Bertolt Brechts Gedicht „Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?“

BERTOLT BRECHT

Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?

Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?
Plötzlich dunkelrot und jung und nah?
Ach, wir kamen nicht, sie zu besuchen
Aber als wir kamen, war sie da.

Eh sie da war, ward sie nicht erwartet.
Als sie da war, ward sie kaum geglaubt.
Ach, zum Ziele kam, was nie gestartet.
Aber war es so nicht überhaupt?

1954

aus: Bertolt Brecht: Die Gedichte 7. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1964

 

Konnotation

Der große Dichter Bertolt Brecht (1898–1956) war unter den modernen Weltpoeten der wohl unerreichte Virtuose der Polygamie. In allen seinen Lebensphasen verstand er es, seine künstlerischen Mitarbeiterinnen auch als willfährige Geliebte zu instrumentalisieren. Eine seiner letzten Geliebten war die Schauspielerin Isot Kilian, die zuvor mit dem Schriftsteller Wolfgang Borchert und dem Philosophen Wolfgang Harich liiert gewesen war.
Sein so konventionell daherkommendes, nichtsdestotrotz betörendes Rosen-Gedicht hat Brecht 1954 für Isot Kilian geschrieben. Als poetisches Bild fungiert die Rose traditionell als Überträgerin amouröser Botschaften. Dieses überstrapazierte Rosen-Bild hat Brecht mit eher ökonomisch-technischen Vokabeln wie „buchen“ oder „gestartet“ verbunden – und so die poetische Aura des Textes gerettet. Nirgendwo wird klassisches Liebes-Vokabular benutzt, aber die unerwartete Präsenz der „kleinen Rose“ verweist auf die Unberechenbarkeit und Intensität von (Liebes)Gefühlen. Liebesgefühle, die der Autor in seinem Leben immer unter Kontrolle zu halten wusste.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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