Lyrikertreffen Münster 1999

Mashup von Juliane Duda zum Lyrikertreffen Münster 1999

Lyrikertreffen Münster 1999

DIE EWIGKEIT

Wiedergefunden
Ist sie – die Ewigkeit
Ist das Meer versunken
Mit dem letzten Schein.

Wachsame Seele
Murmeln wir es:
Die Nacht ist leere
Der Tag verbrennt.

Menschliches Lob
Gemeinsamer Geist
Da machst du dich los
Und fliegst bereits.

Denn nur von euch
Glosend wie Seide
Steigt auf die Pflicht
Ohne uns zu befreien

Da keine Hoffnung
Kein erster Strich
Schuld mit Geduld
Die Qual ist gewiß.

Wiedergefunden
Ist sie – die Ewigkeit
Ist das Meer versunken
Mit dem letzten Schein.

Michael Donhauser

 

 

 

Vorwort

Im Jahr vor der Jahrtausendwende blickt das Lyrikertreffen Münster auf eine zwanzigjährige Tradition zurück. Und seit 1993 wird im Rahmen des alle zwei Jahre stattfindenden Treffens der Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie vergeben. Er würdigt einen Gedichtband und dessen Übersetzung ins Deutsche oder aus dem Deutschen. Die diesjährigen Preisträger sind der rumänische Lyriker Gellu Naum und der aus Rumänien stammende Oskar Pastior. Sie werden das Lyrikertreffen eröffnen, ihnen zu Ehren trägt es 1999 einen romanischen Akzent.
In den Kontext des Naumschen Werkes führt am Sonntag vor dem Lyrikertreffen Max Blaeulich ein. Der Romanist und Übersetzer Jürgen Ritte präsentiert auf einer großen Abendlesung fünf französische Lyriker. Das Panorama der französischen Lyrik erweitert Abdellatif Belfellah in einem Vortrag über die französischsprachige Lyrik Afrikas und der Antillen. Der Lyriker Michael Donhauser wird seine Rimbaud-, der Literaturwissenschaftler Thomas Schestag seine Mallarmé-Übertragungen vorstellen und Gregor Laschen über die Edenkobener Übersetzerwerkstatt berichten, in der deutschsprachige Dichter Lyrik des europäischen Auslands übersetzen. Ein Projekt, das in das Herz der Lyrik führt, vertreten Ulrike Draesner und Franz Josef Czernin mit ihren eigenwilligen Übersetzungen von Shakespeare-Sonetten. Die Gruppe der deutschsprachigen Autoren hat Michael Braun zusammengestellt. der seit vielen Jahren als Literaturkritiker und Herausgeber die Entwicklung der deutschsprachigen Gegenwartslyrik beobachtet.
Lyrik an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend – das ruft nach Bilanz und Ausblick. Hier kann weder das eine noch das andere geleistet werden. Vielmehr soll ein Blick auf die „Sachwalter“ von Lyrik geworfen werden, wie sie etwa in der unabhängigen Jury des Münsteraner Poesiepreises vertreten sind. Genannt seien exemplarische Aktivitäten, an denen sich auch die Organisatoren des Münsteraner Treffens immer wieder orientieren.
Renate Birkenhauer hat im Verlag Straelener Manuskripte eine in philologischer und bibliophiler Hinsicht mustergültige zweisprachige Ausgabe mit Gedichten, poetologischen Essays und einer CD des dänischen Lyrikers Per Hojholt verlegt: Der Kopf des Poeten. Harald Hartung hat nach seiner internationalen Luftfracht (1991) im letzten Jahr unter dem Titel Jahrhundertgedächtnis deutsche Lyrik des 20. Jahrhunderts gesichtet. Joachim Sartorius bringt nach dem Atlas der neuen Poesie (1995) in diesem Frühjahr unter dem Titel Minima Poetica poetologische Selbstdarstellungen zeitgenössischer Lyriker heraus. Norbert Wehr wird im Schreibheft 52 ein Dossier englischsprachiger Gegenwartslyrik präsentieren, das auf Anregungen des Lyrikertreffens 1997 zurückgeht. Michael Braun hat – zusammen mit Hans Thill – nach Punktzeit (1987), einer Anthologie deutschsprachiger Lyrik der 80er Jahre, im letzten Herbst Das verlorene Alphabet vorgelegt, Gedichte der 90er Jahre. Poesie und Poetologie, Tradition und Gegenwart, Zweisprachigkeit und Übersetzung, Sammlung und Vermittlung mögen die verbindenden Stichwörter sein.
Die F.A.Z.-Bibliographie aus den Frühjahrsprogrammen der Verlage zeigt gerade einmal 30 Gedichtbände an. Daß Lyrik zu Beginn dieses Jahres eine neue Aufmerksamkeit findet, dafür spricht eher der voluminöse Doppelband der sonst essayistisch angelegten Zeitschrift für europäisches Denken. Die 600. Ausgabe des Merkur widmet sich – ausschließlich – dem „Esoterischsten, das es gibt“: 75 Seiten „Poesie der Sprache“, 120 Seiten „Sprache der Poesie“.
Das erste Gedicht im Merkur 600 stammt von Friederike Mayröcker, die eine Einladung nach Münster mit Bedauern nicht hat annehmen können:

als ich stürzte und im Stürzen die Empfindung ES IST NICHT MEHR
AUFZUHALTEN, also mir nicht mehr Einhalt gebieten konnte sondern
mich ergab diesem Schrecken des Fallens mit nach vorne
abstützenden Händen gestrecktem Fell usw., dann der Schmerz
: tränenerpressender Schmerz an Knien und Schulter – während
1 schwarzer Schirm schwebte über dem Kopf, und empor.

Hermann Wallmann, Vorwort

 

Preis für Internationale Poesie beim Internationalen Lyrikertreffen Münster 1999

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00