Kerstin Hensel: Zu Paul Flemings Gedicht „Herrn Paul i Flemingi der Med. Doct. …“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Flemings Gedicht „Herrn Paul i Flemingi der Med. Doct. …“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –

 

 

 

 

PAUL FLEMING

Herrn Paul i Flemingi der Med. Doct.
Grabschrifft / so er ihm selbst gemacht
in Hamburg / den xxiix. Tag deß Mertzens m.dc.xl.
auff seinem Todtbette drey Tage
vor seinem seel. Absterben.

Ich war an Kunst / und Gut / und Stande groß und reich.
Deß Glückes lieber Sohn. Von Eltern guter Ehren.
Frey: Meine. Kunte mich aus meinen Mitteln nehren.
Mein Schall floh überweit. Kein Landsmann sang mir gleich.
Von reisen hochgepreist: für keiner Mühe bleich.
Jung / wachsam / unbesorgt. Man wird mich nennen hören.
Biß daß die letzte Glut diß alles wird verstören.
Diß / Deuetsche Klarien / diß gantze danck’ ich Euch.
Verzeiht mir / bin ichs werth / Gott / Vater / Liebste / Freunde.
Ich sag Euch gute Nacht / und trette willig ab.
Sonst alles ist gethan / biß an das schwartze Grab.
Was frey dem Tode steht / das thu er seinem Feinde.
Was bin ich viel besorgt / den Othem auffzugeben?
An mir ist minder nichts / das lebet / als mein Leben.

 

Der gebannte Tod

Zu Semesterende legte ich Studierenden, die an einer Hochschule zum Schauspieler ausgebildet werden, dieses Sonett vor. Ich wollte wissen, was sie davon halten, in welcher Weise sie mit dem Gesagten übereinstimmen oder ihm entgegenstehen. Die Antworten lauteten:

Dieser Fleming muß ein ziemlich arroganter Typ gewesen sein! Eingebildet war der! Eitel! Wie kann der ohne jeden Selbstzweifel über sich reden?! Wie von sich behaupten, daß er – „kein Landsmann sang mir gleich“ – der Superstar ist und sonst keiner?! Typisch Künstler! Macht auf gelehrt, reimt sich was zusammen und hat nicht mal vor dem Tod Bammel! Redet, als ob der unsterblich sei! Respektlos war der! Größenwahnsinnig! Und das auch noch auf den eigenen Grabstein meißeln lassen! Peinlich! …

Ich war erstaunt. Die jungen Talente, deren zukünftige Berufsausübung ohne Ehrgeiz, Wagemut und Selbstwertgefühl nicht mal auf einer Laienbühne funktionieren würde, beschweren sich über einen Dichter, der vor mehr als dreihundert Jahren von sich schrieb. Und zwar nur das beste. Warum reagierten die Studenten so unwirsch auf Flemings Grabschrift?
Sie verwechselten Selbstbewußtsein (das positive Bewußtsein seiner Selbst) mit Dünkel und Eitelkeit. Das Gedicht zündete in ihnen jenen Minderwertigkeitskomplex, dem derjenige ausgeliefert ist, der in seinem Gegenüber großes ahnt und weiß, daß er es selbst nicht erreichen wird. Wenn er es denn erreichte, wäre er wahrscheinlich auch so ein eingebildeter Fatzke.
Die Gewißheit, das Wissen um das eigene Vermögen (gedankliches wie finanzielles), um geistige Unabhängigkeit, Weitläufigkeit und verdienten Ruhm darf in der Öffentlichkeit (und gedruckte Dichtung ist eine solche) nicht kundgegeben werden. Weil das eben peinlich ist. Weil das den Könner über den Nichtkönner, den Wissenden über den Unwissenden hebt, und der Mensch soll sich ja – so droht die bis ins Heute schwingende moralische Rute – nicht über andere erheben. Volksnah soll sich ein Held geben und, wenn möglich, öffentlich leiden und Buße tun. Auch wenn er nichts zu bereuen hat.
Ich erinnere mich an die Zeit meiner Ausbildung zur Krankenschwester. In der Abschlußbewertung stand der Vorwurf:

K. verfügt über ein hohes Selbstbewußtsein und versucht ihre Mitschülerinnen mit berufsfremden Interessen zu beeinflussen.

Gemeint waren jene gemütlichkeitsstörenden Bücher, die ich 17jährig entdeckt und versucht hatte, weiter zu empfehlen. Aber meine Mitschülerinnen sowie die Lehrschwestern hielten mich wohl lediglich für hochmütig.
Heute, hierzulande steht noch immer ein gesundes Selbstbewußtsein in Verruf, vor allem, wenn es sich schriftlich äußert. In den meisten Köpfen stecken noch die Traditionen deutscher Gehorsamkeit, Unterwürfigkeit, Herrschafts- und Gottesfurcht. Minderwertigkeiten werden als Tugenden gehandelt und als Eitelkeiten wiedergeboren. Eitel bedeutet leer.
Paul Fleming, der nie öffentlich mit sich gehadert, nie sein Gewissen gekrümmt hat, war nicht eitel. Die chaotische, von Religionskrieg, Pest und Terror zerrissene Welt war es. Und der Tod, der mit der hysterischen Lebensfreude tanzte.
Flemings Selbstbewußtsein bildete sich nicht nur unter den bürgerlich-rationalen Gleichgesinnten seiner Zeit, die sich von übergreifenden Mächten, von Religion, Staat und Gesellschaft zu befreien versuchten, aus, sondern auch in der Entfernung von seinem Vaterland und dessen Elend. Auf seinen großen Reisen sah Paul Fleming die Welt durchaus bewundernswert. Er war von reisen hochgepreist… desgleichen jung / wachsam / unbesorgt. Wenn schon die Verheissungen des Paradieses in dieser Zeit ungewiß geworden waren: Flemings Leben war beinahe ideal.
Nach einem Poetikexkurs habe ich die Studenten das Gedicht laut lesen lassen. Infolge kurzer Übung begriffen sie durch das Wie des Vortrages den Gehalt der Verse. Rhetorisch souverän, ohne Jammersound und Versfußgeleier ergaben sich nun statt vermuteter pathetischer Eigenbespiegelung des Verfassers klare Hinweise auf das, was Fleming gelebt, uns also zu sagen gehabt hatte:

Ich war an Kunst und Gut / und Stande groß und reich…

Jeder Vers entpuppte sich als nachprüfbare Wahrheit. Obwohl Nachprüfbares kein Indiz für gute Kunst ist, schien Flemings Selbstlob plötzlich gerechtfertigt.
Am 28. März 1640, drei Tage vor seinem Tod, hatte sich der 31jährige derart in der Gewalt, daß er, trotz wahrscheinlicher Ängste, diese zeitenüberdauernden Verse schrieb. (Die Überschrift stammt übrigens von dem ungenannten Herausgeber Adam Olearius).
Die Studenten lasen sich empor zum Verstehen des Fleming’schen Grabsonettes. Dabei lernten sie die poetisch tiefgekühlten Alexandriner mit ihrem Gelehrsamkeitston klar denkend sinnlich zu füllen: die strenge Form hatte als Angstbremse, als Stütze im Chaos gewirkt.
Flemings Mediziner-Blick aufs eigene Leben war von kühl-sezierender Zufriedenheit: Abgang bei bestem Befinden! Gewiß, der Leib geht dahin, aber mein Werk bleibt.

Mein Schall floh überweit.

Mehr kann man nicht verlangen. Und wem habe ich das zu verdanken?: Gott, Vater, Weib und Muse, aber in erster Linie mir selbst!
Man hat als Leser und Vortragender keine Gelegenheit, sich in das Gedicht wohlig hineinzufühlen und, im Timbre des Geheimnisvollen, monologisch dem Persönlichen eines Dichtererlebens nachzuspüren. Alle barocken Poeten waren vielmehr kunstvolle Spieler und traten in Dialog mit ihresgleichen. Fleming hatte den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen jedoch etwas voraus: das Durchschimmern einer eigenen, persönlichen Stimme. Er wollte nicht die anderen in immer bunteren Klangfraben übertrumpfen, keine metaphorischen Schaumkronen zum Applaus freigeben: er wollte – bei aller Kunst – das mündige gedankenscharfe Ich zur Geltung bringen. Kein Landsmann sang mir gleich.
„Die berühmten Lieder bleiben / wenn wir längst gestorben sind“ schrieb Martin Opitz an Heinrich Schütz. Recht hatte er.

Kerstin Hensel, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009

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