Liu Xiaobo erhält heute in Abwesenheit den Friedensnobelpreis

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

Das folgende Gedicht wurde von dem Schriftsteller und Dissidenten Liu Xiaobo, der heute den Friedensnobelpreis in Oslo überreicht bekommen sollte, geschrieben. Als Mitautor und einer von 303 Erstunterzeichnern (mittlerweile ist die Zahl der Unterschriften auf mehr als 8.000 parallel zur Zahl der Verhaftungen angestiegen) des im Internet veröffentlichten Bürgerrechtsmanifest Charta 08 wurde er „wegen Untergrabung der Staatsgewalt“ zu 11 Jahren Haft verurteilt.

 

WORTE, DIE EINE ZELLE NICHT HALTEN KANN

Ich hatte mir vorgestellt, da zu sein
aaaaaunterhalb des Sonnenlichts
Mit der Prozession der Märtyrer
Und nur den einen dünnen Knochen
zu
aabenutzen
Um an einer wahren Überzeugung festzuhalten
Und doch, die himmlische Leere
Wird das Geopferte nicht mit Gold überziehen
Ein Rudel Wölfe wohlgenährt, satt von Leichen
Feiert in der warmen Mittagsluft
Überschäumend vor Freude
Weit entfernter Ort
In den ich mein Leben verbannt habe
Diesen Ort ohne Sonne
Um der Ära von Christi Geburt zu entfliehen
Ich kann der blendenden Vision auf dem Kreuz nicht entgehen
Von einem Rauchfähnchen bis zu einem kleinen Haufen Asche
Ich habe das Getränk der Märtyrer
fließen lassen, fühle den Frühling
Wie er dabei ist, in das Brokatgefunkel unzähliger Blumen auszubrechen
Tief in der Nacht, leere Straße
Ich radle heim, ich halte an einem Zigarettenstand
Ein Auto folgt mir, überfährt mein Fahrrad
Ein paar gewaltige Kerle ergreifen mich
Ich werde in Handschellen gelegt, die Augen verbunden, geknebelt
In einen Gefängniswagen geworfen
aaaaaunterwegs ins Nirgendwo
Ein Blick, ein zitternder Moment zieht vorbei
Zu einer plötzlich leuchtenden Einsicht: Ich lebe noch
In den nationalen Fernsehnachrichten
Ist mein Name geändert in ,verhaftete Schwarze Hand‘
Obwohl diese namenlosen weißen Knochen der Toten
Noch immer im Vergessen stehen
Hoch hebe ich jede selbsterfundene Lüge
Sage jedem, wie ich den Tod erlitten
So dass „Schwarze Hand“ zur Ehrenmedaille eines Helden wird
Auch wenn ich weiß
Der Tod ist ein geheimnisvolles Unbekantes
Wenn man lebt, kann man ihn nicht kennenlernen, auf keine Weise
Und einmal tot
Kann man ihn nicht noch einmal erleben
Doch schwebe ich noch immer im Tod
Ein Schweben im Ertrinken
Zahllose Nächte hinter vergitterten Fenstern
Und die Gräber unter dem Sternenlicht
Haben
Meine Albträume offenbart
Abgesehen von einer Lüge
Besitze ich nichts

Übersetzung aus dem Englischen von Thomas Steinfeld

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00