Karl Krolow: Zu Paul Celans Gedicht „In memoriam Paul Eluard“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Celans Gedicht „In memoriam Paul Eluard“ aus Paul Celan: Gedichte. In zwei Bänden. –

 

 

 

 

PAUL CELAN

In memoriam Paul Eluard

Lege dem Toten die Worte ins Grab,
die er sprach, um zu leben.
Bette sein Haupt zwischen sie,
lass ihn fühlen
die Zungen der Sehnsucht,
die Zangen.

Leg auf die Lider des Toten das Wort,
das er jenem verweigert,
der zu ihm sagte,
das Wort,
an dem das Blut seines Herzens vorbeisprang,
als eine Hand, so nackt wie die seine,
jenen, der du zu ihm sagte,
in die Bäume der Zukunft knüpfte.

Leg ihm dies Wort auf die Lider:
vielleicht
tritt in sein Aug, das noch blau ist,
eine zweite, fremdere Bläue,
und jener, der du zu ihm sagte,
träumt mit ihm: Wir.

 

Eine Verweigerung

Das frühe Gedicht Paul Celans aus dem Bande Von Schwelle zu Schwelle muß Anfang der fünfziger Jahre entstanden sein. Es ist ein geisterhaftes Gedicht über eine Beziehung, die schwierig war, die nicht zustande kam, wie es derjenige erhofft hatte, der hier eines Toten gedenkt: des surrealistischen Dichters Paul Eluard, der relativ früh, sechsundfünfzigjährig, im November 1952 nach einer beispielhaften und langen poetischen Laufbahn gestorben war. Sein Einfluß auf Celan ist nur zu vermuten. Zu erkennen ist jedoch die Verehrung und die Trauer um die nicht zustande gekommene literarische Freundschaft.
Das Gedicht will wenigstens zweierlei beschreiben: Paul Eluard selbst, ihn allein, und allein das, was er schrieb und wie er es schrieb, wie er die Wörter gebrauchte. Und es spricht ebenso von den Dichtern überhaupt, den Lyrikern, denen man – wie keinen anderen – ihre Worte, ihre Gedichte ins Grab legen kann und denen man ihre Texte nachsprechen wird, wieder und wieder.
Der Typ des Dichters wird im Verlaufe des Gedichts dominierender als die Individualität des toten Eluard. Gerade aus diesem Grunde ist die Verweigerung, die spürbar bleibt, um so schmerzender. Die Rede ist von der Schwierigkeit des Verständnisses, des Verstehens überhaupt im Leben und in der besonderen Beziehung, im Verhältnis des Lebenden zum nun Toten. Denn es gibt Worte, die „an dem Blut seines Herzens vorbei sprangen“, eines Herzens, das bereit war, das sich näherte und Kontakt suchte, weil es diesen Kontakt brauchte. Wie immer man es auslegen mag: es bleibt diese vergebliche Bereitwilligkeit.
Jener andere, der „du“ zu dem Toten sagte und dem das Wort verweigert wurde, sieht auf die Schwierigkeiten angesichts dieses geendeten dichterischen Lebens. Das „wir“ konnte in jenem Falle nur „geträumt“ werden. Es war eine Hoffnung, eine erhoffte Übereinkunft, ein sensibles Bündnis der Herzen mit Hilfe der Wörter, die verweigert wurden, aus welchen Gründen immer: aus einem Mangel heraus vielleicht, der poetisches Leben heißt. Das Wort „vielleicht“ taucht in Celans Gedicht auf, steht da, abwartend, hoffend, angesichts der offenen Augen des Toten, in die der Betrachtende schaut, wohl jener, dem das Wort verweigert worden war. Er läßt diese toten Augen nicht aus dem Blick. Er erwartet gleichsam noch die Lösung eines Rätsels, eines Geheimnisses – dieser Verweigerung – aus des toten Dichters Augen.
Das Rätsel bleibt. Und das „Wir“, das lebend nicht zu verwirklichen war oder das nicht gewollt wurde, wird zum Grabspruch: WIR. Ein zu später Wunsch, ein Traum, der dennoch erlaubt bleibt. Gemeinsames kommt ins Grab: Sprache, die zu dichterischem Wort wurde. Einen Augenblick lang findet sich alles im letzten Wort des Gedichttextes zusammen.

Karl Krolowaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982

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