Kim Soo-Young: Jenseits des Rausches

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Kim Soo-Young: Jenseits des Rausches

Soo-Young-Jenseits des Rausches

PROLOG

Ich habe zu sehr nur die modernen Lieder gesungen.
Ich habe zu sehr die Schönheit des Stillestehens
aaaaavernachlässigt.
Du Baum, du Seele,
ich lege wie der leichte Spatz nur kurz den müden
aaaaaLeib
auf deinen gar nicht so häßlichen Ast.
Das Wachsen ist die Arbeit, der seit Sokrates die
aaaaaWeisen
nachgegangen sind,
das Ordnen
ist die Arbeit, der die Dichter des 20. Jahrhunderts
im Leid der Kriegskatastrophen nachgehen.
Dennoch wachsen Baum, Seele,
Lehre und Befehl.
Ich
kann die Zeit das Überwiegen des Befehls noch nicht verzeihen,
diese Zeit ist noch die Nacht, die nach dem Überwiegen des Befehls verlangt.
Ich weiß jedoch in solcher Nacht das Lied der Eule zu singen,

das ärmliche Lied,
das schmutzige, leblose Lied,
ach, den Befehl

1957

 

 

 

Kim Soo-Young (1921–1968)

war Schauspieler und Student der Anglistik. Englische und amerikanische Dichtung beeinflußte sein eigenes literarisches Schaffen.
Als erster moderner koreanischer Dichter nach Yi Sang (1910–1937) ging er an die Wurzeln der älteren Lyrik und war doch selbst nie in der Gefahr, entwurzelt zu werden.
Seine Kriegserfahrungen prägten ihn ebenso wie die Zeit der Militärdiktatur und die enttäuschten Hoffnungen nach der April-Revolution von 1960.
Kim Soon-Young war ein politisch engagierter Dichter, verletzlich und kompromißlos – vor allem jedoch war er ein Dichter jenseits allen Mittelmaßes.

Edition Peperkorn, Klappentext, 2005

Diese neue deutsche Ausgabe

von mehr als 60 Gedichten ergänzt den bereits vor einiger Zeit erschienenen Band Der Wächter der Wolke. Dem bekannten Lyriker Uwe Kolbe ist es gelungen, das spezifisch moderne an Kim Soo-Youngs Gedichten auch ins Deutsche zu übertragen.
Kim Soo-Young ist einer der wichtigsten koreanischen Lyriker der Jahre nach 1945. Seine frühen Gedichte, von denen einige 1949 in einem Sammelband veröffentlicht wurden, sind noch von dem zu dieser Zeit so populären Modernismus bestimmt.
Während des Korea-Krieges wurde Kim zum Kriegsdienst in der nordkoreanischen Armee gezwungen und später in einem Kriegsgefangenenlager interniert. Die Erfahrungen aus jener Zeit bestärkten ihn in der Auffassung, daß Lyrik in einer engen Beziehung zu alltäglichen Realität stehen müsse. Die April-Revolution 1960, welche den autokratischen Präsidenten Syngman Rhee um die Macht brachte, weckte in Kim große politische Hoffnungen, die jedoch in der Folge rasch wieder zerstört wurden. Beides – Hoffnung wie Enttäuschung – spiegelt sich im Ton seiner Lyrik. Zu Lebzeiten hat Kim Soo-Young nur einen einzigen Lyrik-Band veröffentlicht (Spielerei im Mond, 1959); sein Gesamtwerk, zu dem auch bedeutende literaturkritische Arbeiten gehören, wurde erst postum veröffentlicht.

Edition Peperkorn, Ankündigung

 

Letzte Nachtansicht von Asien

(…) Kim Soo-Young (1921 bis 1968), von dem bei Peperkorn bereits der zweite Gedichtband erschienen ist, gilt als exemplarischer „engagierter Dichter“ Koreas. Bei Kim, der in seiner Kunst eine Einheit von Inhalt und Form anstrebte, schlägt sich die politische Entwicklung seines Landes bis in die Dynamik seiner Gedichte nieder. Die zunächst erfolgreiche April-Revolution von 1960 gegen die autokratische Regierung Rhee Syngmans, die nach dessen Abdankung bis zum Militärputsch Parks ein Jahr später die Hoffnung auf Freiheit nährte, war eine Art „Stunde Null“ und Initialerfahrung seines Schreibens.

Seine Forderungen nach sprachlicher Innovation und Abkehr vom traditionellen Manierismus ebenso wie vom Fatalismus der Fünfziger-Jahre-Literatur, denen er auch in literaturkritischen Arbeiten wie „Dichtung! Spuck es aus!“ Ausdruck verlieh, setzte er konsequent auch in seiner Dichtung um. So bettet er Jahreszeitenmotive als Symbole der Metamorphose in aktuelle politische Zusammenhänge ein. Seine oft sprachspielerischen und somit schwer übersetzbaren Gedichte, die mit einem Gestus beständiger Selbsterneuerung ausgestattet sind, entziehen sich konventioneller Lektüren. Dabei entzündet sich seine revolutionäre Verve oftmals an scheinbaren Randnotizen, Naturbeobachtungen oder Nebensächlichkeiten im Leben gewöhnlicher Bürger, die ins grotesk-surreale gesteigert werden.
Zwischen bissiger Politkritik und satirischer Selbstanklage singt der Dichter das Lied von der Einsamkeit der Revolution („die Revolution hat nicht geklappt, ich habe nur das Zimmer gewechselt“), sinniert er über Freiheit und Kleingeist, Kunst und Imagination. Politisch unverfängliche Allegorien wie Wind und Gras repräsentieren, wie im Schlußgedicht „Das Gras“ von 1968, die Widerstandsfähigkeit des geschundenen Volkes. Kim überzeugt dabei auch noch in der Übersetzung durch Klangkaskaden und rhythmische Musikalität: „Der Tag ist trüb, und das Gras legt sich nieder… Legt es sich später als der Wind, steht es doch früher auf als der Wind. Weint es später als der Wind, lacht es doch früher als der Wind. Der Tag ist trüb, die Graswurzel legt sich nieder.“
Ein kurz vor seinem tödlichen Autounfall verfaßtes Gedicht gibt auch einer bei dtv erschienenen Anthologie ihren Namen, die aber auch zahlreiche andere literarische Zeitzeugen des Jahrhunderts zu Wort kommen läßt. (…)

Steffen Gnam, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.3.2006

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Uwekolbe“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Kolbe, der“.

 

Uwe Kolbe liest auf dem XX. International Poetry Festival von Medellín 2010.

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