael Jacobs: Zwischen Büchern und Worten
Allgemeine Zeitung, 26.8.2017

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Kalliope
Nachruf auf Jürgen Kross: Allgemeine Zeitung

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