Kito Lorenc: Flurbereinigung

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Kito Lorenc: Flurbereinigung

Lorenc/Bachmann-Flurbereinigung

AN EINEM SCHÖNBEMALTEN SONNTAG

An einem schönbemalten Sonntag
spielten die Metaphern gegen die Vergleiche
ein Gedicht von einem Spiel.

Die Vergleiche trugen erdgraue Trikots,
die Metaphern azurblaue.
Der Hahn pfiff an.

Der Ball ist gleichwie die Sonne,
staunten die Vergleiche. Da schossen
die Metaphern die Sonne vom Osttor ins Westtor.

Das ist gleichsam der Untergang,
bemerkten die Vergleiche.
Unter den Schlachtenbummlern

fiel eine halbe Synekdoche in Ohnmacht.
Erst zwei Halbzeiten ergeben eine
Mahlzeit! höhnte die Amphibolie.

Nur die Metonymie schrie: Tor…
(In der Pause trank man Quittenbrause
wegen des tropischen Klimas.)

Nach dem Erdseitenwechsel konzentrierten
sich die Vergleiche, also: Der Ball ist
und schossen die Ballsonne vom Osttor ins Westtor.

Jetzt sind wir quitt! jubelten sie.
Welche Verballhornung des Sonnenballs! mokierten
sich die Metaphern: Seliger Ballhorn, wer

druckt das noch hierzuerd? Damit zogen alle
zum Großen Bären, auf dem Ballspielplatz der Sterne
endete ihr Match unendlich : unendlich.

 

 

 

Was wir als Sorben geworden sind,

sind und sein werden – wurden, sind und werden wir mit der DDR, in ihr, durch sie. Aber was dem sorbischen Dichter Jurij Brězan vor Jahren endliches Ergebnis am Ziel langen Suchens war, jenes „Ich hab es gefunden… mein Vaterland“, das konnte unserem Weg nur Beginn sein. Gott sei Dank hatten die Sorben weder Lust noch Gelegenheit, es sich als idyllische Minderheit vor reizvollem Landschaftshintergrund gemütlich zu machen in diesem ihrem ersten Vaterland, sozusagen als Touristenattraktion, und so blieb es auch ihren Schreibern erspart, die folklorisierenden Klampfengesänge zu solch zweifelhaftem, erniedrigendem, anachronistischem Unterfangen zu liefern.
Es muß der ganze Raum sein, in dem wir leben. Das Gedicht wird getragen von einem Raum des Menschlichen, der abgemessen und erfüllt ist von der Wesenhaftigkeit und Dichte der Konflikte, die sich in ihm entfalten. Diese Erfahrungen sammelt der Lyriker im läuternden, klärenden Filter des Gedichts, durch das er sich mit beharrlicher, kathartischer Selbstbesinnung seinem Ausgangspunkt stellt. Und sei es jetzt auch ein blindes, übles Abwasser wie die Struga, an die er sich nun einmal gemacht hat: Es beruhigt ihn, daß sie fließt.

Kito Lorenc, Aufbau-Verlag, Klappentext,1973

 

„Flurbereinigung“ Gespräch

Luise Köpp: Wenn ich richtig informiert bin, dann enthält Ihr jüngst im Aufbau-Verlag erschienener Lyrikband Flurbereinigung eine Auswahl Ihres bisherigen lyrischen Schaffens – welchen Zeitraum umfasst das, und wie begannen Sie mit dem Schreiben?

Kito Lorenc: Der Band enthält Gedichte aus den Jahren 1964–1973, also etwa aus einem Jahrzehnt, aber nicht aus dem ganzen Zeitraum meiner lyrischen Arbeit, der weiter zurückreicht. Lyrik habe ich in sorbischer Sprache seit etwa 1959 veröffentlicht, 1961 auch ein erstes Bändchen Nowe časy – nowe kwasy (Neue Zeiten – neue Hochzeiten), aus dem allerdings kein einziges Gedicht in den Aufbau-Band aufgenommen ist, was nicht nur durch gewisse Übersetzungsschwierigkeiten, besser Übertragungsschwierigkeiten aus einem historisch anderen, sorbischen Literaturkontext bedingt war, sondern vor allem durch meinen schon allzu großen Abstand von diesem Debüt. Gedichte geschrieben habe ich etwa seit meinem 12. Lebensjahr ununterbrochen, zunächst deutsch, später immer mehr auch sorbisch. Doch wenn ich Ihre Frage umfassender verstehen darf, also wie ich zu schreiben begann: nun, ich glaube, wie die meisten, wenn auch uneingestanden, aus Nachahmungslust und nicht so viel Muse als Muße. Ich will hoffen, dass sich das inzwischen ein wenig geändert hat. Später, in den Struga-Gedichten vor allem, die ja ursprünglich zweisprachig erschienen sind, wollte ich – wer hört da nicht schon wieder Bobrowski verdächtig trapsen? – den Deutschen etwas über die Sorben erzählen, aber auch den Sorben einiges über sich. Das dachte ich jedenfalls damals zuerst, und dabei habe ich dann auch mir über mich etwas erzählt, und das will ich nun immer mehr, weil ich mich wohl nie ganz kennenlernen werde. Aber das gehört schon nicht mehr zu Ihrer Frage und klingt auch ganz ungebührlich kokett.

Köpp: In einem der Gedichte heißt es:

In unseren Taten mögen träumen die Väter, mögen
in unsern Träumen wohnen die Taten der Kinder.

Verstehe ich dies richtig auch als ein Programm des sorbischen Lyrikers?

Lorenc: Es war zunächst nicht nur auch, sondern nur ganz – sozusagen – sorbisch gedacht. Wenn es dann auch noch etwas Allgemeines bedeutet – umso besser. So geht es mir überhaupt öfter. Aber das muss ich wohl ein wenig näher erläutern, wenn es sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Gedichte schon erklärt, der sorbische Ausgangspunkt, meine ich. Vielleicht muss man da die unmittelbare Umgebung dieser Zeilen mit im Ohr haben. Das Vorausgehende, dass uns niemand das Denken abnehmen kann, auch nicht die nach uns; dies nur als zusätzliche Sicherheit, damit es nicht etwa als Überspringen der Gegenwart, als Vertagung eines Problems der Väter auf die Kinder, in die Zukunft, verstanden wird, denn von uns, unseren Taten und Träumen ist ja die Rede. Und dann das Nachfolgende, das Gesetz von der Erhaltung der Liebe, das da verkündet wird. Mir klingen die Ohren davon, und uns allen müssten die Augen davon übergehen, so sehr sind wir, die Zukunft, die heute gegenwärtig ist, von den Vätern geliebt und herbeigesehnt worden. Ich kann nicht anders, ich muss diese Liebe erwidern, und kann sie leider nur erwidern, indem ich sie auf die Kinder, und so doch wohl wieder auch, ja vielleicht nur, auf uns weitergebe. Die sorbische Literatur – und sie klingt mir ja im Ohr, weil ich über ein Jahrzehnt als sorbischer Literaturwissenschaftler gearbeitet habe – ist voll von den Anrufungen, Beschwörungen der Väter und der Zukunft, weil das Sorbische wohl mit seiner Gegenwart – national und sozial – nicht „fertigwurde“, es nicht werden konnte, denn es wurde ja „fertiggemacht“. Immer musste man sich auf die Väter besinnen, nur um Kraft für die Bewältigung der Gegenwart herzuholen, und konnte doch nicht das tun, oder nicht all das, was die Väter erträumt hatten. Das musste man einer imaginären Zukunft anvertrauen. Immer dieser inbrünstige Blick in die Vergangenheit, der eigentlich in die Zukunft gerichtet war, blind für die Gegenwart. Und alle Sehnsucht war doch, klarzusehen in der Gegenwart, Sehnsucht nach Harmonie, Kontinuität. So entstand auch diese Stelle: die Erfüllung des Traums in der Tat, die Vorwegnahme der Tat im Traum. Das soll und kann heute gelingen, gegen alle Untaten und Albträume.

Köpp: Wir haben jüngst den VII. Schriftstellerkongress gehabt – gab es hier Sie besonders interessierende Fragen? Welcher Arbeitsgruppe haben Sie angehört?

Lorenc: Ich war in der Arbeitsgruppe „Literatur und Geschichtsbewusstsein“, und man hatte mich zuvor ermuntert, auch einen kleinen Diskussionsbeitrag da zu liefern. Dazu reichten aber mein Mut bzw. meine Vorbereitung nicht ganz, und dann später fand ich die richtige Einstiegsstelle nicht, denn es gab viel zu viele. Trotzdem war es eine richtige Arbeitssitzung für mich, denn ich habe – immer auch neu entzündet durch die Worte, die da fielen, und einige Male auch ernsthaft gestört durch außerordentliche Ansprachen – bis zuletzt an meinem Diskussionsbeitrag geschrieben. Und als der letzte Redner angekündigt wurde, setzte ich gerade meinen Schlusspunkt. Und nun könnten daraus, wenn ich daran noch ein wenig feile, vielleicht zwei schriftliche Beiträge werden. Damit wollte ich nur sagen, wie brennend mich diese Fragen interessieren und wie der Kongress, die Arbeitsgruppe, mich angeregt hat, in diese Richtung, das heißt in diejenige der Väterträume, weiterzufragen.

Köpp: Ihr jetzt vorliegender, jüngster Lyrikband ist zugleich Ihr erster im Aufbau-Verlag. Welche Pläne gibt es in dieser Hinsicht für die Zukunft? Auch hinsichtlich des Zweisprachigen?

Lorenc: Ich werde nun schon weiterschreiben müssen, in beiden Sprachen und als mein eigener Übersetzer. Im Domowina-Verlag in Bautzen arbeite ich augenblicklich als Herausgeber am zweiten Heft einer sorbischen Lyrikreihe, einer Art sorbischer Poesiealben, die allmählich zu einer Standardsammlung sorbischer Dichtung anwachsen soll. Und in den nächsten Jahren habe ich den Ehrgeiz, neben einem Lesebuch sorbischer Literatur eine große Anthologie sorbischer Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart in Deutsch herauszubringen, die nicht in meinen Versen gipfeln wird, denn es gibt nun schon wieder einen sehr jungen neuen sorbischen Lyriker, der so ganz anders ist als ich und deshalb mein Freund, und so brauche ich auch nicht mehr der letzte sorbische Dichter zu sein.

Rundfunkinterview für Radio DDR II, ausgestrahlt am 8.12.1973

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Christian Löser: Der Weg eines Dichters
neue deutsche literatur, Heft 11, 1974

Gerhard Rothbauer: Freude am Spiel mit Überliefertem
Neues Deutschland, 14.11.1973

 

Richard A. Zipster: DDR-Literatur im Tauwetter. Band III. Stellungnahmen

 

KEIN MÄRCHEN
nach dem Gedicht „Kriegsmärchen“ von Kito Lorenc

es hat alles seinen pferdefuß
ein mädchen wie ein märchen
am sachlichen himmel die sternin
und die patin deren informationsnetz
keiner schlagworte bedarf
nichtmal die der freunde der italienischen oper

da kannst du rumopern wie du willst
die patin ist kein knochenmann
und sie ist schön
hat ein weißes gewand und wallendes haar
da kannst du sagen daß sie fern ist wie sie will
sie ist nah
mit ihren hunden die stichwaffen tragen
mit ihren katzen die dir eine harke zeigen
mit ihren ratten die dich verpfeifen überall
und den grauen mäusen die das brot im bunker horten
das sind die rechten kinder der patin

weiter ist nichts zu sagen
nur daß du schon von anfang an mit diesem märchen lebst
und weißt
daß der riegel am tor der patin eine menschliche linke ist
daß der fuß mit dem sie stampft ihr männlicher fuß ist
und daß das garn der patin aus gedärm besteht
mit dem sie ihre kreaturen ausstopft
du bist zu ihr eingeladen zur reichen patin
die etwas für dich übrig hat
da sie den schwurfinger hebt
und dich schon mal behutsam in den arm nimmt
bist du abends mit dir allein

Róža Domašcyna

 

 

 

Peter Handke, Elke Lorenz und Uta Šwejdźic lesen Gedichte von Kito Lorenc.

Klassiker der Gegenwartslyrik: Kito Lorenc – Am 18.9.2013 in der Literaturwerkstatt Berlin in Lesung und Gespräch moderiert von Thomas Rosenlöcher.

 

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Ulf Heise: Zwang zur Genauigkeit: Am Montag feiert Kito Lorenc seinen 75. Geburtstag
Leipziger Volkszeitung, 4.3.2013

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Nachrufe auf Kito Lorenc: SZ ✝︎ MDR ✝︎ SAdK

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Lorenc“.

 

Kito Lorenc und Miodrag Pavlovic erhalten den Petrarca-Preis 2012.

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