Barbara Maria Kloos’ Gedicht „Jungfernflug“

BARBARA MARIA KLOOS

Jungfernflug

Noch einmal packt sie diese Gier
Nach einem kalten Kavalier.

Nach einem krummen Einzelgänger
Pferdefuß und Rattenfänger
Nach einem naßrasierten Schädel
Asketenleib mit kurzem Säbel
Nach einem scheuen Musterknaben
Neunmalklug in sich vergraben
Nach einem süßen Melodram
Einem Jüngling, der nicht zahm
Das Salz von ihren Füßen lutscht
Der nicht dienert, der nicht flutscht
Der nicht schwänzelnd sie umkreist
Sie nicht einseift, sondern beißt
Der nach tausend tiefen Blicken
Sich empfiehlt mit einem Nicken

Ach, sie ist ganz krank vor Gier
Nach einem kalten Kavalier

1983

aus: Literarischer März 6. Lyrik unserer Zeit. Paul List Verlag, München 1989

 

Konnotation

Seit ihren ersten Veröffentlichungen Ende der 1970er Jahre arbeitet die 1958 geborene Dichterin Barbara Maria Kloos an einer metaphorisch unverstellten Poesie des Körpers. In drastischen Bildern formuliert die Autorin Wunschphantasien des weiblichen Begehrens, die von angestrengten Sublimierungen absehen und sich direkt in die Kampfzone des Eros begeben.
Es sind ganz disparate Bilder des „kalten Kavaliers“, die das lyrische Subjekt hier aneinanderreiht. Ein unwiderstehlicher Reiz geht offenbar nur von Liebhabern aus, die denkbar weit vom Bild des kulturell domestizierten Mannes abweichen. Das zentrale Kriterium für einen begehrenswerten Liebhaber ist offenbar nicht dessen Fähigkeit zur Einfühlung in die weibliche Seele, sondern die Bereitschaft zum aggressiven Liebesspiel. Für dieses Gedicht nebst anderen Texten ist Barbara Maria Kloos 1983 mit einem literarischen Förderpreis ausgezeichnet worden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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