Karl Korn: Zu Peter Gans Gedicht „Eisblume“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Gans Gedicht „Eisblume“ aus Peter Gan: Soliliquia. –

 

 

 

 

PETER GAN

Eisblume

Winter wurde. Glas auf Glas
blüh’ ich greisenalt.
Sterne ohne Unterlaß
zwinkern klar und kalt.

Weißer Winter. Klar und kalt
glüh’ ich, Glas in Glas,
Sterne singen grillenalt
Ohne Unterlaß.

Kränze blühen Glas in Glas,
Kreisen greisenalt,
glühen ohne Unterlaß:
Stille, starr und kalt.

 

Wie ein chinesisches Tuschblatt

Wer schreibt heute ein solches Gedicht? Der es schrieb, nannte sich Peter Gan und ist 1974 achtzigjährig gestorben. Er ist fast vergessen. Sollte das artistische Gebild „Eisblume“ eine Mystifikation sein, ein unbekannter Rückert oder Platen? Richard Moering, wie Gan mit seinem bürgerlichen Namen hieß, war bei aller Neigung zum philosophisch-spekulativen Hintersinn keineswegs ein unmoderner Mensch. Er hat den nach dem Zöllner Rousseau interessantesten Naiven der französischen Malerei, Vivin, entdeckt.
Als Lyriker hat er mit den alten Formen bis zurück ins Barock auf durchaus moderne Weise virtuos gespielt. Das erste Gedicht seiner ersten 1935 erschienenen Sammlung, Die Windrose betitelt, galt unter Kennern alsbald als Kostbarkeit. Es war das „Preislied auf eine Seifenblase“ und begann so:

Seifenblase, himmelwärts verloren
aus Entzücken an der Welt geboren
und aus eines Kindes Vaterhand
in den Wind auf Wanderschaft gesandt.

„Eisblume“, eines seiner letzten Gedichte, ist diesem Erstling nicht nur thematisch verwandt. Seifenblase und Eisblume haben das Gläserne, Diaphane, Stofflich-Überstoffliche gemeinsam und sind dem Dichter so etwas wie metaphysische Metaphern für die Nahtstelle zum Übersinnlichen. Das kristalline, nur aus Wortwiederholungen und Variationen bestehende Sprachmaterial des Gedichts ist mit dem Innern des merkwürdig gläsernen, glühenden, greisenalten Gebildes Eisblume so identisch, daß das Nächtliche, Eisige, Astrale welthaft wird.
Das Gedicht in drei, durch wiederkehrende Reime nach Art des Ghasels verschränkten Strophen verwendet nur einen aufs äußerste reduzierten Wortschatz, nicht unähnlich chinesischen Tuschblättern, auf denen der Bambus auf ein paar sicher gesetzte Pinselstriche reduziert ist. Die Wortmaterialien, aus denen das Gebild gemacht ist, sind Glas auf Glas, Glas in Glas, Sterne, klar und kalt, sie zwinkern, singen, glühen, greisenalt, grillenalt und wieder greisenalt. Im genau umgrenzten Sprachraum dieser Wörter verändern die Varianten die Motive mit nur leichten Abweichungen. Das Silbern-Diaphane der Eisblume am winterlichen Fenster wird mit asketischen sprachlichen Mitteln in Empfindungsqualitäten übersetzt, die mit eleganter Penetranz das Winterlich-Greisenhaft-Kalte und zugleich sein üppig sternenhaftes Blühen und Glühen bezeichnen.
Die Variationen dieser auf die Spitze getriebenen Artistik sind so eng gefaßt, daß gerade und nur in der ersten Zeile der dritten Strophe an die Stelle der Sterne Kränze treten dürfen, die die Rotation der Kristalle in der Eisblume ausdrücken. Das Glashaft-Winterlich-Astrale der kristallinen Konfiguration Eisblume wird nicht mehr, wie es für den frühen und mittleren Peter Gan charakteristisch war, gedanklich umkreist oder allegorisch ausgeweitet. Das Altersgedicht verzichtet auf die Spekulation, es ist alterskalt wie das Gebild. Das Konkrete fällt mit dem Abstrakten in eins.
In der Strophenfolge sind Steigerungen wahrzunehmen. Die kristallinen Sterne zwinkern, in der zweiten Strophe singen sie wie Grillen, schließlich verbinden sie sich wie Sternenbilder zu Kränzen. Das Blühen wird ein kaltes Glühen, schließlich ein Kreisen, das dann in das starre, stille Glühen zurückfällt. Jede Strophe wiederholt mit erschreckender Monotonie, daß das Flimmern, Kreisen, Glühen und Blühen „ohne Unterlaß“ geschehe. Solche fast umgangsprachliche Formel ist so „unpoetisch“ (in einem antiquierten Sinne), wie sie modern ist.
Die Adäquatheit der kristallinen Sprachform und der Reimwiederholungen, in denen eine auffällige „A“-Monotonie wahrzunehmen ist, zu Wese und Erscheinungsbild Eisblume gibt den Strophen den Rang des kosmischen Dinggedichts, freilich eines thematisch und formal greisenalten Gedichts und ist darum vermutlich nicht nach jedermanns Geschmack.

Karl Kornaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977

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