Bertolt Brechts Gedicht „Als ich nachher von dir ging“

BERTOLT BRECHT

Als ich nachher von dir ging

Als ich nachher von dir ging
An dem großen Heute
Sah ich, wie ich sehn anfing
Lauter lustige Leute.

Und seit jener Abendstund
Weißt schon, die ich meine
Hab ich einen schönem Mund
Und geschicktere Beine.

Grüner ist, seit ich so fühl
Baum und Strauch und Wiese
Und das Wasser schöner kühl
Wenn ich’s auf mich gieße.

1950

aus: Bertolt Brecht: Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000

 

Konnotation

Dieser kleine Report von der Veränderung der Welt durch die Liebe stammt aus dem Jahr 1950. Bertolt Brecht (1898–1956) hat ihn zusammen mit drei weiteren Liebesliedern 1951 dem Komponisten Paul Dessau übergeben, der die Texte zu dem Zyklus „Vier Liebeslieder“ zusammenstellte. In der ersten Niederschrift trug das Gedicht den Titel „Lied einer Liebenden“.
Der Blick der Liebenden auf ihre Umgebung hat sich durch die Erfahrung des intimen Zusammenseins völlig verändert. Das weibliche lyrische Ich dieses Rollengedichts erklärt, erst jetzt die Welt richtig zu sehen – diese überwältigende Erfahrung verdankt sich „jener Abendstund“ mit dem namenlosen Du. Die sinnliche Gegenwärtigkeit im „großen Heute“ ist das Resultat erotischer Energien. Die Intensität der erotischen Erfahrung wird dabei nur indirekt benannt – durch die Darstellung ihrer rauschhaften Folgen, nämlich der Erweiterung der Wahrnehmung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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