Barbara Maria Kloos’ Gedicht „Kein Mann ertrinkt in seinem Bett“

BARBARA MARIA KLOOS

Kein Mann ertrinkt in seinem Bett

Nachts lag die Hand auf meinem Gesicht.
Die Hand mit den fünf nassen Daumen.
Beschirmte mich. Brachte Dunkel ins Licht.
Hand. Mit den fünf nassen Daumen.

Daß ich den Himmel nicht seh.
Den Blitz nicht. Der über mir zuckte.
Wie schnell kam der Regen. Kalter Gelee.
Schoß die Kehle hinab.

Ich schluckte mein Teil.
Bis mir das Salz aus den Augen trat.
So so ist die Liebe. Lachte die Hand.
Ich leckte die fünf nassen Daumen.

1990er Jahre

aus: Barbara Maria Kloos: Venussonde. Lyrikedition 2000, München 2005

 

Konnotation

Eine ambivalente Liebesszene, ganz in Feuchtigkeit getaucht. Jede Gedichtzeile ist erotisch aufgeladen. Die Hand des Geliebten bedeckt als pars pro toto das Gesicht des weiblichen Ich; und die Erregungskurven des Mannes sind – bei aller Rauschbereitschaft der Partnerin – in diesem Liebesspiel die Dominante. Der riesenhafte Mann ist Herr über Licht und Dunkelheit im sexuellen Akt. Nur die herbeizitierte Redensart von den „fünf nassen Daumen“ an einer Hand verweist auf eine gewisse Unbeholfenheit des Liebenden.
„Literatur muss weh tun“, erklärt die Dichterin Barbara Maria Kloos (geb. 1958), „immer sind es Fetzen, Brüche, Schmerzlasuren, die meine Arbeit entzünden.“ Und da die Liebe auch Energien der aggressiven Verausgabung freizusetzen weiß, bringen hier die Ekstasen der Wollust nicht nur die üblichen Körpersäfte hervor, sondern eben auch die Tränen des Schmerzes. Und den Sarkasmus der Unterlegenen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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