Klaus Martens: Atemholen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Klaus Martens: Atemholen

Martens-Atemholen

STERNENTAUCHER

Ein staubfrei poliertes Glas, die Nacht,
die einzelne Wolke weiß von nahen Sternen,
eine Zunge, lang und flach gerieben,
ein blank gescheuertes Holz, speckweiß auf
dem Quarz. Lautlos im Raum
schwingt die Dünung durch die Fichtenspitzen
im See, über dem, in kalter Nähe,
ein Vogel fällt, ein Taucher in den See,
im lautverlorenen Flug, Flügel gefaltet.
Ein Komet der Körper selbst, verlischt
in dem starrenden Auge, schlagend voll,
tränen-, wimpernlos und doch geschlossen.

Ruhe wieder und enggespannte Klarheit,
bis, Lichtsekunden später, der Sternentaucher
mit schimmernd aufgeworfenem Gefieder
weit und draußen aus dem feuchten Glas
steigt und mit einsam raumgetragenem
Lachen mit Schaudern in die Spitzen stößt,
höher zum Polarstern in geradem Flug,
zieht tief hinein in den sinkenden, hohen Schrei,
der wölfisch stimmt und Ferne schafft,
Sicht und Trommelfell pulsierend hält –
verstummt – und im Film des schnellen Atems lässt.
Ein Holz wird entzündet, der Horizont bricht.

 

 

 

Lyrische Reise durch Zeit und Raum

„Atemholen“ heißt das erste Gedicht im vorliegenden Lyrikband und es ist als Eröffnung sehr gut ausgewählt, denn in ihm finden wir bereits einige Themen, die uns im Verlauf der Lektüre noch öfter begegnen werden: Natur, Reisen, Liebe, Sich-Erinnern. Auf das Leben schauen und entscheiden, was wichtig ist.

Dafür soll Zeit sein:
Wasser holen am Meer,
Salz holen in Frisco,
Hoffnung schöpfen –

Enden lässt Klaus Martens das Buch, in dem neben neuen Texten Lyrik aus zwölf früheren Bänden versammelt ist, mit dem frühen Gedicht „Überblick“. Darin geht es um den unverstellten Blick auf die Welt. Wenn wir, so heißt es da:

Hieb und Wurf aus den Objekten schälten,
Todes dem Tod vermachten, hier,
wo er ist, dann, ja dann stehen auch wir
ganz unverschämt frisch im Wind
und das Wetter schmücket uns festlich.

Zwischen diesen beiden Gedichten liegt der dreißigjährige Kosmos des Autors, in dem Inhalt und Sprache harmonisch verbunden sind. „Wir suchen das eine, / das einzige Gedicht“ schreibt er schon früh, und diese Leidenschaft, diese Suche teilt sich dem Leser unmittelbar mit. So wird er sich im Verlauf seines Schriftstellerlebens immer wieder mit Sprache und Poetik auseinandersetzen. Da geht er auf Wortfang, erkennt Sentimentalität, wenn Schlüsselwörter der Kindheit fallen, weiß aber letztlich, dass Papier schneidet wie ein Messer, und den Charakter eines Gedichts definiert er folgendermaßen:

Rau geht es in ihm zu, es ist nicht wirklich gefällig, nichts in ihm ist angemessen.

Dabei sprechen die Gedichte von Klaus Martens indirekt. Und dies bewirkt, dass sich der Leser in die Texte fallen lassen kann, ihnen vertraut, weil die Geworfenheit des Menschen, seine Endlichkeit nicht direkt benannt, sondern durch Bilder ausgedrückt werden. Bilder, die das Unbewusste, die Gefühle ansprechen, also, das bewirken, was ein gutes Gedicht ausmacht.
Wie in dem wunderschönen Gedicht „Kraftanstrengung“:

Es hat ein Leben lang gedauert,
nicht zu sterben,
nun ist s erreicht, einmal die Knospe,
vielleicht die Blüte,
doch bis dahin, heißt es weiter warten,
etwas leben,
mit ganzer Kraft und kaum Verbrauch.
Er brauchte letztlich die Reserve
zum Zieleinlauf,
zur Farbenbracht selbst noch im Regen,
im scharfen Wind,
der allein im Dunkel heulend singt.

In anderen Texten verbreiten Saatkrähen die Empfindung von Vergänglichkeit und die Schönheit des Oktobers entpuppt sich als Täuschung. Die Natur als Sinnbild des Lebens. Vor allem in den Kapiteln „Bei den Vogelinseln“ und im „Schwedenbuch“ lässt sich der Autor ganz auf das ein, was er um sich herum sieht und findet dafür schöne poetische Bilder. Ein Abend mit Feldlerchen, Dünen und Licht wird mit einem Cellospiel verbunden oder das lyrische Ich beschreibt den Fall der Samen, das langsame Leben der Natur. Hier wird deutlich, wie genau Klaus Martens beobachtet und entsprechend seine Worte und Zeilen setzt.

In Schweden wachsen Wiesen
auf dem Dach
und Bäume in den Nebel.
Zäune sind zum Schauen da
und Felsen wachsen
wie raues Gras,
das Moos so zäh bedeckt,
oder heben still
als runde Riesenhäupter
sich aus den Seen.
Bei gelben Blüteninseln,
nah einer Bogenbrücke,
streicht ein Fiedler in den Morgen,
der Wind spielt seine Haare.

Wenn ein erfahrener Dichter wie Klaus Martens die (bisherige) beachtenswerte Summe seines literarischen Schaffens vorlegt, bleibt es nicht aus, dass er zurückblickt, sein Leben und seine Arbeit betrachtet. In einem seiner neuen Gedichte macht er das ironisch, wie er überhaupt in seinen Texten mit leichter Feder immer wieder Ironie durchschimmern lässt. Bei aller Melancholie, bei all den vielleicht verpassten Möglichkeiten, dem, was Martens im Konjunktiv schreibt – „mein altes Herz, / es würde hoch schlagen“ – siegt meist das Augenzwinkern. So auch in „Biblisch“:

Der sympathische Fehler Gottes,
den Menschen nach seinem Bilde
zu schaffen, ist auch mir unterlaufen.

Doch die Zeit lässt sich nicht anhalten und so schaut Klaus Martens in mehreren Gedichten zurück. Freunde sterben, das Haus ist leer.

So soll es denn sein, soll es sein.

Wie sich die Zeit und mit ihr das Leben ändert, beschreibt er in „Drei Gedichte zur Zeit“. Genießen im ersten Teil noch Kinder und Erwachsene einen Sommertag im Wasser, in einem Gummiboot, sind die unschuldigen Zeiten im zweiten Teil vergangen, denn hier nimmt der Autor Bezug auf das Ertrinken von Flüchtlingen im Meer, während im dritten Teil die Geretteten in der ehemaligen Schule der eigenen Kinder untergebracht werden. In solchen Gedichten, von denen es in der Sammlung mehrere gibt, erweist sich Klaus Martens als scharfsinniger Beobachter der Gesellschaft und es ist die Balance zwischen Melancholie und Lebensbejahung, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die seine Gedichte so überaus lesenswert machen.
„In Amerika, wohins mich zog in den Westen“, lautet die erste Zeile in dem kleinen Zyklus „Fünf Stücke Welt“. Obwohl der Text aus dem erst 2013 erschienen Band Siebenachtel Leben stammt, spürt man in ihm die Begeisterung des jungen Autors und Amerikabegeistern, sieht förmlich vor sich, wie er mit den Blumenkindern in seinem klapprigen Bus umherzog, und durch die genaue Beschreibung dieser Fahrt, der Musik und vor allem der Landschaft ist der Leser ganz nah an der Atmosphäre dieser Reise. Wohingegen das heutige Amerika mit Guantanamo eher Ablehnung hervorruft. Doch Klaus Martens will nicht anklagen, belässt es nicht bei einseitigen Betrachtungen, mahnt zur Vorsicht, denn „Amerika sind wir“, denkt an unsere Vergangenheit.
Auf den ersten Seiten des Bandes lenkt Klaus Martens in dem Gedicht „Am Strand“ unseren Blick auf ein kleines Schiff.

Am teerigen Strand von Dünsand
sind wir baden gegangen
in den Schraubenwellen, im öligen Wasser –
kühl war es dort, und den Blick
auf die puffende Fähre
und die halbfertigen Dampfer im Dock
gab es nur hier, unter dem Deich –
und eine Brause genügte und das Röhren
der Schiffssirenen und das metallene
Hämmern aus den schwarzen Bäuchen –
und heute sind Dorf und Strand und Werft,
sind die Geräusche fort –
der Hafen ist untergegangen, niemand badet,
und der Stand des Erinnerungspegels sinkt
mit jedem Tag und jedem Abwesen im Traum.

In diesen Zeilen beschäftigt Klaus Martens sich mit einem früheren Werk. Denn „Am Strand“ ist eine Art Zusammenfassung des Langgedichts „Die Fähre“ aus dem achten Kapitel des Bandes, das bereits 1995 in der Zeitschrift Akzente des Hanser Verlags erschienen war und 2006 in der Reihe Tropicana des VS Saar neu aufgelegt wurde. Es ist ein Glücksfall, dass „Die Fähre“ in den vorliegenden Band aufgenommen wurde. Wortgewaltig und ausgesprochen poetisch beschreibt Klaus Martens in vierundvierzig Strophen in Mittelachsenform die untergegangene Zeit seiner Kindheit und Jugend in Bremen, wo die kleine Fähre seit den fünfziger Jahren geduldig Werftarbeiter über die Weser bringt, bis sie in den Achtziger Jahren als Zeichen der Solidarität Nicaragua geschenkt und dorthin verschifft wurde.
Da das Buch neben zahlreichen neuen Texten vorwiegend Gedichte aus mehr als dreißig Jahren enthält, die bisherigen Lyrikbänden entnommen sind, befinden wir uns natürlich auf einer lyrischen Tour d’Horizon, bei der es Klaus Martens gelingt, auch kleine, auf den ersten Blick unscheinbare Dinge und Ereignisse poetisch zu verfremden. Alles auf dieser Welt, auch ein Gärtner, der Unkraut liebt, ist es wert, festgehalten zu werden. Den Inhalten entsprechend benutzt er eine bemerkenswerte Vielfalt von Tönen, streut Reime ein, Wortspiele, variiert mit Metaphern und Bildern. Dabei kann der erfahrene Übersetzer und Hochschullehrer auf seine vielen literarischen und persönlichen Begegnungen mit Dichtern aus dem angelsächsischen Raum zurückgreifen. „Ich durfte lesen“ lautet eines seiner Gedichte und an anderer Stelle sagte er:

Niemand steht ganz allein da – ich verdanke vieles an Sprache und Form geliebten Lyrikern, von denen ich manche übersetzten durfte.

Einigen dieser Dichter hat er im vorliegenden Band Texte gewidmet. Und da wären wir wieder bei dem eingangs zitierten Schlussgedicht. Der Lyriker Klaus Martens betrachtet die Welt von allen Seiten, nimmt Worte auf, die nachklingen, setzt sie neu zusammen und stellt sie „ganz unverschämt frisch in den Wind“. Dabei hilft ihm seine nie versiegende Neugier. Eine Neugier, die sich in seinen Gedichten niederschlägt, auch in meinem Lieblingsgedicht.

FREMDES

Ich wünschte, alles, alles
würde nochmal fremd erscheinen,
fremd und nicht schon mal gesehen,
nicht schlafwandelnd erinnert,
fremd also – nein, nicht neu,
aber anders benannt und zusammen
gesetzt, eine frisch überraschte Welt,
in die du kommst über Nacht,
sagen wir: morgens um fünf,
bevor sich das Dunkel hebt und dreht
in den fremdsprachigen Tag.

Barbara Zeizinger, September 2016, Nachwort

 

Kritikerstimmen

Martens vertraut der Sprache; ökonomisch eingesetzte Musikalität und eingestreute Reime sind darum nicht in erster Linie Verweis auf und Verwurzelung in Traditionen, vielmehr scheint sich eine gewisse Komplizenschaft mit den Wörtern abzuzeichnen, ein ebenso bitter ernstes wie gelegentlich ironisch zwinkerndes Spiel. Es geht um die Sache selbst, um die Vermittlung eines Inhalts auf möglichst ästhetisch ansprechende Weise und in prägnant destillierter Gestalt.

Mit ungeheurer Neugier stellt sich Martens den Betrachtungen aus der Sterblichkeit, denn „es gibt immer etwas zu erzählen, / immer ist etwas neu“, daraus schöpft er in subtilen Variationen der Form, des Tons, klug, aufmerksam, auf Teilnahme bedacht.
Jürgen Brôcan

Immer geht es Klaus Martens um die lyrische Form und den Gehalt seines Gedichts… Form und Inhalt fühlt er sich gleichermaßen verpflichtet. Nie schlägt ein „toller Vers“ aus Übermut seine Funken aus Sinnlosem. Nie kommt ein kluger Gedanke ohne den abwechselnd genommenen Schwung der Poesie daher… Alle Gedichte des Klaus Martens gehorchen dem lyrischen Prinzip, Wichtiges schön auszudrücken. Das tut beim Lesen gut, stimmt nachdenklich und heilt im Vers auch manchen trüben Sinn. Liest man die Gedichte nacheinander, verblüfft einen die leise Vielfalt der Töne, die variable Form, der Gedankenreichtum, das gut Beobachtete und trefflich Verdichtete. Wer sich einliest, findet Humor und Ironie, wer sich einlässt, wird nicht sich nicht verlassen vorkommen – ein Kleinod für den Lyrikfreund!
Harald Loch

Bei all der immer wieder aufblitzenden Gelehrsamkeit, bei all den Anspielungen sei gesagt, daß die Gedichte von Klaus Martens sich lesen lassen, und zwar sehr gut.
Chrysostomos

Ein wundervoller Gedichtband… Die Fähre ist der erste Gedichtband seit langem, den ich in einem Zug durchlas. Weil er… eine hohe Musikalität hat, bewegende Melodien aus den Kindheitserinnerungen herausbricht, wirkt nie alt oder wie in eine falsche Zeit eingeparkt, sondern aktiv zeitlos und überzeugend… Ich kenne kein schöneres Langgedicht über die Kindheit… (Wir haben) mit Martens einen erstklassigen Lyriker, jemand der eine sichere, eigene Sprache hat. Und den mal wieder keiner kennt, weil man in den Feuilletons etwas völlig anderem hinterher rennt. Und dabei noch falsche Fährten legt und die falschen Helden pflegt… Ein Schatz.
Frank Milautzcki

Nicht höhere Weihen sind das Anliegen dieser Poesie, sondern nichts mehr und nichts weniger als jene Wirklichkeit, in der wir uns selbst begegnen. „Draußen sind wir zu finden“, schrieb Hugo von Hofmannsthal – Die Fähre bestätigt es in jeder Zeile.
„loqui“

Klaus Martens’ Buch ist ein poetischer Genuss…
KH

(Bei Klaus Martens) wirkt alles rund und fertig, im besten Sinne gereimt, obwohl die Gedichte bis auf ein paar wenige Ausnahmen genau das nicht sind. So wirken nur geglückte Komposition und geniale Textur. Fast so, als wären sie auf eine spezielle Art und Weise gesungen. Mit etwas Übertreibung (lässt sich) die Lyrik von Klaus Martens als Teil einer archaischen Gnade beschreiben – was man mit Sprache machen kann, wenn man es kann. Dichten und für das Gedicht da sein.
Michael Starcke

Diese erhöhte Aufmerksamkeit für innere, häufig fast unsichtbare Zusammenhänge ist es, was Klaus Martens Gedichte im Innersten verbinden und sie so zu einem sinnvollen Ganzen fügen: einer melancholischen, aber doch nicht hoffnungslosen Hommage an den nach bestem Wissen und Gewissen geführten Lebenskampf, wie Thomas Mann es einmal formulierte.
Stefanie Golisch

Die Texte sind rhythmisch perfekt, sie arbeiten mit traditionellen Mitteln und scheuen auch einzelne, verstreute Reime nicht. Man merkt…, hier ist einer dabei, sein Werk zu vollenden.
Ursula Teicher-Maier

Ein Streifzug durch seine Gedichtbände zeigt, dass dieses Immer-wieder-neu-auf-die-Welt-Blicken, Immer-wieder-Versuchen, diese zu begreifen, typisch ist für die Lyrik von Klaus Martens.
Barbara Zeizinger

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

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